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auch jetzt nicht an­ge­nehm war, so ent­fern­te er sich bald mit der Er­klä­rung, sich Van­zet­ti wid­men zu wol­len, den er in tiefer Ver­stö­rung zu­rück­ge­las­sen habe. Die bei­den zo­gen sich ge­gen­sei­tig nicht an, denn die Schwer­mut des Ei­nen wuss­te mit der Glücks­na­tur des An­dern nichts an­zu­fan­gen, aber nun emp­fand er sei­ne Ver­las­sen­heit schmerz­lich mit. Ich be­stärk­te ihn sehr in sei­ner Ab­sicht, denn mir hat­te Van­zet­ti am Vora­bend ge­sagt, er zie­he sich ge­flis­sent­lich eine Lun­gen­ent­zün­dung groß. So eng ver­wach­sen wie die bei­den wa­ren, muss­te ja dem Über­le­ben­den schei­nen, dass der Pfei­ler sei­nes Da­seins ge­stürzt sei.

      Schön hat­te auf der Heim­fahrt von Tre­spia­no Grä­fin Gra­vi­na, die Stief­toch­ter Richard Wa­gners, ge­gen mich ge­äu­ßert, die Treue Van­zet­tis zu dem hö­her ge­ar­te­ten Freund habe sie stets an die des Kur­ven­al zu sei­nem Tris­tan er­in­nert. Es war in der Tat et­was wie mit­tel­al­ter­li­che Man­nen­treue in die­sem Freund­schafts­bund, der weit über Ed­gars Tod hin­aus bis zu sei­nem ei­ge­nen Hin­gang in dem Über­le­ben­den fort­dau­er­te und ihn zum Sohn und Bru­der und vä­ter­li­chen Be­ra­ter sämt­li­cher ver­wais­ter Fa­mi­li­en­glie­der mach­te.

      *

      Als ich un­se­re Mut­ter von Ed­gars Lei­che weg in mei­ne Woh­nung in der Via de’ Bar­di führ­te, war ihr ers­tes Wort: Ich habe bis­her für ihn ge­lebt, jetzt will ich für dich le­ben. – Und ich will ihn dir wie­der le­ben­dig ma­chen, sag­te ich. Ein Wort, des­sen Ver­mes­sen­heit, und in ei­nem sol­chen Au­gen­blick, je­dem an­de­ren Mut­ter­her­zen ge­gen­über bis zur Lä­cher­lich­keit an­ma­ßend ge­we­sen wäre. Aber ich wuss­te ja, zu wem ich sprach, und dass bei der au­ßer­or­dent­li­chen Ver­geis­ti­gungs­fä­hig­keit des Emp­fin­dungs­le­bens die­ser Frau ein sol­ches Wun­der mög­lich war. –

      Man muss schnell sein, be­vor die Erin­ne­rung bläs­ser wird, wenn man dem Zer­stö­rer den ein­zi­gen Teil sei­ner Beu­te wie­der ab­neh­men will, den er der star­ken Be­schwö­rung zu­rück­ge­ben muss, das mensch­li­che Bild. So­bald die leib­li­che Er­schei­nung ver­schwun­den ist, er­scheint dem Schau­en­den das ewi­ge An­ge­sicht, das zu Leb­zei­ten un­ter dem wech­seln­den Spiel des Ta­ges ver­bor­gen war, und zu­gleich füllt sich der Luf­traum mit ei­ner see­li­schen Es­senz, die das gan­ze We­sen des Da­hin­ge­gan­ge­nen spür­bar wie ein al­lerfeins­tes Aro­ma ent­hält. Trun­ken von die­ser Es­senz schrieb ich gleich in den ers­ten Ta­gen einen län­ge­ren Nach­ruf in Ro­den­bergs »Deut­sche Rund­schau«, und dann schick­te ich mich zu ei­nem grö­ße­ren Le­bens­bild an. Wie­de­r­um war ich die ein­zi­ge, die die­sen Lie­bes­dienst leis­ten konn­te, und ein sol­cher ge­hört auch zu den schöns­ten Auf­ga­ben für eine be­ru­fe­ne Fe­der. Zwar trug sich Van­zet­ti län­ge­re Zeit mit der Ab­sicht, sel­ber über den ver­stor­be­nen Freund zu schrei­ben, aber ich wuss­te wohl, dass er dazu völ­lig un­ge­eig­net war, denn er war viel zu flüch­ti­gen Geis­tes, um sich auf eine in­ne­re Auf­ga­be zu­sam­men­fas­sen zu kön­nen, und sei­ne Fe­der war auch durch die da­mals noch in den ita­lie­ni­schen Schu­len ge­lehr­te bom­bas­ti­sche Rhe­to­rik ver­dor­ben, so­dass, was so le­bens­voll und far­big wahr aus sei­nem Mun­de kam, ge­schrie­ben un­ge­nieß­bar wur­de. Un­ter den Freun­den war es nur Hil­de­brand, der dem Ver­stor­be­nen einen zwar kur­z­en, aber sehr war­men und tief­ver­ste­hen­den Nach­ruf wid­me­te, und des­sen Bru­der Otto, der Ber­li­ner Chir­urg, tat im wis­sen­schaft­li­chen Sinn das glei­che. Was sonst ge­schrie­ben wur­de, war zum größ­ten Tei­le kläg­lich. Be­son­ders ver­gräm­te mich ein deut­scher Zei­tungs­schrei­ber, der mit dem Ver­stor­be­nen beim Wein ge­ses­sen hat­te und von sei­nem »der­ben Schwa­ben­hu­mor« sprach. Ich mach­te bei die­ser Ge­le­gen­heit die Wahr­neh­mung, wie leicht ober­fläch­li­che Fe­dern in die For­mel­haf­tig­keit ei­nes ste­hen­den Bei­worts ent­glei­sen: weil Ed­gar Schwa­be war und hu­mor­be­gabt, wur­de ihm der be­ru­fe­ne der­be Schwa­ben­hu­mor zu­ge­spro­chen. Aber in Wahr­heit hat­te Ed­gar bei den fein­geis­ti­gen flo­ren­ti­ni­schen Sym­po­si­en ge­ra­de durch die un­über­treff­li­che Fein­heit sei­nes Hu­mors ge­glänzt. – Ein hei­te­res Bei­spiel sei­ner schla­gen­den Re­pli­ken war sei­ne ers­te Be­geg­nung mit dem Ma­ler Al­bert Lang, der sich ihm vor­stell­te mit den Wor­ten: Mein Name ist kurz, ich hei­ße Lang. Worauf Ed­gar a tem­po: Mein Name ist auch nicht lang, ich hei­ße Kurz. – In ähn­lich miss­ver­stan­de­ner Wei­se war mein Va­ter be­den­ken­los in der Pres­se als »ver­knorr­ter Ein­sied­ler« be­zeich­net wor­den, und vie­le ha­ben es nach­ge­schrie­ben, weil er Ein­sied­ler war und sol­che ver­knorrt zu sein pfle­gen. Dem Le­ben­den kön­nen der­ar­ti­ge Ver­zeich­nun­gen nichts an­ha­ben: er tritt her­ein, man sieht das Licht sei­ner Au­gen und das Lä­cheln sei­nes Mun­des und weiß, wen man vor sich hat. Aber an den To­ten ist je­des Fehl­grei­fen eine Schä­di­gung. Um so mehr tat es not, dass ich sel­ber das Wort er­griff, im einen und im an­de­ren Fall, um für mei­ne Lie­ben zu zeu­gen.

      Nun war vor al­lem Ed­gars schrift­li­cher Nach­lass zu sich­ten, sei­ne Ta­ge­bü­cher und die Ge­dich­te, de­ren Zahl und Vor­treff­lich­keit mich in Er­stau­nen setz­ten. Mir wa­ren ei­gent­lich nur die »Ge­s­pens­ter­lie­der« be­kannt, die er mir hand­schrift­lich ge­wid­met hat­te, köst­li­che Zeug­nis­se von der Fein­heit sei­nes Hu­mors, und sei­ne Über­set­zung To­s­ka­ni­scher Volks­lie­der, die er mir hat­te öf­fent­lich zu­eig­nen wol­len, was au­gen­schein­lich an Emp­find­lich­kei­ten von an­de­rer Sei­te schei­ter­te. Die Her­aus­ga­be die­ser Lie­der war sei­ne letz­te Freu­de ge­we­sen, er soll­te sie auf dem Ster­be­bet­te noch er­le­ben. Es sind die glei­chen Tex­te, die auch Hey­se in sei­nem ita­lie­ni­schen Lie­der­buch über­setzt hat. Die­ser schrieb, sei­ne ei­ge­ne Über­set­zung ge­fal­le ihm bes­ser, was ihm ge­wiss nie­mand ver­übeln konn­te. Al­lein der in al­len Sät­teln ge­rech­te Über­set­zer hat­te sich eine li­te­ra­ri­sche Auf­ga­be ge­stellt: die klang­schö­ne, nach Rhyth­mus und Wort­sinn mög­lichst an­ge­nä­her­te Wie­der­ga­be der ita­lie­ni­schen Ver­se. Ed­gar such­te et­was völ­lig an­de­res. Die volks­tüm­li­che Nai­vi­tät der tos­ka­ni­schen Lie­der, die sich mit ih­rer durch­ge­hen­den Ge­tra­gen­heit und gleich­mä­ßi­gen Me­trik doch nicht all­zu­weit von der Kunst­spra­che ent­fer­nen, woll­te er in den wech­sel­rei­che­ren Ton des deut­schen Volks­lieds über­tra­gen, wozu er durch man­cher­lei ihn über­ra­schen­de Ver­wandt­schaft des sprach­li­chen Aus­drucks an­ge­regt wur­de. So wie ein deut­scher Volks­dich­ter die­sen In­halt als Neu­schöp­fung be­han­delt hät­te. Das sind zwei Mög­lich­kei­ten, eine li­te­ra­ri­sche und eine volks­mä­ßi­ge, die bei­de ihre Be­rech­ti­gung ha­ben.

      Die fol­gen­den Wo­chen wa­ren aus­ge­füllt von der Ar­beit an dem Le­bens­bild des Ver­stor­be­nen, dass ei­gent­lich gar kei­ne Trau­er auf­kam: ich hat­te ihn nä­her als er mir seit lan­gen Jah­ren ge­we­sen. Ich sah ihn, wie er ne­ben mir auf­ge­wach­sen war, in zar­tes­ter Ju­gend schon sei­ne Be­ga­bung und sei­ne Ei­gen­hei­ten ver­ra­tend, mit lei­den­schaft­li­cher Ein­sei­tig­keit auf Ei­nen Punkt ge­spannt und ihn wie­der ver­wer­fend, wenn eine neue Stu­fe er­stie­gen war. Ich sah ihn als sieb­zehn­jäh­ri­gen Stu­den­ten der Phi­lo­lo­gie, als zwan­zig­jäh­ri­gen Dok­tor der Me­di­zin, zu­gleich in sei­ner Ei­gen­schaft als As­sis­tent an der Frau­enkli­nik schon Leh­rer im Fach der Gynä­ko­lo­gie, bei dem viel äl­te­re Stu­die­ren­de hör­ten. Aus ei­nem über­mü­ti­gen Ju­gend­trei­ben

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