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      „Ja – falls er es nicht schon getan hat!“ nickte Harst.

      „Immerhin, es würde lohnen, in den Geschäften nachfragen zu lassen. Das kann aber erst etwa übermorgen geschehen und zwar mit Hilfe von Becherts Armee. Allein können wir das nicht bewältigen. Das Signalement der Dame muß lauten:

      Schlank, etwas über mittelgroß, blond oder dunkelblond, grüngraues Sportkostüm, gleichfarbene Sportmütze, dichter Schleier, heisere, leise Stimme, feine, schmale Hände, stark gepudert.

      Mit diesem Signalement läßt sich schon etwas ausrichten. Ohne Schleier wird Orstra sich nicht zeigen. Und gepudert wir er auch sein, damit das Gesicht durch den Schleier zarter wirkt.“

      „Allerdings – da könnten Nachfragen Erfolg haben.“

      „Ich habe auch bereits Bechert gebeten, nach dieser Dame zu fahnden. Es werden alle Hotels, alle Pensionen, alle Zimmervermieterinnen angefragt werden. Mehr läßt sich für den Augenblick nicht tun!“

      „Nein. Das stimmt. Wenn’s nur Erfolg hätte!“

      „Daß wir die fünf Millionen einbüßen, – auch damit müssen wir rechnen! Wenn Orstra zum Beispiel sofort mit dem Geldkoffer und dem Damenkostüm irgendwohin ins Freie gefahren ist, sich dort im Walde umgezogen hat und dann mit der Bahn abgereist ist, wird er seine Fährte leicht völlig verwischen können. Trotzdem hoffe ich. Ich weiß, daß flüchtige Verbrecher ungern die Eisenbahn benutzen. Und – ein Auto kann er auch nicht ohne Gefahr kaufen oder mieten. Die einschlägigen Geschäfte sind durch Bechert schon benachrichtigt.“

      „Dann hast Du freilich alles getan, was nur irgend geschehen konnte –“

      „Ich möchte noch mehr tun.“

      „Und das wäre?“

      „Ja – ich möchte einen Verbrecher gegen den anderen ausspielen –“

      „Wie das?“

      „Gumlowsky müßte Gelegenheit zur Flucht gegeben werden. Vielleicht kennt er Orstras Notschlupfwinkel. Man müßte ihm dann folgen. – Zieh’ Dich an. Das Abendessen steht bereit. Wir wollen nachher zu Bechert fahren.“

      Nicht ohne Grund habe ich in dieser Einleitung zu dem „Eichen-Abenteuer“ all diese Einzelheiten über Harsts Versuche, Orstras Spur zu entdecken, gebracht. Diese Versuche hätten vielleicht schließlich Erfolg gehabt. Besonders Harsts Idee, Gumlowsky scheinbar entweichen zu lassen, war sehr aussichtsvoll, da Gumlowsky und Orstra offenbar dicke Freunde waren und einander völlig vertrauten.

      Alles kam anderes. Und – wie es kam, das war so eigenartig, wie wohl selten der Auftakt eines unserer Probleme gewesen ist.

      Um ¾8 Uhr abends erhoben wir uns von Tisch und verabschiedeten uns von Harsts Mutter.

      Als wir im Flur die Ulster anzogen, hörten wir ein Auto vor dem Hause vorfahren.

      Es hielt. Dann läutete die Flurglocke. Ich öffnete. Ein Chauffeur war’s mit einem Brief für Harst.

      „Ich soll auf Antwort warten,“ erklärte er. „Ich bin der Chauffeur des Herrn Gutsbesitzers Domke aus Domkenhof bei Babelsberg. Ich muß draußen am Auto bleiben.“

      „Gut, warten Sie,“ sagte Harst.

      Der Chauffeur kehrte um, und wir betraten Haralds Arbeitszimmer.

      Der Brief, den Harst vorlas, lautete:

      „Domkenhof, den 18. September 19…

       bei Babelsberg.

      Sehr geehrter Herr Harst!

      Daß ich je gezwungen sein würde, Ihre Hilfe in Anspruch zu nehmen, hätte ich mir auch nicht träumen lassen. Nun – ich will nicht gerade von Hilfe sprechen. So weit ist es noch nicht.

      Ganz kurz folgendes: Ich bin ein alter Junggeselle, der sich bis vor zwei Jahren so ziemlich in allen Weltwinkeln herumgetrieben hat. Ich war einst Ingenieur, Eisenbahningenieur und habe in Indien manchen Schienenstrang entstehen sehen. Vor zwei Jahren kaufte ich mir das Restgut des früheren Rittergutes Vierlinden, taufte es in Domkenhof um und spiele nun Stoppelhopser. Das alte Schloß Vierlinden, in dem ich nur das Erdgeschoß bewohne, hat schon seine zweihundertfünfzig Jahre auf dem Buckel. Die alte Steinbude besitzt wie jedes Schloß, das etwas auf sich hält, sein Schloßgespenst.

      Lachen Sie nicht, Herr Harst. Dies Gespenst existiert!“

      „Das muß ein ulkiger Knabe sein, der Herr Domke,“ warf Harald ein.

      „Ja, Herr Harst, es spukt hier in unangenehmster Art. Wie es spukt, möchte ich Ihnen mündlich mitteilen. Ich bin schreibfaul wie alle Agrarier.

      So, das wäre Punkt eins. Denn es gibt im ganzen drei Punkte. Nun also Punkt zwei:

      Für turnerische Kunststücke bin ich im allgemeinen zu alt. Wenn ich trotzdem gestern früh auf den Turm meines Schlosses kletterte, so hatte das einen sehr prosaischen Grund. Auf dem Turm ist nämlich eine herabklappbare Fahnenstange angebracht, die zugleich Blitzableiter ist. Die Spitze dieser eisernen Stange hat der Vorbesitzer, wie ich zufällig aus einer alten Rechnung ersah, in besseren und billigeren Zeiten mit Platin belegen lassen. Wenn mir auch das Geld nicht gerade knapp ist, so wollte ich mich doch mal überzeugen, ob der Platinbelag sehr wertvoll ist. Ich sprach zu niemandem hierüber, kraxelte auf die Plattform des Turmes und – fand die Laterne!

      Das heißt: eigentlich war oder besser ist es nur eine leere Konservenbüchse ohne Deckel, in der eine elektrische Glühbirne angebracht ist, zu deren Ansatzstück zwei Drähte führen. – Sie merken wohl schon, Herr Harst, daß es mir schwer fällt, mich genau auszudrücken. – Diese Konservenbüchse lag und liegt noch in einer der Maueröffnungen des Plattformgeländers. Ich hätte ihr kaum Beachtung geschenkt, wenn ich mich eben nicht gewundert hätte, wie sie gerade hier auf die Turmplattform gelangt sein könne, die doch nur mir zugänglich ist, da ich die Schlüssel stets im Geldschrank eingeschlossen halte. – Ich will hierüber nicht zu viel schreiben. Es ist ja noch Punkt drei zu erledigen.

      Und – Punkt drei ist noch merkwürdiger. Heute nachmittag so gegen vier Uhr nahm ich meine Schrotflinte und wollte ein paar Rebhühner schießen. Als ich einen Feldweg entlangging, der nachher in den zum Gute gehörigen Wald führt, gab mein Hühnerhund plötzlich vor einem einzelnen Gebüsch Laut, das heißt, er bellte. Mit einem Male kam aus den Büschen eine verschleierte Frau, besser eine schlanke Dame heraus, die ihr Zweirad schnell auf den Weg schob und sehr rasch davonsauste, dem Walde zu.

      Na – um Weiber hab’ ich mich mein Lebtag nicht gekümmert. Ich hätte also auch diese Dame sicherlich sehr bald vergessen, wenn nicht mein Pluto in den Büschen verschwunden wäre und dort wieder Laut gegeben hätte –“

      „Merkst Du was, mein Alter?!“ sagte Harald mit einem ganz besonderen Gesichtsausdruck.

      „Orstra!“ erwiderte ich nur.

      Und er las weiter.

      „Ich drang daher in die Büsche ein und fand hier – nun werden Sie staunen! – fand hier einen Rucksack, in den ein vollständiger Männeranzug verpackt war. – Das ist seltsam, nicht wahr?! Ohne Zweifel hatte doch die Dame den Rucksack hier zurückgelassen. Ich folgte der Radlerin denn auch, da der Weg im Walde so schlecht wird, daß sie ihr Rad hätte schieben müssen. Und – im Marschieren, dachte ich, da bist Du ihr über. Meine Berechnung stimmte: ich holte sie ein! – Ich sagte zu ihr: „Haben Sie vielleicht dort am Waldesrande im Gebüsch Ihren Rucksack vergessen?“

      „Rucksack?!“ fragte sie lachend. „Nein. Ich habe gar keinen mitgehabt.“

      „Sahen Sie denn den Rucksack nicht? Er lag doch dort, wo Sie den Spuren nach mit Ihrem Rade gewesen sind!“

      „Gewiß sah ich ihn. Ich glaubte, er gehöre einem Feldarbeiter.“

      Na – das war ja eine ganz vernünftige Antwort. Aber trotzdem: mir schien es so, als ob das Weib schwindelte. – Wer

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