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ich getrost dulden, obwohl ich vor Neugier förmlich brannte, endlich einmal zu erfahren, was der Kern all dieser Verwicklungen sein mochte. Es war jene Neugier, die zugleich regste Anteilnahme für eine einzelne Persönlichkeit in sich schließt, und ich machte kein Hehl daraus, daß mir Weras Bericht am allermeisten am Herzen läge.

      »Fürstin, wenn Sie nun beginnen wollten.«

      Es war zweifellos die eigenartigste Gerichtssitzung, der ich je beigewohnt hatte. Dieser Ausdruck »Gerichtssitzung« erscheint vielleicht übertrieben. Und doch paßt er vollkommen für diese Aussprache zwischen Leuten, die der Wind des Schicksals und menschliche Niedertracht hier zusammengeführt hatte.

      Chedee hatte sich bescheiden in eine andere Ecke gesetzt. Er hielt im Schoße seines ledernen Jagdrockes eine langläufige Coldrepetierpistole, eine jener Waffen, die in sicherer Hand einem Karabiner durchaus gleichwertig sind. Chedees verrostete Flinte war also auch nur Maskeradestück gewesen, und ich nahm im stillen meine arge Vermutung, sein grauer Haarzopf enthalte genügend Läuse für eine ganze Familie, mit Bedauern zurück. Chedee hatte ja auch mich und Gowin durch seine Besuche und seine harmlose Bettelei um Tabak gründlich eingewickelt. Er war als Spion für Wera Zubanoff zu uns gekommen, und jetzt erst fiel mir ein, daß seine Besuche in unserem Steinhaus zeitlich stets mit dem Auffinden der Spuren des Fremden durch uns übereinstimmten: Chedee hatte also Steenpool auf Schritt und Tritt überwacht!

      Die Fürstin, die jetzt den Kopf in die linke Hand gestützt hatte, eine Stellung, die nichts von theatralischer Pose an sich halte, sprach in kurzen, klaren Sätzen, ohne jeden Seitenhieb gegen ihre Feinde.

      »… Ich bin älter, als es scheint, Mr. Abelsen. Im Grunde bin ich bereits eine sehr alte Frau, denn die Jahre seit meiner Ehe mit Iwan Zubanoff zählen dreifach, und ich heiratete ihn im September 1923. Ich war Waise, ohne Vermögen, war zu stolz, bei reichen Verwandten Unterschlupf zu suchen und nahm eine Stellung als Erzieherin bei einem englischen Konsularbeamten in Angora, in der neuen Türkei an. – Schönheit ist ein Fluch – zuweilen. Alle Männer fanden mich schön, ich habe viele Anträge zurückgewiesen, denn ich war so unmodern, nicht nur Geld, sondern auch Liebe auf beiden Seiten zu verlangen. Jener Konsulatssekretär hieß Edward Bix.«

      Steenpool hüstelte und wehte den Rauch seiner Zigarette beiseite. »Und er ist tot …« sagte er leise.

      Die Fürstin beachtete den Einwurf nicht. »Mr. Bix und seine Familie nahmen mich sehr freundlich auf. Sie waren offenbar recht vermögend, denn allein die Reise bis Angora hatte viel Geld gekostet. Daß Mr. Bix mich lediglich als Lockvogel dorthin geholt hatte, erkannte ich zu spät. Er war nicht sehr beliebt in der Europäerkolonie, seine eigenen Landsleute gingen diesem Menschen mit dem eingefrorenen kriecherischen Lächeln aus dem Wege. Er hatte so gar nichts von einem Engländer an sich, und sein Freund und Schwager Fattmoore, Lord Douglas Fattmoore, erst recht nicht.«

      »Auch er starb,« seufzte Steenpool und betrachtete seine Zigarette, die etwas schief brannte.

      »Das weiß Mr. Abelsen bereits,« – und Wera Zubanoff wurde ein wenig ungeduldig. »Bix und Fattmoore brachten mich dann mit meinem späteren Gatten zusammen, der in Angora als armer Emigrant einen kleinen Laden für sogenannte echte antike Gegenstände besaß. – Iwan Zubanoff war der erste Mann, dem mein Herz sofort zuflog. Ich will ihn nicht weiter beschreiben, – er war Aristokrat durch und durch und dazu eine Erscheinung, die sonst nur in Romanen vorkommt. Er war Mann, ein Mann von dem Typ jener stillen, harten Melancholiker, in deren Augen das Leid eines Volkes schlummert. Was die beiden unedlen Genossen vorausgesehen hatten, traf ein: Iwan und ich verliebten uns ineinander, und sehr bald waren wir heimlich verlobt. Ich habe meinen späteren Gatten nie mit seinem Vornamen angeredet. Iwan der Schreckliche als Zar von Rußland war mir zu geläufig, und ich erfand den Kosenamen Witscha. – Er war arm, ich war arm, – unsere Liebe erschien aussichtslos. Hiermit hatten Bix und Fattmoore ebenfalls gerechnet. Nicht umsonst hatten sie sich vorher meine Photographien genau angesehen, die in einem internationalen Sportblatt erschienen waren. Zu Lebzeiten meines Vaters war ich als Siebzehnjährige die beste Reiterin auf allen Tournieren. – Witscha vertraute mir eines Tages an, daß Bix ihm einen besonderen Vorschlag zur Hebung unserer pekuniären Schwierigkeiten unterbreitet habe. Die fürstliche Familie Zubanoff hatte am Nordufer des Amur weite Ländereien besessen, zu denen auch einige wenig ertragreiche Goldgruben gehörten. Die Sowjetregierung hatte sie beschlagnahmt, und die einzige Aussicht, daraus noch Gewinn zu erzielen – so sagte Mr. Bix –, sei ein zurückdatierter Verkaufsvertrag.«

      Wera hätte kaum noch Einzelheiten zu erzählen brauchen. Ich war bereits im Bilde. Als Ingenieur, der den größten industriellen Unternehmungen gedient hatte, war ich auch in den Machenschaften von Finanzoperationen und Ähnlichem kein Fremder.

      »… Witscha war nur schwer zu überreden, zu einem betrügerischen Schritt sich herzugeben. Aber er selbst betrachtete sich als Bestohlener, die Zubanoffs waren ungeheuer reich gewesen, die Revolution hatte seinen Eltern und Schwestern unter gräßlichen Umständen das Leben gekostet, er selbst entkam wie durch ein Wunder, – jedenfalls: Mr. Bix und der in London längst unmöglich gewordene Lord Fattmoore überredeten ihn, einen Kaufvertrag zu fälschen, nach dessen Inhalt Mr. Bix bereits 1915 den gesamten Zubanoffbesitz am Amur erworben hätte. – Auch dies Geschäft blieb fragwürdig, da Bix betonte, er hätte nur geringe Aussicht, von der russischen Regierung die Ländereien zurückzuerhalten. Das, was Bix meinem Verlobten zahlte, war daher geradezu armselig. – Wir heirateten. Die Hochzeit fand in aller Stille statt, gleich nach der amtlichen Trauung wollten wir Angora verlassen. Mein Gatte begab sich nochmals in seine bisherige Wohnung, – – und … ich … sah ihn niemals wieder, ich war seine Frau und war es nicht, – er blieb verschwunden. Bix und Fattmoore gaben sich scheinbar die größte Mühe, sein Verschwinden aufzuklären. Damals schöpfte ich den ersten Verdacht gegen die beiden. Ich wurde aus einem bisher vertrauensvollen Weibe eine schlaue Heuchlerin und Intrigantin, ich mußte es werden, ich hatte keinen Freund, keinen Helfer, ich war ganz auf mich allein angewiesen, ich spionierte, ich benutzte meine Schönheit, verschlossene Lippen zu öffnen, ich narrte Männer, ich wurde fast Dirne, ich – – erreichte nach drei Jahren entsetzlicher Demütigungen das Unmögliche: Ich hatte mir die Beweise verschafft, daß Bix und der Lord meinen Gatten nach Rußland hinein verschleppt und ausgeliefert hatten.«

      Sie schwieg erschöpft, die letzten Sätze waren ihr nur wie ein einziger Schrei über die Lippen gekommen.

      Steenpool beobachtete sie mit halb zugekniffenen Lidern. Seine Mundwinkel waren tief herabgezogen, er sagte nur:

      »Ihnen sind da einige Irrtümer unterlaufen, Fürstin … Ganz so verhält sich die Sache doch nicht …«

      Ans Gowins Ecke kam ein hartes Lachen …

      »Oh nein, – sie verhält sich ganz anders, denn die Zubanoff-Ländereien hatte ich bereits 1915 gekauft, ich, damals schon Wassili Charbinow genannt und reicher, als es die Zubanoffs je gewesen! Und mein Vertrag war rechtsgültig, und Ihr Gatte, dieser Betrüger, wußte das! Ein feiner Aristokrat!!«

      Wera flog empor. Ihre bleichen Wangen, ihre sprühenden Augen, das Zucken ihrer Lippen, – ihr Griff unter das Kissen des Diwans … – aber sie hatte sich in der Gewalt, sie schob die Pistole zurück …

      »Vielleicht wird die Stunde kommen, Wassili Gowin, in der Sie vor meinem Gatten auf den Knien liegen … Sie armer Betrogener!« – und die vorgestreckte Hand, der fast überirdische Ausdruck ihrer wieder entspannten Züge verscheuchten selbst Gowins häßliches Grinsen.

      Steenpool sagte vermittelnd: »Beenden wir besser diese Aussprache, bei der ja doch nur Überzeugung gegen Überzeugung prallt … – Ich werde reden, Mr. Abelsen …«

      Und ich, hier Richter zwischen Parteien, denen Haß und … Geldgier und dumpfes Rachegefühl die Augen blendete und den Verstand behexte, beugte mich zu meinem Hunde herab, streichelte ihm den struppigen Kopf und sehnte mich nach der Einsamkeit der stillen Bucht und nach der Steinhütte und nach völligem Alleinsein.

      Menschen?!

      Hyänen, Tiger, Schlangen …

      Und ich dachte an Peter-Maugli, den kleinen Affen, der mir so oft zärtlich die Ärmchen

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