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Glanz

       Und Wim­pel schil­lern wie Fal­ter­tanz,

       Wo Käh­ne zie­hen be­flü­gelt und leicht,

       Wie der Schwan durch schim­mern­de Was­ser streicht,

       Wo der Son­ne Gold­netz in blau­er Flut

       Mit zit­tern­den Ma­schen am Grun­de ruht –

       Da tas­ten sie trau­rig und se­hen nichts

       Vom Fes­te der Au­gen, vom Sieg des Lichts!

       Und dir wird, See­le, zum Ster­ben bang,

       Als gingst auch du den ver­lo­re­nen Gang,

       Als fühl­test du schau­ernd der Flut Ge­walt,

       Doch sähst nicht die Wel­le, die schön her­wallt,

       Und strau­chel­test licht­los, von Licht um­gleißt,

       Durch Wel­ten von Glück, ein ent­erb­ter Geist.

      Ich zweifle, ob and­re ähn­lich emp­fan­den; es ist nicht je­dem auf­er­legt, see­lisch in frem­des Ge­schick hin­ein­ge­saugt zu wer­den, wie es le­bens­lang bei mir der Fall war. Aber kann der ein Dich­ter sein, der sich nicht eins fühlt mit al­lem was lebt?

      *

      Mit im­mer grö­ße­rer Ge­schwin­dig­keit ver­mehr­te sich die Nie­der­las­sung, die mit un­se­ren drei klei­nen Strand­häus­chen be­gon­nen hat­te. Im Rücken un­se­rer Häu­ser­zei­le ent­stand be­reits eine zwei­te, die zu­nächst auf das Dorf zu­streb­te, der heu­ti­ge Via­le Mo­rin. Aber auch das Dorf wach­te auf und wuchs uns ent­ge­gen. Die vie­le Ar­beit hat­te Geld ins Land ge­bracht und die Un­ter­neh­mungs­lust ge­weckt. Zwi­schen die Fa­mi­li­en­vil­len scho­ben sich Miet­häu­ser und bald auch Pen­sio­nen für Som­mer­gäs­te. Land­leu­te brach­ten ihre Er­zeug­nis­se an den Strand her­un­ter, und mit der Zeit ent­wi­ckel­te sich ein klei­ner Markt. Fes­te Wege gab es noch lan­ge nicht; man wa­te­te im Sand, in dem sich kei­ne Pfa­de tre­ten las­sen, und in der Dun­kel­heit nahm man die La­ter­ne mit. Die Dun­kel­heit von For­te, wenn kein Mond überm Mee­re stand, war das Dun­kels­te, was ich je ge­se­hen habe; in Näch­ten, wo das Meer schwieg, er­wach­te ich oft vor plötz­li­chem Schre­cken über die Schwär­ze und Stil­le und muss­te ein Licht an­zün­den, um mich zu über­zeu­gen, dass die Welt über­haupt noch da sei. – Das klei­ne Fi­scher­dorf hing da­mals nur durch die eine Weg­stun­de ent­fern­te Bahn­sta­ti­on Qu­er­ce­ta mit der Au­ßen­welt zu­sam­men. Ein von den täg­li­chen Mar­mor­fuh­ren tief zer­furch­ter Weg, um den rings­her al­les weiß war von Mar­mor­staub, führ­te von dort ans Meer her­un­ter. Die­se Mar­mor­fuh­ren wur­den durch eine Be­span­nung von sechs bis zwölf Paar tos­ka­ni­scher Och­sen mit pracht­voll ge­form­ten Rie­sen­hör­nern von den hoch­ge­le­ge­nen Brü­chen her­un­ter zum Strand ge­schleppt. Es war ein herz­zer­rei­ßen­der An­blick um die­se ge­mar­ter­ten Tie­re. Das Leitseil lief durch den Na­sen­ring, auf je­dem Paar Och­sen lag ein schwer las­ten­des Joch, das ihre Köp­fe nie­der­drück­te, und auf je­dem Joch saß ein Trei­ber mit dem Sta­chel­stab, der die Tie­re völ­lig wehr­los ge­macht hat­te; an­de­re Trei­ber lie­fen zu Fuß ne­ben­her und hal­fen mit wil­dem Ge­schrei und mit dem Sta­chel nach; so wälz­te sich das Fuhr­werk auf der von Lö­chern und schuh­tie­fen Fahr­glei­sen un­mög­lich ge­wor­de­nen Stra­ße her­an, im­mer wie­der ste­cken­blei­bend und im­mer wie­der durch mensch­li­che Un­barm­her­zig­keit wei­ter­ge­trie­ben. Nie­mals wer­de ich den hoff­nungs­lo­sen Blick ver­ges­sen, mit dem ei­nes die­ser Tie­re, als ich bei ei­ner kur­z­en Rast mit­leids­voll zu ihm her­an­trat, sich von dem Men­schen­ge­sicht ab­wand­te, das für ihn ja auch die Züge sei­ner Fol­te­rer trug, und sein jam­mer­vol­les Haupt tod­mü­de auf den Na­cken sei­nes Schick­sals­ge­fähr­ten leg­te. An die­sen Blick dach­te ich in der Nacht, wo das neue Jahr­hun­dert ein­ge­läu­tet wur­de, und ich sam­mel­te da­mals alle Wunsch­kraft mei­nes Her­zens der ewi­gen Ur­macht zu, dass sie dem gren­zen­lo­sen Jam­mer der Tier­heit ein Ziel set­ze. Heu­te ist das er­bar­mungs­lo­se, aber von Künst­lerau­gen be­wun­der­te Bild der großen Och­sen­fuh­ren aus der Land­schaft ver­schwun­den; die Ma­schi­ne schleppt jetzt auf Ei­sen­glei­sen die Mar­mor­blö­cke zu Tal, und die Och­sen­ge­span­ne wer­den nur noch ge­le­gent­lich ins Meer ge­trie­ben, um ein Schiff aufs Tro­cke­ne zu zie­hen.

      Die von ei­nem sonst gut­ar­ti­gen Volk an den Tie­ren ver­üb­te Grau­sam­keit bringt mir durch Ge­dan­ken­ver­bin­dung eine selt­sa­me volks­kund­li­che Ent­de­ckung ins Ge­dächt­nis, die ich mei­ner El­vi­ra, ei­nem bild­hüb­schen sech­zehn­jäh­ri­gen Land­kind, ver­dan­ke. Die­ses wil­li­ge, mun­te­re Ge­schöpf, das einen Som­mer lang bei mir diente, war im Ge­gen­satz zu ih­ren früh­rei­fen, ge­witz­ten Ka­me­ra­din­nen aus­neh­mend ein­fäl­tig, aber von ei­ner lie­bens­wür­di­gen, wahr­haft blü­hen­den, ja, man könn­te sa­gen er­fin­de­ri­schen Ein­falt, wo­mit sie mir im­mer von Zeit zu Zeit eine Über­ra­schung be­rei­te­te; sonst hät­te ich wohl nie er­fah­ren, was ich durch sie er­fuhr. Um ihre Art zu be­zeich­nen, sei zu­nächst nur ein klei­ner Zug er­wähnt: Ich pfleg­te in mei­nem Gar­ten, so­lan­ge er noch kei­ne Nach­bar­schaft hat­te, um die Mit­tags­stun­de im Schutz ei­ner Er­len­rei­he, die un­be­ru­fe­ne Bli­cke ab­wehr­te, mein Son­nen­bad zu neh­men. Das setz­te El­vi­ra in sol­ches Er­stau­nen, dass ich ge­nö­tigt war, ihr die wohl­tä­ti­ge Wir­kung der Son­nen­be­strah­lung, die im Volk noch nicht be­kannt war, zu er­klä­ren. El­vi­ra hör­te voll An­dacht zu und präg­te sich mei­ne Wor­te in die See­le. Am Abend, als die Mahl­zeit ab­ge­tra­gen und das Ge­schirr ge­spült war, fehl­te das Mäd­chen; in ih­rem Käm­mer­chen war sie nicht und eben­so­we­nig am Strand, wo die an­de­ren Mäd­chen schwatz­ten. Von ei­ner Ah­nung er­grif­fen, ging ich in den Gar­ten, und rich­tig, zwi­schen den Er­len schim­mer­te es weiß her­vor. Ich rief ihr zu, was sie da ma­che. – Ich ma­che, was die Si­gno­ra Pa­dro­na des Mit­tags macht: ich bade, war die Ant­wort. Da lag sie, barg den Kopf im Er­len­ge­büsch, das jetzt tau­te, wie ich es zum Schutz ge­gen die Son­ne ge­tan hat­te, und streck­te in Feuch­te und Mond­schein ihre blo­ßen Glie­der aus. Weil ihr die Zeit ge­fehlt hat­te, gleich­falls ein Son­nen­bad zu neh­men, und sie doch das Bei­spiel der Pa­dro­na nicht un­be­folgt las­sen woll­te, nahm sie gläu­big im Abend­tau ein Mond­bad! So war die geis­ti­ge An­la­ge des gu­ten Kin­des be­schaf­fen, das wie durch Zu­fall aus der Un­schuld ei­nes deut­schen Mär­chens in die ge­weck­te ita­lie­ni­sche Volks­art hin­ein­ver­irrt schi­en.

      Ei­nes Ta­ges be­merk­te ich, dass die El­vi­ra be­stürzt und un­ru­hig um­her­ging und mich öf­ters zwei­felnd an­sah, als ob sie et­was Schwe­res auf der See­le hät­te. Auf­ge­mun­tert, fass­te sie sich ein Herz und sag­te: Wenn ich ganz, ganz si­cher wäre, dass Sie mich nicht aus­la­chen, so möch­te ich mit Ih­nen über et­was Be­son­de­res re­den. Ich ver­sprach ihr den tiefs­ten Ernst und er­fuhr nun et­was in der Tat ganz Au­ßer­ge­wöhn­li­ches.

      El­vi­ra hat­te eine Base be­ses­sen mit Na­men Quin­ti­lia, die ihr von Kind­heit an sehr na­he­ge­stan­den und die vor we­nig Mo­na­ten an der Schwind­sucht ge­stor­ben war. Die­se Quin­ti­lia hat­te große Vor­lie­be für den Reis ge­habt, und noch an ih­rem Ster­be­tag hat­te man ihr einen schmack­haf­ten Ri­sot­to zu­be­rei­ten müs­sen. Die gute El­vi­ra be­trau­er­te sie herz­lich und dach­te auch jetzt noch öf­ters an die Ver­stor­be­ne. Seit ei­ni­ger Zeit nun be­merk­te sie, dass drau­ßen im Gar­ten, wo vie­le Ei­dech­sen über den glü­hen­den

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