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der russischen Sturmgewehre, die der Grund für Nicks Anwesenheit auf dem ehemaligen Fabrikgelände nur wenige Kilometer südlich von Berlin waren. Wenn die Informationen stimmten, die der BND von einer geheim gehaltenen Quelle aus dem Ausland erhalten und an die Spezialabteilung weitergegeben hatte, mussten bald die Abnehmer der illegalen Waffen auftauchen.

      Zu seinem Leidwesen bestand Nicks Auftrag lediglich darin, zu beobachten und zu lernen, wie es der Leiter der Spezialschule, Direktor Faber, ausgedrückt hatte.

      Nick hörte das Motorengeräusch im gleichen Moment, in dem der Innenhof ins Licht starker Autoscheinwerfer getaucht wurde. Er drückte sich noch enger in die Nische. Das mussten die Käufer sein.

      »Alles klar, jetzt Ruhe bewahren«, hörte er die Stimme des BND-Agenten, der über das Computer Based Personal Interface mit ihm verbunden war, direkt in seinem Kopf. Bruno, wie Nick sein CBPI getauft hatte, war ein hochentwickeltes Computersystem, das als hauchdünnes Armband wie eine zweite Haut um sein Handgelenk lag und mit seinen Nervenzellen verbunden war. Bruno kommunizierte mit Nick über einen winzigen Lautsprecher, der unter der Haut hinter seinem Ohr saß. Da der Agent mit Bruno verbunden war, hörte Nick auch dessen Stimme auf die gleiche Weise.

      »Keiner rührt sich.«

      Der Deckname des Mannes war Milchmann, was immer er sich auch dabei gedacht hatte. Andererseits … Nick hatte sein CBPI ja auch Bruno getauft.

      Insgesamt waren zehn Agenten auf dem Gelände, aber Milchmann war als Einsatzleiter der Einzige, der mit Nick in Kontakt stand. So konnte Nick alle Befehle mithören, die Milchmann den Agenten und Agentinnen seines Teams gab.

      Der Wagen, eine schwarze Limousine, parkte direkt neben dem Eingang. Vier Männer stiegen aus und sahen sich auf dem Vorplatz um, bevor drei von ihnen dem Kerl mit dem Gewehr zunickten und gemeinsam mit ihm in dem alten Ziegelsteingebäude verschwanden.

      Der vierte, ein bulliger Typ mit Glatze in schwarzem Sakko, postierte sich neben der Tür und beobachtete mit grimmiger Miene den Platz.

      »Abwarten«, befahl die ruhige Stimme. »Wir geben ihnen noch zwei Minuten, dann müsste die Übergabe in vollem Gange sein.« Einen Atemzug später hörte Nick ein Knacken, dann wieder die Stimme des Einsatzleiters. »SPY, hörst du mich?«

      »Ja«, antwortete Nick mit einiger Verzögerung leise. Den Decknamen durfte er seit seinem Einsatz in London tragen. Da der aber erst drei Monate her war, hatte er sich noch nicht wirklich daran gewöhnt, dass er im Einsatz so genannt wurde.

      »Wir gehen jetzt rein. Du bleibst, wo du bist, bis ich mich wieder bei dir melde.«

      »Aber ich könnte doch …«, setzte Nick an, wurde jedoch von Milchmann unterbrochen. »Du bist fünfzehn Jahre alt und noch in der Ausbildung. Du tust, was ich dir gesagt habe, und wartest. Ende.«

      »Ich weiß ja, dass ich nur …«

      »Das kannst du dir sparen«, hörte Nick nun Brunos Stimme. »Er hat dich abgeschaltet.«

      Nick verkniff sich einen Fluch und beugte den Kopf ein kleines Stück vor. Der Glatzkopf stand noch immer am gleichen Platz. Er wollte sich schon wieder in die Nische drücken, als er aus den Augenwinkeln eine Bewegung am Ende des Gebäudes wahrnahm. Nick kniff die Augen zusammen und blickte angestrengt in die Richtung. Ohne Zweifel, es handelte sich um einen menschlichen Körper, der am Ende des Gebäudes so hinter einem Baum stand, dass Nick ihn von seiner Position aus zwar sehen konnte, jemand, der von vorne kam, aber wahrscheinlich nicht.

      Er hatte keine Ahnung, wo der Mann hergekommen war, aber wahrscheinlich hatten die BND-Leute ihn noch nicht entdeckt. Und er trug ebenfalls ein Gewehr.

      »Milchmann, hören Sie mich?«, zischte Nick aufgeregt mit gedämpfter Stimme.

      »Nein«, antwortete Bruno. »Wie ich schon bemerkte, hat …«

      »Ja, ja«, fiel Nick seinem CBPI ins Wort. »Verdammter Mist, was mache ich denn jetzt?«

      Erneut lugte er um den Mauervorsprung. Der Kerl stand noch immer so, dass die Agenten ihn nicht sehen würden.

      »Am besten das, was man dir gesagt hat: warten.«

      Nick antwortete nicht, seine Gedanken überschlugen sich. Er hatte keine Möglichkeit, Milchmann zu warnen. Wenn die Agenten jetzt …

      Ein kaum wahrnehmbares Plopp war von rechts zu hören, wo die BND-Männer sich hinter den Resten der ehemaligen Begrenzungsmauer des Fabrikgeländes versteckt hielten, dann brach der Türsteher lautlos zusammen, zuckte noch einmal mit den Beinen und blieb reglos liegen.

      Elektrogeschoss, wusste Nick. Diese neu entwickelte Munition verletzte den Getroffenen nicht ernsthaft, versetzte ihm beim Auftreffen aber einen Stromschlag, der ihn sofort und für eine Weile außer Gefecht setzte. Was blieb, war ein blauer Fleck vom Aufprall des Geschosses.

      Nick blickte zu dem Kerl hinter dem Baum hinüber, der das Zusammenbrechen des Türstehers ebenfalls gesehen hatte und das Gewehr in Anschlag brachte, während er sich dichter an den Baum drückte.

      Gleichzeitig lösten sich von rechts mehrere Gestalten aus den Mauertrümmern und näherten sich in geduckter Haltung dem Gebäude. Sie sahen den Mann hinter dem Baum nicht, so viel war jetzt sicher. Nick spürte einen Anflug von Panik in sich aufsteigen, schaffte es aber, ihn zu unterdrücken. Er musste einen klaren Kopf bewahren, davon konnte jetzt nicht nur das Gelingen des Einsatzes abhängen, sondern auch das Leben der Agenten.

      Wenn er die BND-Männer warnte, würde der Mann womöglich das Feuer eröffnen. Er hatte von seinem Platz aus freies Schussfeld. Die Agenten waren ungeschützt und hätten keine Chance, sich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen. Nein, das war keine Option. Es gab nur eine Möglichkeit, und er durfte keine Sekunde zögern.

      Bis zum Ende des Gebäudes auf seiner Seite waren es nur wenige Meter. Nick verließ seine Deckung und lief dicht an der Mauer entlang, bis er um die Ecke schlüpfen konnte. Dann spurtete er los, lief seitlich an dem Gebäude entlang und gelangte schließlich zur Rückseite. Hier gab es keine Beleuchtung, aber der fast volle Mond spendete genügend Licht, sodass Nick halbwegs erkennen konnte, wohin er seine Füße setzte. Er hatte das Ende der Rückseite beinahe erreicht und näherte sich dem bewaffneten Mann somit von hinten, als er über einen am Boden liegenden Stein stolperte und fast gestürzt wäre. Im letzten Moment schaffte er es, sich an der Gebäudemauer abzustützen. Er konnte nur hoffen, dass der Kerl mit der Waffe die Geräusche nicht gehört hatte. Aber er hatte keine Zeit für solche Gedanken, jede Sekunde zählte.

      Er stieß sich ab und lief weiter, bog mit Schwung um die Ecke und … stand vor dem Mann, der das Gewehr im Anschlag hatte. Die Mündung war auf Nicks Kopf gerichtet.

      Noch während Nick vom eigenen Schwung getrieben einen letzten Schritt auf den Kerl zumachte, spürte er, dass sich etwas veränderte, und er wusste auch, was anders war.

      Er war gesprungen. Dieses außergewöhnliche Phänomen, seine Begabung, war zum Glück zum richtigen Zeitpunkt aufgetreten. Noch immer verstand Nick nicht völlig, was genau passierte, wenn sein Körper in Gefahrensituationen im Bruchteil einer Sekunde ein Vielfaches der normalen Menge an Adrenalin produzierte und ihn damit befähigte, so schnell zu reagieren und zu denken, dass es für ihn den Anschein hatte, alles um ihn herum laufe in extremer Zeitlupe ab. Leider schaffte er es noch immer nicht, diesen Prozess bewusst einzuleiten oder zu steuern, was schon in so mancher Situation hilfreich gewesen wäre.

      Auch jetzt bewegte sich der Mann vor ihm plötzlich so unglaublich langsam, dass Nick seine Bewegungen kaum wahrnehmen konnte, während er um ihn herumlief und einen orangengroßen Stein vom Boden aufhob. Nur kurz zögerte er, dann hob er die Hand mit dem Stein und ließ sie auf die Schulter des Mannes niedersausen. Dann beobachtete er gespannt, was geschah.

      Er wusste, es würde eine Weile dauern, bis der Effekt eintrat. Erst begann sich das Gesicht des Kerls im Zeitlupentempo schmerzhaft zu verzerren, dann lösten seine Hände sich vom Gewehr. Alleine das dauerte für Nicks Gefühl mindestens zehn lange Sekunden, während für seinen Gegner nur ein kurzer Moment verging. Als die Waffe frei war und unendlich langsam in Richtung Boden fiel, griff Nick zu, machte zwei

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