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      Die Ver­se ge­gen die Re­ak­ti­on, das Got­tes­gna­den­tum, die Kir­che usw. sind zum großen Teil so stark ge­beizt, dass sie auch heu­te nicht ver­öf­fent­licht wer­den könn­ten. Üb­ri­gens wird auch die ei­ge­ne Par­tei nicht ge­schont in je­nem Hang zur Selbst­ver­spot­tung, den Bam­ber­ger her­vor­hebt. Da spricht ein Tü­bin­ger Re­fe­ren­dar vom Bal­kon der Aula her­ab zu der Volks­ver­samm­lung: Aus je­dem Trop­fen Blu­te Ro­bert Blums muss ein Mär­ty­rer für die Frei­heit er­ste­hen. Ich bin ein sol­cher Tropf. Seid ihr auch sol­che Trop­fen? (Schwä­bisch für Tröp­fe ge­braucht.) Chor der Bür­ger und Stu­den­ten: Ja!

      Auch vor der Emp­fän­ge­rin selbst macht der tol­le Hu­mor nicht halt. In man­nig­fal­ti­gen Zeich­nun­gen wird sie dar­ge­stellt, bald in ra­sen­dem Tanz um den Frei­heits­baum, bald als Ama­zo­ne in Wehr und Waf­fen, bald im blu­t­ro­cken Rock, von den Trut­häh­nen des Dor­fes ver­folgt. In ei­nem Ro­man Die Kö­ni­gin und der Ip­ser­ge­sel­le er­scheint sie als Haupt­per­son, und in der blut­rüns­ti­gen Tra­gö­die Der Ty­rann stirbt sie als frei­heit­lie­ben­de Prin­zes­sin Bill­bu­ra­lia an der Sei­te des ge­lieb­ten Hand­werks­bur­schen auf der Bar­ri­ka­de.

      Das Rote Al­bum war vor al­lem das Ent­zücken mei­ner Brü­der, die es aus­wen­dig wuss­ten und stets im Mun­de führ­ten. Ed­gar ver­fass­te noch in Man­nes­jah­ren, als wir in Flo­renz leb­ten, ein­mal zu Ma­mas Ge­burts­tag ein Sei­ten­stück dazu, das zwar an Geist und ko­mi­scher Kraft das ers­te bei wei­tem über­traf, aber gleich­wohl kei­nen sol­chen Er­folg mehr er­zie­len konn­te, weil es nur per­sön­li­ches Er­zeug­nis und nicht, wie je­nes, der Aus­druck ei­ner Zeit­stim­mung war.

      Wenn die al­ten Achtund­vier­zi­ger zu­sam­men­ka­men, so lag eine Ver­klä­rung auf ih­ren Ge­sich­tern, sie sag­ten: Weißt du noch – der Völ­ker­früh­ling! Und zau­ber­ten durch ihre blo­ßen Mie­nen für die Nach­ge­bo­re­nen das Bild ei­ner kur­z­en, un­be­schreib­lich schö­nen Zeit her­auf, wo das Glück leib­haft auf Er­den ge­wan­delt und wo alle Men­schen Brü­der ge­we­sen. Bis die Re­ak­ti­on mit ei­si­gem Hauch vom Nord all die­se Wun­der­blü­ten ge­knickt und den Völ­ker­mai in Eis und Schnee be­gra­ben hat­te. Un­se­re rea­lis­ti­sche­re Jo­se­phi­ne er­zähl­te frei­lich auch An­ek­do­ten aus dem Völ­ker­früh­ling, die zeig­ten, dass der Frei­heits­kampf nicht von al­len Sei­ten gleich ide­al auf­ge­fasst wur­de, wie das Stück­lein von je­ner Nach­bars­frau, die ju­belnd sag­te: Tei­le wel­let se, tei­le! – und ih­rem aus­zie­hen­den Freischär­ler nachrief: Dass du mir ja eine neue Ma­trat­ze mit­bringst! – Mei­ne El­tern ge­hör­ten bei­de zu den al­ten Achtund­vier­zi­gern. Doch ging mein ge­mä­ßig­ter, po­li­tisch viel tiefer bli­cken­der Va­ter dar­in lan­ge nicht so weit wie mei­ne Mut­ter. Be­son­ders teil­te er ihr Ver­trau­en auf ein selbst­los für an­de­rer Völ­ker Frei­heit ein­tre­ten­des Frank­reich durch­aus nicht. Hat­te er doch in sei­nem schö­nen »Va­ter­lands­ge­dicht« von 1848 die Stel­le:

       Dem Er­we­cker in dem Wes­ten

       Blei­be hold, er will nicht mehr,

      nach­träg­lich ver­än­dert in das war­nen­de:

       Dem Er­we­cker in dem Wes­ten

       Gib das Sei­ne, gib nicht mehr.

      Auch zeugt die im Freun­des­kreis oft er­zähl­te An­ek­do­te, dass er ein­mal sei­nen un­bot­mä­ßi­gen Söh­nen zu­rief: Ihr ver­dient es, preu­ßisch zu wer­den! doch mehr von sei­nem heim­li­chen Hu­mor und von der vä­ter­li­chen Nach­sicht als von der Schär­fe sei­ner po­li­ti­schen An­sich­ten. Bei mei­ner Mut­ter da­ge­gen ging im­mer al­les aus dem Vol­len, da gab es kei­ne Ab­stu­fun­gen, kei­ne Zwei­fel, sie muss­te lie­ben oder has­sen. Als der sechs­und­sech­zi­ger Krieg her­an­rück­te, wur­de sie von ei­nem wah­ren Verzweif­lungs­sturm er­fasst und ihre Er­re­gung zit­ter­te in un­se­ren Kin­der­her­zen nach. Da sie des Ita­lie­ni­schen mäch­tig war, schrieb sie einen Brief an Ga­ri­bal­di, worin sie ihn be­schwor, die­sem »frei­heits- und bru­der­mör­de­ri­schen« Kamp­fe fern­zu­blei­ben. Sie glaub­te in ih­rem Kin­der­ge­müt ernst­lich, welt­po­li­ti­sche Ent­schlie­ßun­gen hin­gen von Prin­zi­pi­en ab. An­de­re wa­ren noch nai­ver. Ein Gym­na­si­al­pro­fes­sor schrieb an Bis­marck und gab ihm po­li­ti­sche Ratschlä­ge nach Pla­ton und Thu­cy­di­des. Dass Bis­marck nicht auf sei­ne Dar­le­gun­gen ein­ge­gan­gen, be­klag­te er noch spä­ter sei­nen Schü­lern ge­gen­über als großen Feh­ler. Aber dicht ne­ben dem Ko­mi­schen lag die Tra­gik. Auf dem Blä­si­berg, ei­nem Gut in der Nähe von Tü­bin­gen, das Pro­fes­sor We­ber, der Leh­rer der Land­wirt­schaft an der Hoch­schu­le, Gat­te der nach­mals als Frau­en­recht­le­rin stark her­vor­ge­tre­te­nen Mat­hil­de We­ber, be­wirt­schaf­te­te, hielt sich seit kur­z­em ein jun­ger, aus Eng­land ge­kom­me­ner Prak­ti­kant Na­mens Fer­di­nand Co­hen auf. Er schrieb sich aber Blind mit dem Na­men sei­nes Stief­va­ters, des in Lon­don als Flücht­ling le­ben­den be­kann­ten Achtund­vier­zi­gers. Mei­ne Mut­ter hat­te ihn bei ei­nem Be­such auf dem Blä­si­berg ken­nen ge­lernt. Sie schil­der­te ihn als einen stil­len, wohl­er­zo­ge­nen, aber sehr ver­schlos­se­nen Men­schen. Frau We­ber be­mut­ter­te ihn lie­be­voll. Ei­nes Ta­ges war er ganz plötz­lich ver­schwun­den mit Hin­ter­las­sung ei­nes Brie­fes, in dem er Ab­schied auf im­mer nahm. Und gleich dar­auf brach­ten die Zei­tun­gen die Nach­richt, dass ein Fer­di­nand Blind-Co­hen in Ber­lin am hel­len Tage auf Bis­marck ge­schos­sen und, da er ihn ver­fehl­te, sich selbst ent­leibt habe. Tief war der Ein­druck des At­ten­tats in al­len Krei­sen. Die einen hiel­ten den Tä­ter für einen er­ha­be­nen Mär­ty­rer, des­sen Ma­nen poe­ti­sche To­ten­op­fer dar­ge­bracht wur­den, die an­de­ren fluch­ten ihm als ei­nem ver­bre­che­ri­schen Aus­würf­ling. Heu­te wür­de man sa­gen: ein Fa­na­ti­ker mit ge­trüb­tem Ur­teil und rei­nem Glau­ben. Er hat­te durch den Tod des einen Man­nes den Krieg noch auf­zu­hal­ten ge­hofft. Darf man es Zu­fall nen­nen, was die Ku­gel des ge­wand­ten Schüt­zen ab­lenk­te? Hät­te er ge­trof­fen, so gäbe es heu­te kein Deut­sches Reich. Ich be­sit­ze noch eine Fo­to­gra­fie von ihm aus dem Nach­lass mei­ner Mut­ter, die mir im­mer et­was Un­heim­li­ches hat­te: ein ele­gan­ter, eng­lisch ge­klei­de­ter jun­ger Mann, ritt­lings auf dem Stuhl sit­zend, mit düs­ter fa­na­ti­schen Au­gen, in de­nen eben der Ent­schluss zu sei­ner ir­ren Tat zu rei­fen scheint.

      Als der Krieg aus­brach, schmie­de­ten so­gar wir Kin­der an­ti­preu­ßi­sche Ge­dich­te. Ei­nen ech­ten Preu­ßen aus Preu­ßen­land hat­ten wir zwar noch nicht ge­se­hen, aber wir nah­men an, dass ihm zu ei­nem Un­hold we­nig feh­len kön­ne. Da kam ei­nes Ta­ges ge­ra­de um die Mit­tags­zeit vom He­chin­gi­schen her ein Lei­ter­wa­gen vor un­se­rem Hau­se an­ge­ras­selt, der ganz mit schwarz-wei­ßen Fähn­chen um­steckt und von preu­ßi­schem Mi­li­tär be­setzt war. Ich sah die­se Fähn­chen für ein sehr großes Un­glück, für eine un­mit­tel­ba­re Be­dro­hung un­se­rer Frei­heit an. Es schi­en mir Pf­licht, we­nigs­tens einen Ver­such zur Ret­tung mei­ner Hei­mat zu wa­gen. Wenn es mir ge­län­ge, ei­nes der Fähn­chen, viel­leicht das äu­ßers­te an der uns zu­ge­wand­ten Ecke, her­ab­zu­ho­len, dann hät­te ich, wenn nicht der Frei­heit eine Gas­se, so doch we­nigs­tens der Un­ter­drückung eine Ecke ab­ge­bro­chen. Wäh­rend ich aber auf den Au­gen­blick zur Aus­füh­rung mei­nes Vor­ha­bens lau­er­te, wur­de ich zu Tisch ge­ru­fen, und jetzt war es zu­nächst nicht mög­lich, sich heim­lich zu ent­fer­nen.

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