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in der Kind­heit zwil­lings­ar­tig mit mir ver­wach­sen ge­we­sen, der mir im Wol­len, Füh­len, Mei­nen am ver­wand­tes­ten war, ver­wand­ter auch als die ge­lieb­te Mut­ter, der bis zu­letzt alle tie­fen und zar­ten See­len­re­gun­gen mit mir ge­mein ge­habt hat­te, der ein­zi­ge un­ter den Brü­dern, dem wie mir bei ei­nem ho­hen und ge­hei­men Dich­ter­wort der Atem stock­te, der wie ich in dem Le­ben der Spra­che einen hei­lig zu hal­ten­den or­ga­ni­schen Vor­gang sah; der Mensch, der so­gar die äu­ße­ren Merk­ma­le des See­len­le­bens mit mir ge­mein hat­te, wie den schnel­len Wech­sel der Far­be und das von Freun­den oft be­re­de­te Auf­flam­men und Schwarz­wer­den der Pu­pil­len in Mo­men­ten der Er­re­gung. Und den­noch bei ei­ner so sel­te­nen in­ne­ren Über­ein­stim­mung und im na­hen per­sön­li­chen Zu­sam­men­le­ben wa­ren wir eins dem an­de­ren ent­glit­ten, und je­des leb­te in sei­ner See­len­welt al­lein. Keins von bei­den ver­moch­te es zu er­klä­ren, und keins ver­moch­te es zu än­dern. Vi­el­leicht wenn wir nicht Bru­der und Schwes­ter ge­we­sen wä­ren, wür­den wir uns ge­liebt ha­ben. In sei­nem Nach­lass fand ich das Ge­dicht »Wa­rum?«

       Wa­rum denn sol­len auf ge­trenn­ten Pfa­den

       Wir uns­re Wege gehn zum glei­chen Ziel?

       Ist’s Schick­sals­fluch, mit wel­chem wir be­la­den?

       Ist’s ei­nes bö­sen Zu­falls tückisch Spiel?

       Wir sind uns fremd, doch kei­nes von uns bei­den

       Weiß, wel­che Sai­te fehlt zur Har­mo­nie.

       Was sind es denn für Schran­ken, die uns schei­den?

       Wa­rum, warum denn fin­den wir uns nie?

       Darf ich das Dun­kel wohl zu lüf­ten wa­gen?

       Bleibt denn dein Herz und Mund für im­mer stumm?

       O gib mir Ant­wort! sprich! ich will dich fra­gen

       Mit mei­ner See­le gan­zer Glut: Wa­rum?

      Ich hät­te die glei­che un­aus­ge­spro­che­ne Fra­ge stel­len kön­nen, auf die bei­de kei­ne Ant­wort wuss­ten. So weit ich durch den Ne­bel der Ver­gan­gen­heit sto­ßen kann, sehe ich die Ent­frem­dung bis auf die Über­gangs­zeit vom Kna­ben zum Jüng­ling zu­rück­ge­hen. Zwar hat­te es für Ed­gar kei­ne Fle­gel­jah­re wie für den wil­den Al­fred ge­ge­ben, da­für war er zu zart und zu vor­nehm, aber es trat ein vor­über­ge­hen­des Sto­cken sei­ner Ent­wick­lung ein, dass ihm die nur we­nig jün­ge­re Schwes­ter, wie es beim weib­li­chen Ge­schlecht na­tür­lich ist, um eine Weg­stre­cke vor­an­lief, so­wohl was die geis­ti­ge Rei­fe als was die kör­per­li­che Län­ge be­trifft. Zu­gleich er­leb­te er, dass ich blut­jung, wie ich war, doch von den männ­li­chen Be­su­chern des Hau­ses schon mit Auf­merk­sam­kei­ten um­ge­ben und von ihm ab­ge­drängt wur­de, wäh­rend er noch als hal­ber Kna­be da­ne­ben­stand. Ge­wiss hat er mit sei­nem reiz­ba­ren Ehr­ge­fühl da­bei mehr ge­lit­ten, als ich ah­nen konn­te und als er ah­nen ließ. Wenn er mir mit nas­sen Au­gen die Nie­der­nau­er Ball­tro­phä­en vom Arme riss und in das vor­bei­flie­ßen­de Bäch­lein warf, so fühl­te ich mich als un­schul­di­ge Ziel­schei­be ei­ner kna­ben­haf­ten Lau­ne, und wenn er dann gar noch eine Streit­schrift ge­gen das Tan­zen ver­fass­te und dru­cken ließ, so sah ich dar­in nur das An­zei­chen ei­ner wach­sen­den Schrul­len­haf­tig­keit, der ich be­strebt war aus­zu­wei­chen. Dass in ihm et­was riss und blu­te­te, sah ich nicht, denn er zog eine Dor­nen­he­cke um sich, der nie­mand na­hen konn­te. Vi­el­leicht ge­sch­ah es, weil er im Grun­de eine wei­che­re Na­tur war als ich und weil er Weich­heit für un­männ­lich hielt. Und als gar sei­ne lei­den­schaft­li­che Jüng­lings­freund­schaft mit un­se­rem Ernst Mohl an sei­nem An­spruch des Al­lein­be­sit­zens in Stücke ging, gab es fort­an für ihn kei­ne Ge­fühls­äu­ße­rung mehr. Wie er als Kind un­ter al­len Ge­schwis­tern al­lein ein ver­schließ­ba­res Käst­chen be­ses­sen hat­te, worin er sei­ne kind­li­chen Herr­lich­kei­ten, wie Far­ben­scha­len, bun­te Blei­stif­te und blin­ken­de Re­chen­pfen­ni­ge, be­wahr­te und in das auch ich, die er am meis­ten lieb­te, nur in sel­te­nen Stun­den einen Blick wer­fen durf­te, so trug er spä­ter sein gan­zes in­ne­res Le­ben als ver­schlos­se­nen Schrein mit sich, nur je und je der Muse sich im Tief­ge­hei­men of­fen­ba­rend, dass nicht ein­mal sei­ne Mut­ter sich ihm mit ei­ner Zärt­lich­keit zu na­hen wag­te. Aber die Fremd­heit zwi­schen uns war nur eine schein­ba­re, die in­ne­re Wär­me dau­er­te auch un­aus­ge­spro­chen bis zu­letzt. Nicht ein­mal die Ehe ver­moch­te sie wirk­lich zu zer­stö­ren, die­se ge­fähr­lichs­te von al­len Bin­dun­gen, die jede an­de­re Bin­dung durch den blo­ßen Trop­fen­fall des All­tags auf­löst, wie es kein Sturm der Lei­den­schaft ver­mag; die aus ei­nem Gan­zen eine Hälf­te macht, oft ge­nug aus ei­nem großen star­ken Gan­zen die Hälf­te ei­nes klei­nen und schwa­chen, auch sie rüt­tel­te nicht wahr­haft an dem an­ge­bo­re­nen Band. Und im­mer blieb die Aus­sicht, man wür­de sich in spä­te­ren Jah­ren wie­der nä­her und bes­ser ver­ste­hen. Und nun mit ei­nem Male al­les vor­über? Das gan­ze Spiel zwi­schen Tod und Le­ben schi­en mir so mas­ken­haft und un­wahr­schein­lich. Denn da stand noch im­mer die Ge­stalt mei­nes Bru­ders ne­ben dem Wachs­bild auf dem La­ger, völ­lig un­ver­sehrt und ge­gen­wär­tig, von Geist strah­lend; ich such­te mir die Vor­stel­lung sei­nes Nicht­mehr­seins ein­zu­prä­gen, aber es ge­lang mir nicht. War es eine Schwä­che der Emp­fin­dung? Hat­te es eine tiefe­re me­ta­phy­si­sche Ur­sa­che? Ich konn­te bei kei­nem To­des­fall wahr­haft trau­ern. Nie­mand starb mir je. Ich glaub­te im tiefs­ten In­nern nicht an den Tod.

      Auch mei­ner Mut­ter schi­en es so zu ge­hen. Sie stand in Ruhe und Fas­sung ne­ben dem La­ger, von dem man sie wäh­rend des letz­ten Kamp­fes fern­ge­hal­ten hat­te, sie klag­te und wein­te nicht und folg­te mir am Abend still aus dem für sie leer ge­wor­de­nen Hau­se.

      Nach der Ein­äsche­rung in Tre­spia­no, als die Trau­er­gäs­te sich bei mir in der Via de’ Bar­di ver­sam­mel­ten, er­schi­en auch Rö­mer und über­reich­te mir eine Li­lie, in de­ren Kelch er einen klei­nen wei­ßen Aschen­rest aus dem Lei­chen­brand mei­nes Bru­ders ver­bor­gen hat­te. Er war zu dem Feu­er hin­ab­ge­stie­gen, ihn für mich zu ho­len.

      Es war ei­ner je­ner Au­gen­bli­cke im Le­ben, die nicht ver­ge­hen. Noch im­mer be­wah­re ich den Aschen­rest mit der zer­fal­le­nen Li­lie in ei­nem klei­nen glä­ser­nen Sar­ge.

       Was ist mir von dir noch ge­schenkt?

       Nur ein Rest von schnee­wei­ßer Asche,

       In den Kelch ei­ner Li­lie ver­senkt.

       Ein Lie­ben­der hol­te sie fromm

       Aus sin­ken­dem Feu­er­ba­de,

       Wo die edle Hül­le ver­glomm.

       Die Li­lie duf­tet so schwül,

       Um­fängt mit Tau­mel die Stir­ne

       Und ver­weh­ter Bil­der Ge­wühl.

       Ich schau durch der Jah­re Flor,

       Da seh ich als Kin­der uns bei­de

       Vor des Le­bens schim­mern­dem Tor.

       Ein­tra­ten wir Hand in Hand,

       Durch­schwärm­ten in glei­chem Ver­lan­gen

       Der Ju­gend Ver­hei­ßungs­land.

       In der Dich­tung Wun­der­pa­last,

      

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