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      Nicht einmal die Vögel trauten sich jetzt scheinbar noch, Geräusche zu verursachen. Sie hockten in den Bäumen oder kreisten über der blutroten Erde und schauten nur stumm hinunter.

      Langsam herrschte spukhaftes Schweigen über dem Gelände, weil die Schüsse aufgehört hatten, und die Insekten sich nun ungehindert an den Toten laben konnten.

      Stunden später, als die Flammen erloschen waren und nichts weiter übrig geblieben war, als die zertrümmerten, verbrannten Spuren von Menschlichkeit beziehungsweise dem Dorfleben – ein einziges Gewühl im Matsch –, regte sich wieder etwas im Ort.

      Dunkle Umrisse gingen plötzlich inmitten der Rauchschwaden um.

      Entstiegen aus der Asche geisterten die unheimlichen Schatten still und schwerfällig durch die Trümmer, scheinbar getrieben von einer unsichtbaren Macht.

      Eine Frau mit von der Brust bis zur Leiste aufklaffendem Leib, sodass ihre dicken, fleckigen Eingeweide hervorquollen und auf den unbefestigten Boden vor ihr fielen, setzte sich nun in Bewegung. Weder schlug das Herz in ihrem Körper, noch floss das Blut in ihren Adern, denn es war längst geronnen und kalt.

      Sie lebte nicht mehr.

      Aber ihre Finger zuckten – kaum merklich zuerst, doch bald scharrten sie in der schwarzen Erde und sie vergrub ihre abgebrochenen Fingernägel tief in den weichen Boden.

      Mit jeder verstreichenden Minute wurde ihr Körper agiler. Muskeln, die sich infolge der Totenstarre bereits verhärtet hatten, kontrahierten nun ruckartig, als ob die Gliedmaßen versuchten, ihre Funktion wiederzugewinnen. Ihr Mund ging auf und ein Stöhnen erbrach sich aus ihrer Lunge, als dem leblosen Körper die Luft entwich, welche sie zuletzt eingeatmet hatte. Dann schnappten ihre Kiefer wieder zu – so fest, dass man hören konnte, wie die Zähne aufeinandertrafen.

      Schließlich schlug die Frau ihre Augen auf. Sie waren ohne Herzschlag ausdruckslos und matt und zeigten keinen Funken Leben. Der blasse Film, von dem ihre Netzhäute überzogen waren, verhehlte jeglichen Anflug von Beseeltheit, während sie mit geweiteten, schwarzen Pupillen zum hellblauen Himmel über sich starrte und doch nichts sah.

      Weitere Leichen gerieten nun ebenfalls in Wallung.

      Dutzende von verstümmelten und grotesk verdrehten Gestalten rafften sich beschwerlich auf, ungeachtet ihrer Verletzungen und der aufgeblähten schwarzen Fliegen, die sich auf sie gestürzt hatten und pausenlos summend durch die Luft schwirrten.

      Während die Sonne über den Baumwipfeln herabsank, torkelten die schattenhaften Gebeine der misshandelten Dorfmenschen durch die Ruinen und anschließend hinaus auf den staubigen Fahrweg.

      Kapitel 3

      Syrien

      Der Himmel war hellblau geworden, doch die Sonne würde erst in einer Stunde am Horizont aufgehen und beginnen, die Landschaft mit ihrem Licht zu wärmen. Da das Jahr gerade erst begonnen hatte, waren die Nächte noch immer bitterkalt; die frostige Februarluft auf der nackten Haut zu spüren, kam einem unvermittelt kräftigen Schlag gleich.

      Den Boden überzog eine feine Schicht Raureif, deren mikroskopische Kristalle wie eine über der gefrorenen schwarzen Kruste ausgebreitete Sternendecke glitzerten. In der strengen Kälte schien das felsige Terrain fester denn je zu sein, so als hätten die niedrigen Temperaturen selbst die spitzen Kanten der kleinsten Kiesel verhärtet.

      Aber er blieb still.

      Sein Atem war gleichmäßig und wurde umgehend als weißer Nebel sichtbar, der über seinem Kopf aufstieg und in der kalten Luft rasch verflog. Er drückte seinen massigen Körper fest auf den Boden, sodass er fast darin einsank und eins mit dem Gelände wurde, während er seine Aufmerksamkeit unentwegt auf den Zielbereich richtete, der vor ihm lag.

      Seine unerschrockenen grünen Augen und die angespannte Miene ließen erkennen, wie unangenehm ihm ihre gegenwärtige Situation war. Er stieß einen leisen Seufzer aus und rutschte anschließend ein wenig herum, damit seine steifen Muskeln und schmerzenden Knochen kurz von den eisigen Temperaturen verschont wurden, die zu ertragen, sie die ganze Nacht über gezwungen gewesen waren.

      Seit vier Wochen trotzten sie nun schon den Elementen und litten unter den klimatischen Extremen der Region, wobei sie ihre Körper und deren Kondition bis an die Grenzen treiben mussten. Systematisch hatten sie alle Informationen gesammelt, die sie brauchten, um nun die letzte Phase einzuläuten. Jeder Punkt ihres Plans war bis ins kleinste Detail überprüft worden. Sie hatten nichts dem Zufall überlassen, sondern mehrere Notlösungen und Alternativen ersonnen, auf die sie jederzeit nach Empfang eines bestimmten Codeworts ihres Kommandanten per Funk zurückgreifen konnten.

      »Mich kotzt das Ganze hier an, Marty«, brummte er seinem Nebenmann zu. »Warum schicken sie uns zur Abwechslung denn nicht mal in ein Land mit angenehmem Wetter?«

      Marty zuckte nur mit den Achseln und zwinkerte dann mehrmals schnell hintereinander, um besser fokussieren zu können, nachdem er die Augen von seinem Wärmebildgerät abgewandt hatte. Er rang sich ein schiefes Lächeln ab.

      »Ich glaube, auf Antigua findet man momentan keine Verwendung für unseresgleichen, Bull«, erwiderte er kaum lauter als flüsternd.

      Sein Kamerad schnaubte daraufhin.

      Eigentlich hieß er Manus, doch der Spitzname Bull verfolgte ihn schon sein ganzes Erwachsenenleben lang. Er wusste noch, dass einige seiner vielen Pflegeeltern ihn als »wutschnaubenden Bullen« bezeichnet hatten. Takt- oder Feingefühl waren noch nie seine Stärken gewesen, und er ging stets alles in seinem Leben ohne Umschweife an, mit roher Gewalt und vollem geistigen und körperlichen Einsatz, so als gehe es in jeder Situation um Leben oder Tod.

      Gefälligkeit und Diplomatie waren Fremdwörter für ihn, weshalb er grundsätzlich schneller mit seinen Fäusten als mit der Zunge reagierte.

      Seiner eigenen Auffassung zum Trotz ergab sich sein Kosename aber nicht aus seinem Charakter oder aus seinem muskulösen Wuchs heraus. So war er erstmals als junger Soldat gerufen worden, und niemand – nicht einmal seine engsten Freunde – hatten je den Mut aufgebracht, ihn über die wahre Herkunft des erhaltenen Titels aufzuklären.

      Schon früh im Lauf seiner Karriere bei der Armee, als er in der Garnisonsstadt Aldershot in Südengland stationiert gewesen war, hatte der schroffe, gutaussehende Manus die Aufmerksamkeit der Damenwelt vor Ort geweckt. In den Gaststätten und Klubs hatten sich nicht wenige wegen seiner breiten Schultern und den stechenden Augen umgedreht.

      Kurz darauf hatte es eine Glückliche geschafft, ihn zu bezirzen, wenn auch nur für eine Nacht. Zufälligerweise war auch sie mit einem Spitznamen bedacht worden – Machinegun's Mary, ein regelmäßiger Gast im Kasernenblock des Zugs der schwer bewaffneten Infanterie. An den Wochenenden hatte sie die meisten Nachmittage und Abende damit verbracht, von einem Zimmer zum nächsten zu schleichen und sich die Zeit mit den dort wohnenden Soldaten zu vertreiben, nicht selten sogar mit mehreren gleichzeitig.

      Nachdem es ihr eines Abends gelungen war, den angetrunkenen Manus zu verführen, hatte sie ihn dazu überredet, sie mit zur Kaserne zu nehmen, einer Bitte, der er nur zu gern nachgekommen war.

      Als Mary in der darauffolgenden Woche an ihrem angestammten Platz am Tresen des Trafalgar Inn anzutreffen war, hatte man sie gefragt, wie sie mit dem »mächtigen« Manus zurechtgekommen sei.

      »Es war vorbei, ehe ich überhaupt bemerkt habe, dass es angefangen hat«, lautete ihre Antwort. »Er ging zur Sache wie ein Bulle beim Rodeo und schlief danach sofort ein.«

      Von da an nannte man ihn The Bull.

      »Ich habe einfach keine Lust mehr, mich an so beschissenen Orten herumzutreiben«, maulte Bull weiter, während er neben seinem Kameraden in der Kälte lag. »Alles ist so umständlich; wenn ich kacken muss, soll ich in es in eine Tüte tun und sie dann bei mir behalten. Bin ich irgendwann mal ein paar Tage lang marschiert, habe ich einen Beutel voller Scheiße in der Tasche zwanzig Meilen weit mitgeschleppt, bloß um ihn zu vergraben, damit niemand ihn findet. Seit über einem Monat habe ich weder

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