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die Angespanntheit aus Ben Naders Gesicht. »Ja, Lea van Rouwen hat zwei Jahre vor mir 1007 Punkte erreicht. Sie war unglaublich gut. Gott, ist das lange her. Wenn ich darüber nachdenke, was in der Zwischenzeit alles geschehen ist … Aber sag, wo ist deine Unterkunft?«

      »In der dritten Ebene.«

      Sein Vater nickte. »U3 … Dort sind die Experts untergebracht.«

      Experts waren die Schülerinnen und Schüler, die die Zwischenprüfung erfolgreich abgelegt hatten. Ihr Unterrichts- und Trainingsprogramm unterschied sich von dem der Rookies, der Anfänger, weil es praxisnaher war. Zudem nahmen Experts hier und da schon an realen Außeneinsätzen als Beobachter teil.

      »Ja, ich wohne da, seit …«

      »Ich hörte davon.« Er wandte sich Nick vollends zu und legte ihm die Hände auf die Schultern. »Ich schlage vor, wir gehen in deine Unterkunft, und du erzählst mir von London. Und von allem anderen, was in den letzten Jahren passiert ist, in denen du von einem Kind zu einem jungen Mann geworden bist. Ich weiß, ich kann diese Zeit nicht nachholen, aber vielleicht kann ich so doch ein wenig daran teilhaben.«

      »Wirst du mir dann auch erzählen, was du in dieser Zeit erlebt hast?«

      Für einen kurzen Moment huschte wieder der Schatten über Ben Naders Gesicht, doch gleich darauf lächelte er. »Na klar. Also, lass uns gehen.«

      Auf dem Weg zum Aufzug und in der Kabine erzählte Nick von seiner Ausbildung.

      In seiner Unterkunft angekommen, sah sein Vater sich um. »Alles etwas moderner als damals bei uns. Aber die Zeiten ändern sich halt.« Dabei richtete sein Blick sich an Nick vorbei auf einen Punkt in der Unendlichkeit.

      Nick beobachtete ihn ein paar Atemzüge lang und stellte erneut fest, dass sich etwas Unbekanntes in Ben Naders Wesen eingeschlichen hatte. Etwas Fremdes, eingefasst von einer Hülle aus Vertrautem.

      »Erzählst du mir jetzt, was in den letzten drei Jahren geschehen ist?« Nick fragte es wie beiläufig, obwohl das genau die Frage war, die ihm wie nichts anderes unter den Nägeln brannte.

      Der Blick seines Vaters richtete sich auf ihn, ohne dass Nick sicher war, dass er ihn auch tatsächlich ansah.

      »Das werde ich, mein Sohn. Aber zuerst muss ich hören, was die Leute von der Inneren von mir wollen, die bald hier ankommen werden.«

      »Ja, der Direktor sagte das ja schon. Wer sind die von der Inneren?«

      »Das ist die Abteilung, die sich mit den Mitarbeitern befasst.« Als Nick ihn noch immer verständnislos anblickte, verzog sich Ben Naders Mund zu einem humorlosen Lächeln. »Die interne Polizei. Sie haben in den letzten Tagen versucht herauszufinden, ob ich denen irgendwelche Geheimnisse verraten habe. Oder ob sie es geschafft haben, mich umzudrehen.«

      Und nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »So wie Martin.«

      Nick zuckte innerlich zusammen und fragte sich, ob das mit der Erwähnung dieses Namens zusammenhing oder …

      Die Hände seines Vaters legten sich auf Nicks Schultern. »Nick. Du hast mittlerweile ja erfahren, dass ich wollte, dass du diese Ausbildung machst. Ich habe recht früh entdeckt, dass du diese Begabung von mir geerbt hast. Nur dass sie bei dir schon als Kind viel ausgeprägter war, als sie es bei mir je sein wird. Ich dachte, wenn die Natur jemandem eine solche Gabe in die Wiege legt, dann hat das seinen Grund. Ich war überzeugt, dass diese Fähigkeit nicht nur ein Geschenk ist, sondern auch die Verpflichtung mit sich bringt, sie zum Wohle der Menschen einzusetzen.«

      Sein Blick wurde wieder gläsern. »Vielleicht habe ich mich getäuscht.«

      Nick riss die Augen auf. »Was? Aber … warum?«

      »Später. Ich werde dir alles erklären.«

      »Nick«, meldete sich Bruno. »Dein Vater soll ins Büro des Direktors kommen.«

      »Du sollst zum Direktor«, gab Nick gehorsam weiter. »Wo ist eigentlich dein CBPI? Du hattest doch eins, oder?«

      Dabei versuchte er, sich daran zu erinnern, ob ihm während ihrer kurzen gemeinsamen Aktivitäten einmal im Jahr das flache Armband am Handgelenk seines Vaters aufgefallen war, schalt sich aber gleich darauf einen Narren, weil er vergessen hatte, dass Agenten, die ihre Ausbildung abgeschlossen hatten, ihr Interface unter die Haut im Nacken implantiert bekamen.

      »Du hast wohl vergessen …«, setzte Bruno auch gleich an, verstummte aber, als Nicks Vater sagte: »Sie haben es mir gleich am Anfang rausgeschnitten«, und sich abwandte.

      »Warte hier auf mich. Wenn ich zurückkomme, werde ich dir alles erzählen, was du wissen möchtest.«

      Er wandte sich ab, hielt aber nach zwei Schritten inne und drehte sich noch einmal zu Nick um. »Wir werden ein paar Tage irgendwohin fahren. So wie früher, nur du und ich, okay?«

      »Ja«, antwortete Nick. »Sehr gerne.« Es waren nie nur du und ich gewesen, dachte er. Martin war doch immer dabei.

      Nachdem die Tür sich hinter seinem Vater geschlossen hatte, ließ Nick sich auf sein Bett fallen und starrte durch das Glas des Kuppeldaches gegen die blaue Decke der Ebene, die sich etwa zwanzig Meter über ihm befand.

      Was war nur los mit ihm? Sein Vater, von dem er nicht einmal sicher gewusst hatte, dass er überhaupt noch am Leben war, tauchte nach über drei Jahren wieder auf, und es ging ihm verhältnismäßig gut. Aber anstatt sich vorbehaltlos darüber zu freuen, anstatt vor Glück herumzuhüpfen und zu jubeln, verhielt er sich, als ob … ja, als ob was eigentlich?

      Als ob dein Vater dir nicht die ganze Wahrheit erzählt, ergänzte eine Stimme in seinem Inneren. Sie klang leise, zischelnd wie eine hinterhältige Schlange, aber sie war da und sie kam aus ihm selbst. Aber er wird mir alles erzählen, wenn er zurückkommt, antwortete Nick gedanklich. Das hat er doch gesagt.

      »Worüber grübelst du nach?«, riss Bruno ihn aus diesen Gedanken, als hätte er etwas gespürt, und Nick war ihm dankbar dafür.

      »Ach, ich weiß nicht …«

      »Das ist seltsam, um nicht zu sagen unmöglich. Da es deine eigenen Gedanken sind, musst du wissen, worüber du nachdenkst, denn es ist wissenschaftlich gesehen unmöglich, dass …«

      »Ja, ja, ja, ist ja schon gut. Ich denke über meinen Vater nach, okay?«

      »Das erscheint mir logisch, nachdem er nach so langer Zeit wieder aufgetaucht ist. Aber ich höre in deiner Stimme einen seltsamen Unterton. Worüber machst du dir Sorgen?«

      »Ich weiß es nicht genau. Und sag mir jetzt bloß nicht, dass das unmöglich ist. Es ist so! Ich weiß es wirklich nicht.«

      »Wenn du es sagst …«

      Nick fragte sich, ob Computer in der Lage waren zu grummeln. Zumindest hörte sich das Geräusch, das anschließend aus dem winzigen Lautsprecher hinter Nicks Ohr kam, wie ein unzufriedenes Grummeln an. Aber was Bruno betraf, hatte Nick sich das Wundern mittlerweile sowieso abgewöhnt.

      Irgendwann musste er eingeschlafen sein, denn als Bruno seinen Namen nannte, schrak Nick zusammen und sah sich verwirrt um, bis er sich wieder erinnerte.

      »Nick?«

      »Ja, ich bin wach. Was gibt’s?«

      »Jetzt verlangt Direktor Faber nach dir.«

      »Nach mir?«

      »Das sagte ich doch gerade.«

      Nick richtete sich auf und schüttelte die letzte Benommenheit von sich ab. »Was will Faber denn von mir?«

      »Ich bin nun seit über drei Jahren mit deinem Nervensystem verbunden, kann also annehmen, dass du weißt, dass ich dir den Grund gesagt hätte, sofern er mir bekannt gewesen wäre. Da ich aber nichts dergleichen …«

      »Bruno!«

      »Ja?«

      »Halte bitte dein geschwätziges Sprachmodul.«

      Nick schwang

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