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er anfangen sollte. Sein Vater hatte sich in den letzten dreieinhalb Jahren verändert. Er war schmaler geworden, das Gesicht wirkte dadurch länger, fast ein wenig eingefallen.

      »Wo warst du denn die ganze Zeit?« Es war die brennendste aller Fragen, doch statt seines Vaters antwortete Direktor Faber.

      »Setzen wir uns, Nick, dann kann dein Vater dir erzählen, was du wissen möchtest.«

      Während sie sich in die schweren Sessel sinken ließen, konnte Nick den Blick keine Sekunde von dem Mann abwenden, der ihm so vertraut und doch auch auf eine Weise fremd vorkam, die ihn verwirrte. Vielleicht lag das aber auch einfach daran, dass sie sich so lange nicht gesehen hatten.

      Ben Nader nahm einen Schluck aus dem Glas, das vor ihm stand. Als er es wieder abstellte, bemerkte Nick, dass seine Hand ein wenig zitterte.

      »Ich bin die ganze Zeit über auf einer Farm gefangen gehalten worden, die weit abgelegen von der nächsten menschlichen Ansiedlung liegt. Vor einer Woche konnte ich mich befreien.«

      »Vor einer Woche?«, entfuhr es Nick.

      »Ja. Die letzten Tage habe ich in der Zentrale verbracht. Ich hätte mich schon früher bei dir gemeldet, aber das Prozedere in einem solchen Fall verlangt, dass man erst einmal isoliert wird, bis alles berichtet ist.«

      »Hm … Und wo liegt diese … Farm?«

      Ben Naders Stimme senkte sich. »Weit weg. Dort hätte man mich niemals gefunden. Sie liegt mitten im Urwald in der Demokratischen Republik Kongo.«

      »Kongo?« Nick dachte sofort an London und an Djuma Bangala, den Botschafter des afrikanischen Staates, den er dort kennengelernt hatte.

      »Ja. Die Leute, die mich dort festhielten, gehören einer Organisation an, hinter der ich her war, als …«

      »Victor Dragos Organisation?«, fragte Nick.

      Ben Nader zog überrascht die Stirn kraus. »Stimmt, du kennst diesen Namen ja mittlerweile.«

      »Ja, davon erzähle ich dir später. Warum hat Drago dich dort festgehalten? Und wieso bist du jetzt wieder frei?«

      »Sie haben versucht, mich umzudrehen und mich dann gegen den BND einzusetzen.« Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Wie Martin.«

      »Du weißt, was er getan hat und dass ich ihm in London begegnet bin?«, fragte Nick nur zum Teil überrascht. Davon hatte man seinem Vater sicher schon berichtet.

      Nick hatte auch schon geahnt, dass sein Vater Martin schon vor seiner Gefangennahme nicht mehr vertraut hatte. Warum hätte sein letzter Anruf sonst Bob in London gegolten statt seinem Freund Martin?

      »Ja. Ich hatte in unserer letzten gemeinsamen Zeit schon einen Verdacht, war mir aber nicht absolut sicher. Irgendwann im ersten Jahr in Afrika konnte ich ein Gespräch meiner Wächter belauschen und habe gehört, dass er sich hat kaufen lassen.« Nicks Vater machte eine Pause, in der seine Augen schimmerten. »Die Gier nach Geld und Macht … Er konnte wohl nicht widerstehen.«

      »Da sind wir genau an dem Punkt, an dem wir eben unterbrochen wurden«, hakte Faber ein. »Lassen wir Martins Verrat mal außen vor. Wie ist es Ihnen gelungen, nach über drei Jahren zu fliehen?«

      Ben Naders Blick richtete sich am Direktor vorbei und wurde gläsern. »Ich hatte großes Glück.« Nach einer Weile, in der sie sich anschwiegen, hob Faber die Schultern. »Was genau bedeutet das?«

      »Ich musste in den letzten beiden Jahren einmal in der Woche zum Gespräch, wie sie es nannten. Das war nichts anderes als Gehirnwäsche. Ich wurde auf einem Stuhl angekettet, dann hat mir einer von Dragos Führungsleuten vorgebetet, wie korrupt alle Regierungen dieser Welt sind und wie sehr das Volk belogen und betrogen wird, damit die wenigen, die an der Macht sind, immer mächtiger und reicher werden.« Nun richteten sich die Augen von Nicks Vater wieder auf den Direktor. »Das alles wurde untermauert mit angeblichen Beweisen. Streng geheime Regierungsdokumente, Fotos, Filme … Sehr glaubhaft aufbereitet und dargestellt.«

      Fabers Braue hob sich. »Glaubhaft?«

      »Ja. Ein normaler Bürger hätte wahrscheinlich schon nach wenigen Wochen wutentbrannt die Seite gewechselt, so geschickt haben sie das gemacht. Hätte ich nicht während der Ausbildung gelernt, wie diese Organisationen arbeiten, wenn sie versuchen, jemanden umzudrehen, wäre ich vielleicht auch irgendwann eingeknickt.«

      »Wie muss ich mir das vorstellen? Beschreiben Sie doch bitte genauer, was dort geschehen ist.«

      Nicks Vater sah kurz zu ihm herüber, dann schüttelte er den Kopf. »Eigentlich wollten Sie doch wissen, wie ich entkommen bin. Alles andere hat noch Zeit.« Er nahm einen Schluck aus seinem Glas und räusperte sich. »Wie schon gesagt, hatte ich großes Glück. Anfangs haben sie mich immer zu zweit von meinem Zimmer in den Gesprächsraum und danach wieder zurückgebracht. In den letzten Monaten wurde ich nur noch von einem Mann begleitet. Ich hatte im Laufe der Zeit zum Schein hier und da zu erkennen gegeben, dass ich entsetzt war über die Wahrheit, die Dragos Leute mir vor Augen führten. Offenbar glaubten sie, dass ich im Begriff war, einzuknicken. Sie lockerten die Bedingungen meiner Gefangenschaft. Ich wurde zwar nach wie vor in mein Zimmer eingeschlossen, aber ich bekam sogar einen Fernseher, in dem den ganzen Tag Nachrichtensender liefen. Vieles von dem, was dort berichtet wurde, haben sie dann beim nächsten Gespräch als angebliche Propaganda entlarvt.« Er schüttelte den Kopf. »Aber ich schweife ab. Wie gesagt, ich hatte Glück. Als ich das letzte Mal in mein Zimmer zurückgebracht wurde, stand eine der Türen, an denen wir vorbeikamen und die normalerweise immer geschlossen waren, ein Stück weit offen. Durch den Spalt konnte ich nach draußen sehen. Mir war sofort klar, dass das eine Chance zur Flucht war, die ich wahrscheinlich nie wieder bekommen würde. Mein Begleiter war von meinem Angriff völlig überrascht. Ich konnte ihn überwältigen und fliehen.«

      »Hat man dich denn nicht verfolgt?« Es war das erste Mal, seit sein Vater mit den Schilderungen begonnen hatte, dass Nick es wagte, etwas zu fragen.

      »Doch, aber es dauerte ein paar Minuten, bis meine Flucht bemerkt wurde. Die Farm steht auf einer Lichtung und ist von dichtem Urwald umgeben. Als sie mit der Suche nach mir begannen, war ich schon von diesem grünen Irrgarten verschluckt.«

      »Tja …« Faber betrachtete seine Fingerspitzen. »Da kann man wirklich von Glück reden.« Er ließ die Handflächen auf die Oberschenkel fallen und stand auf. »Ich denke, Sie beide werden sich viel zu erzählen haben. Allerdings werden die Kollegen von den Abteilungen Internationaler Terrorismus und Organisierte Kriminalität und eine Kollegin vom Inneren Dienst in etwa zwei Stunden eintreffen. Sie möchten sich noch mal mit Ihnen unterhalten. Nutzen Sie also die Zeit bis dahin.«

      Nicks Vater, der ebenfalls aufgestanden war, verharrte inmitten der Bewegung und sah Faber skeptisch an. »Was wollen die denn schon wieder von mir? Und wieso kommen sie hierher? Ich war doch bis gestern noch bei ihnen in der Zentrale!«

      Der Direktor winkte ab. »Das werden die Ihnen selbst erzählen. Jetzt genießen Sie die Zeit mit Ihrem Sohn.«

      Während Nick gemeinsam mit seinem Vater den Raum verließ, beschlich ihn ein ganz seltsames Gefühl, ohne dass er hätte sagen können, was genau es auslöste.

      3

      Das Vorzimmer war leer, wahrscheinlich war Carol unterwegs, um etwas zu erledigen.

      Nick konnte nicht anders, er musste seinen Vater immer wieder ansehen, während sie auf den Ausgang zusteuerten. Dabei fiel ihm der angespannte Ausdruck auf, der sich wie ein Schatten über das hagere Gesicht gelegt hatte. Vor dem Gebäude blieb Ben Nader stehen und sah sich um. »Seltsam, wie bekannt mir das alles noch vorkommt. Als hätte ich die Schule erst vor einer Woche verlassen.«

      »Ich habe die Tafel mit deiner Punktzahl gesehen, als ich hier vor über drei Jahren angekommen bin«, sagte Nick, obwohl er viel lieber darüber geredet hätte, wie sehr er seinen Vater in der ganzen Zeit vermisst hatte. Wie viele Nächte er wach gelegen oder in quälenden Albträumen gesehen hatte, wie Ben Nader auf immer andere Weise ums Leben gekommen war. »Du warst Jahrgangsbester

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