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ver­rich­ten; hier hat­te der De­mo­kra­tis­mus eine Lücke. Nicht ein­mal einen Koch­löf­fel zu be­rüh­ren war mir er­laubt, so sehr ich bat mich in der Kü­che mit­be­tä­ti­gen zu dür­fen, denn ich trug im­mer eine un­ge­still­te Sehn­sucht nach der Be­schäf­ti­gung mit stoff­li­chen Din­gen in mir her­um.

      Am hells­ten glänz­ten die Wirt­schafts­küns­te mei­ner Mut­ter, wenn plötz­lich un­er­war­te­te Gäs­te er­schie­nen, was bei der noch all­ge­mein ver­brei­te­ten alt­schwä­bi­schen Gast­lich­keit leicht ge­sch­ah. Un­ser Raum war so be­schränkt, dass kaum die Fa­mi­lie sel­ber Platz hat­te, von Gast­zim­mer mit Gast­bett kei­ne Rede. Aber im Nu war ein La­ger be­reit, der Tisch wur­de ge­deckt, Jo­se­phi­ne buk und brot­zel­te in der Kü­che, und es herrsch­te ei­tel Freu­de im Hau­se. Wie gut es den Gäs­ten ge­fiel, be­wie­sen sie da­durch, dass sie häu­fig wo­chen­lang blie­ben. Dies ging zu­meist auf mei­ne Kos­ten, denn ich muss­te, da die Kna­ben nicht in der Ord­nung ge­stört wer­den durf­ten, als­dann mein Bett mit al­len Be­quem­lich­kei­ten op­fern. Mit­un­ter fand ich nicht ein­mal mehr auf ei­nem Kana­pee Zuf­lucht, son­dern muss­te mich mit zu­sam­men­ge­stell­ten Stüh­len be­gnü­gen, die, wenn man sich be­weg­te, aus­ein­an­der­fuh­ren und die dar­auf­ge­leg­ten Kis­sen zu Bo­den glei­ten lie­ßen. Es kam sel­ten vor, dass ich ein­mal län­ge­re Zeit im un­ge­stör­ten Be­sit­ze mei­nes Bet­tes blieb. Dar­über durf­te kein Wort ver­lo­ren wer­den, Mama gab ja auch das ih­ri­ge her. Frei­lich war auch der Ge­winn auf mei­ner Sei­te, denn die Be­su­che, be­son­ders die von weit­her zu­ge­reis­ten, brach­ten neu­es Le­ben und Welt­wei­te mit, wo­nach ich dürs­te­te. In sol­chen Zei­ten hat­te dann das Ler­nen und alle ge­re­gel­te Tä­tig­keit ein Ende: der Brauch ver­lang­te, dass we­nigs­tens die weib­li­chen Glie­der des Hau­ses sich völ­lig den Gäs­ten wid­me­ten.

      Un­ter den ko­me­ten­ar­ti­gen Er­schei­nun­gen, die vor­über­ge­hend in un­se­rem Hau­se auf­tauch­ten, strahl­te be­son­ders Frau Hed­wig Wil­hel­mi, eine Freun­din mei­ner bei­den El­tern, die in Gra­na­da leb­te. Sie war eine blen­den­de, geis­tig an­ge­reg­te Per­sön­lich­keit von sehr frei­em und rau­schen­dem Auf­tre­ten, lei­den­schaft­lich der ma­te­ria­lis­ti­schen Rich­tung ei­nes Vogt und Büch­ner er­ge­ben, da­ne­ben auch li­te­ra­risch an­ge­haucht, kurz, nach ih­rem gan­zen We­sen eine in der da­ma­li­gen Frau­en­welt un­er­hör­te Aus­nah­me. In ih­ren spä­te­ren Le­bens­jah­ren mach­te sie sich in Deutsch­land und Ame­ri­ka durch so­zia­lis­ti­sche Pro­pa­gan­da be­kannt, stieß mit den Aus­nah­me­ge­set­zen zu­sam­men und er­litt Ge­fäng­nis, Ver­fol­gung und Un­ge­mach al­ler Art, wo­durch ihr We­sen her­ber und ihre Hal­tung schrof­fer wur­de. Aber gern rufe ich mir ihr Bild zu­rück, wie sie in mei­ne Kind­heit trat, die be­weg­li­che Ge­stalt, den fei­nen, et­was hart ge­schnit­te­nen Kopf mit den spre­chen­den Au­gen, von kur­z­en brau­nen Lo­cken kühn um­flat­tert, die un­ver­meid­li­che Zi­gar­re zwi­schen den Zäh­nen. Das Rau­chen war an ei­ner Frau da­mals noch et­was sehr Auf­fal­len­des, doch es ging ihr so hin, weil man in Deutsch­land glaub­te, sie habe das in Spa­ni­en ge­lernt, die Spa­nier da­ge­gen es für einen deut­schen Brauch hiel­ten. Ich kann sie mir gar nicht an­ders vor­stel­len, als in ei­nem Krei­se von Her­ren sit­zend, de­ren sie im­mer eine An­zahl um sich ha­ben muss­te, rau­chend, trin­kend, dis­pu­tie­rend.

      Bei ih­rem ers­ten Be­such in Tü­bin­gen, bald nach un­se­rem Ein­zug, brach­te sie auch ihr etwa sechs­jäh­ri­ges Töch­ter­chen Ber­ta mit, einen bild­schö­nen, ganz an­da­lu­sisch aus­se­hen­den Kraus­kopf mit Queck­sil­ber in den Adern. Wie die dun­kel­äu­gi­ge Klei­ne im spa­ni­schen Zi­geu­ne­r­an­zug ih­ren Fan­dan­go tanz­te und kas­ta­gnet­ten­klap­pernd durch die Zim­mer ras­te, glaub­te man sich un­mit­tel­bar in den Sü­den ver­setzt. Als die spa­ni­schen Gäs­te zum ers­ten Mal im Hau­se schlie­fen, war­te­te ih­rer eine Über­ra­schung, an die man sich spä­ter oft mit Hei­ter­keit er­in­ner­te. Mit­ten in der Nacht fuhr Hed­wig laut schrei­end aus dem Bet­te, weil sich et­was Eis­kal­tes, Glat­tes un­ter der De­cke um ihre Glie­der ge­wun­den hat­te. Es wa­ren Ed­gars Rin­gel­nat­tern, die sich auch an dem fest­li­chen Er­eig­nis be­tei­li­gen woll­ten und auf un­er­klär­li­che Wei­se aus ih­rem Be­hält­nis ent­wi­chen wa­ren, um den Gast nächt­li­cher­wei­le zu um­stri­cken. Doch Hed­wig war eine stark­geis­ti­ge Frau und gab sich nach Fest­stel­lung der Tat­sa­che schnell zu­frie­den; sie hat­te in ih­rem Le­ben ge­fähr­li­che­re Aben­teu­er be­stan­den als die­ses. Ich hör­te im­mer se­lig zu, wenn sie von ih­ren küh­nen Rit­ten in der Sier­ra Ne­va­da oder von stür­mi­schen Meer­fahr­ten im Golf von Bis­ca­ya er­zähl­te, denn das wa­ren Din­ge, die ich auch für mich sel­ber er­sehn­te.

      Hed­wig war sich ei­ner be­son­de­ren Macht über jun­ge Men­schen­her­zen be­wusst und übte sie auch gern an Kin­dern. Wir hin­gen alle mit lei­den­schaft­li­cher Be­wun­de­rung an ihr. Ich war stolz, wenn ich an ih­rer Sei­te aus­ge­hen durf­te, denn wer hat­te einen so schö­nen Gast wie wir! Es ge­fiel mir un­end­lich, dass sie sich im Ge­gen­satz zu den schwä­bi­schen Frau­en so ju­gend­lich und ele­gant klei­de­te. Jene schlan­gen, so­bald sie ver­hei­ra­tet wa­ren, ein grob­fä­di­ges schwarz­sei­de­nes Netz um die Haa­re, tru­gen um die Schul­tern einen ins Drei­eck ge­leg­ten Schal und ga­ben da­mit zu ver­ste­hen, dass sie fort­an auf je­den Män­ner­blick ver­zich­te­ten. Hed­wig brach­te je­des Mal einen Kof­fer voll Pa­ri­ser Klei­der mit. Ihr da­ma­li­ges Bild schwebt mir mit ei­ner Rie­sen­kri­no­li­ne vor, in gras­grü­nem Kleid vom neues­ten Schnitt nebst Pa­ri­ser Hüt­chen, wor­auf ein grü­ner Pa­pa­gei thron­te, von ei­nem lan­gen, eben­so grü­nen Krepp­schlei­er um­flat­tert. Ein klei­nes grün­sei­de­nes Knick­schirm­chen gab die­ser Schöp­fung in Grün die letz­te Wei­he. Ob die grü­ne Pracht mir heu­te noch eben­so gut ge­fal­len wür­de, weiß ich nicht, da­mals schi­en sie mir der Gip­fel des Ge­schmacks und der Schön­heit, und ich wünsch­te mir leb­haft, der­mal­einst, wenn ich groß sein wür­de, einen eben­so lan­gen und eben­so grü­nen Schlei­er auf dem Hute zu tra­gen.

      Als die spa­ni­schen Gäs­te wie­der ab­ge­reist wa­ren, ka­men Hed­wigs Brie­fe, klei­ne Ma­nu­skrip­te, an Mama. Die Post traf ge­wöhn­lich des Mor­gens ein, um die Stun­de, wo ich auf ei­nem der gelb­da­mas­te­nen Em­pire­hocker­chen saß und Mama mir die Haa­re kämm­te, de­ren Län­ge und Fül­le ihr täg­lich viel Zeit weg­nahm und von dem Kin­de sel­ber nicht be­wäl­tigt wer­den konn­te. Also ließ sie sich von mir wäh­rend die­ses Ge­schäf­tes die ein­ge­lau­fe­nen Brie­fe vor­le­sen. Das wa­ren na­tür­lich für mich sehr span­nen­de Au­gen­bli­cke. Mein Müt­ter­lein war die treues­te, zu­ver­läs­sigs­te Freun­din ih­rer Freun­din­nen. Alle Ver­wick­lun­gen fan­den bei ihr Ver­ständ­nis und Teil­nah­me – un­se­re Jo­se­phi­ne pfleg­te sie schon in ih­ren Mäd­chen­jah­ren Frau Min­ne­trost zu nen­nen, nach der Fee in Fou­qués Zau­ber­ring – und nie kam ein Wort von dem, was sie wuss­te, ge­gen an­de­re aus ih­rem Mun­de. Nur vor mir hielt sie nicht leicht et­was ge­heim. Ich war ihre Ver­trau­te und klei­ne Se­kre­tä­rin, ihr an­de­res Ich. Sie konn­te mei­ner Ver­schwie­gen­heit und Zu­rück­hal­tung ge­wiss sein; wie ich her­nach das Ver­nom­me­ne mei­ner In­nen­welt ein­glie­der­te, war mei­ne Sa­che. Mei­ne Mut­ter hat­te ein rüh­ren­des, selbst­ver­ständ­li­ches Ver­trau­en, dass nichts die­se Kin­des­see­le zu schä­di­gen ver­mö­ge. Man nahm sich da­mals über­haupt Kin­dern ge­gen­über viel we­ni­ger in acht; trotz­dem, oder viel­leicht

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