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geeigneten Speiselokal fuhr das Trio in dem Luxusschlitten durch die Stadt, was zur damaligen Zeit sicher einiges Aufsehen erregte. Letztendlich schlug Kozlow den Besuch eines Restaurants an der Donau vor, in dem hervorragende Fischgerichte serviert wurden. Kuryschew wollte jedoch nicht mitgehen, weil er dort angeblich zu bekannt war. Er setzte seine beiden Begleiter an einem Taxistandplatz ab und verabschiedete sich.

      18. Dezember 1975, 19 Uhr 10, Alberner Hafen: Die beiden Männer nahmen im Restaurant »Landhaus Winter« Platz und bestellten Karpfen und Wodka. Da Shadrin aufgrund seines früheren Lebenswandels an funktionsbeeinträchtigten Nieren litt, trank er zu den drei Doppelten, die er mit seinem Geschäftspartner kippen musste, Unmengen von Wasser.

      Nach dem Treffen wollte Nicholas Shadrin ein Taxi bestellen, doch die Zentrale teilte ihm mit, dass bei dem dichten Schneegestöber, das mittlerweile eingesetzt hatte, kein Wagen losfahren würde. Später wurde dann aber doch noch ein Wagen geschickt, den der 47-Jährige aber nur kurz gemeinsam mit seinem Bekannten Kozlow benutzte, weil er nicht mit dem Russen gesehen werden wollte und dann in ein anderes Taxi umstieg.

      18. Dezember 1975, kurz nach 22 Uhr, Wiener Innenstadt, Hotel Bristol: Nicholas Shadrin traf in seinem Hotelzimmer ein, wo ihn Besuch erwartete. Er begrüßte »Ann Martin«, die er angeblich von einer US-Regierungsstelle kannte, das dachte jedenfalls seine Frau Ewa. Tatsächlich arbeitete die hochgewachsene Frau, deren richtiger Namen Cynthia Hausman lautete, für die CIA. Die beiden unterhielten sich eine Weile, bevor sie sich voneinander verabschiedeten.

      19. Dezember 1975, Wiener Innenstadt: Fünf Tage vor dem Heiligen Abend bummelten Nicholas und seine Gattin durch die weihnachtlich geschmückte City von Wien und kauften zahlreiche Geschenke für die Verwandtschaft in den USA und einige teure Kleider für Ewa ein. Am Abend stand der Besuch der Volksoper auf dem Plan des Luxus-Pärchens.

      20. Dezember 1975, 14 Uhr 30, Wiener Innenstadt: Nicholas Shadrin mietete sich beim Autoverleih AVIS am Kärntnerring, der sich einige Häuserblocks vom Bristol entfernt befand, für zwei Tage einen Audi 100. Der Mann legte eine amerikanische Kreditkarte mit der Nummer 4335190000469 und seinen Führerschein vor, ließ einen Blanko-Kreditkartenbeleg abziehen und unterschrieb den Mietvertrag. Im Anschluss kurvte der 47-Jährige mit dem Pkw offenbar planlos ein wenig durch die Stadt und fuhr dabei 36 Kilometer, wie der Tachometerstand später zeigte.

      20. Dezember 1975, 17 Uhr, Wiener Innenstadt, Hotel Bristol: Der gebürtige Russe parkte den Leihwagen auf einer Nebenfahrbahn vor seinem Hotel am Kärntnerring und betrat das Gebäude. In der Lobby nahm der Mann dann an der Bar einen Drink, bevor er gegen 17 Uhr 45 sein Zimmer betrat. Um 19 Uhr wollte er sich ein weiteres Mal mit seinen sowjetischen Bekannten vor der Votivkirche treffen. Er schlüpfte in seine dunkelblauen Markenhosen, in einen etwas helleren Sweater und in ein farblich passendes Sakko mit goldenen Knöpfen, auf welchen Anker eingraviert waren. Nicholas Shadrin verstaute in der Kleidung seine Geldtasche aus feinstem Elefantenleder sowie eine Packung seiner Lieblingszigaretten und zog zuletzt seinen rostfarbenen Wollmantel an, in dessen Innentasche er ein Kuvert mit 1000 US-Dollar in Zehndollarnoten steckte. Gegen 18 Uhr 30 ließ sich der US-Amerikaner in der Lobby ein Taxi rufen und verließ danach das Hotel, während seine Ehefrau zu diesem Zeitpunkt bereits ihren Platz in der Staatsoper eingenommen hatte.

      20. Dezember 1975, 22 Uhr, Wiener Innenstadt, Hotel Bristol: Als Ewa Shadrin nach der Vorstellung das Zimmer Nummer 361 betrat, war ihr Gatte noch nicht von seiner Geschäftsbesprechung zurückgekehrt. Auch gegen Mitternacht hatte sich der gebürtige Russe noch nicht wieder im Hotel eingefunden. Gegen zwei Uhr früh begann sich Ewa Sorgen zu machen und rief bei »Ann Martin« an, deren Nummer ihr Gatte »für den Notfall« auf einen kleinen Zettel notiert hatte. Die Frau am anderen Ende der Leitung versuchte, die gebürtige Polin zu beruhigen, und meinte, ihr Mann hätte sicher viel Spaß, würde vielleicht auch einiges trinken und deshalb eben erst später heimkommen. Als Nicholas Shadrin allerdings gegen 5 Uhr 30 noch immer nicht aufgetaucht war, rief Ewa erneut bei der Arbeitskollegin ihres Mannes an, woraufhin auch diese beunruhigt reagierte.

      23. Dezember 1975, 11 Uhr 45, Wiener Innenstadt, Hotel Bristol: Nach drei Tagen voller Unruhe, in denen Ewa Shadrin kein Lebenszeichen ihres Ehemannes erhalten hatte, beschloss sie, ohne ihn, dafür in Begleitung seiner Kollegin »Ann Martin«, nach Hause zu fliegen. Die verzweifelte Frau hoffte, dass ihr Gatte bald nachfolgen würde, beglich die Hotelrechnung in der Höhe von 7300 Schilling und checkte aus. Sie reiste einige Stunden später über Frankfurt in die USA zurück. Das Gepäck ihres Ehemanns nahm sie mit, seinen Reisepass hatte sie in der Wiener US-Botschaft hinterlegt.

      24. Dezember 1975, 11 Uhr 55, Wiener Innenstadt, Innenministerium: Am Heiligen Abend rief ein Konsularbeamter der amerikanischen Botschaft an und meldete die Abgängigkeit von Nicholas Shadrin. Der Diplomat gab an, dass der gebürtige Russe angeblich Mitarbeiter einer US-Regierungsstelle wäre, was er aber bezweifeln würde.

      Dezember 1975 – Jänner 1976, Wien: In den folgenden Tagen kontrollierten die Beamten der Wiener Sicherheitsbehörden zuerst einmal die Krankenhäuser der Stadt – ohne Erfolg: Es war kein Mann dieses Alters und dieser Statur eingeliefert worden. Anfang Jänner begannen die Ermittler, das Personal des Hotels Bristol zu befragen. Ein Zimmermädchen namens Elfriede gab an, den Vermissten noch einen Tag nach seinem mysteriösen Verschwinden im Haus gesehen zu haben. Angeblich hätte der 47-Jährige am 21. Dezember am Nachmittag in Gedanken versunken im dritten Stock auf den Aufzug gewartet und nicht einmal gedankt, als sie ihn höflich grüßte. Elfriedes Kollegin konnte diese Aussage nicht bestätigen, erinnerte sich aber daran, dass Ewa Shadrin sie gebeten hatte, das Zimmer Nummer 361 zu putzen. Dabei wäre ihr eine fremde Frau in dem Raum aufgefallen. Mehr wusste sie aber auch nicht.

      Zu dieser Zeit nahmen die Beamten in der US-Botschaft längst an, dass der Abgängige von Sowjets entführt worden war. Nach längerem Schweigen gaben die Amerikaner, die ganz offensichtlich mehr wussten, als sie ursprünglich verraten wollten, an, dass es sich bei dem US-Staatsbürger und gebürtigen Russen Nicholas Shadrin um einen Überläufer und Mitarbeiter der »Defense Intelligence Agency« (DIA), des Geheimdiensts des amerikanischen Verteidigungsministeriums, handelte.

      Nicholas Shadrin ist in diesem kalten Winter in Wien verschwunden und nie wieder aufgetaucht – seine Spur verliert sich vor der Votivkirche, vor der er am 20. Dezember um 18 Uhr 55 ein letztes Mal von ein paar jungen Leuten gesehen wurde.

      Jahre später berichtete ein anderer sowjetischer Überläufer, dass Nicholas Shadrin angeblich während der Entführung an einer Überdosis Chloroform gestorben war. Darüber hinaus gab es auch immer wieder Vermutungen, laut denen der Agent, dessen Ehe womöglich nur noch auf dem Papier bestanden hatte, mit seinen Bekannten freiwillig in die Sowjetunion zurückgekehrt wäre.

      Heute würde Nicholas Shadrin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr leben, selbst wenn er im Jahr 1975 nicht starb. An ein freiwilliges erneutes Überlaufen, dieses Mal zurück in die alte Heimat, wollte seine Gattin Ewa jedenfalls nie glauben.

      Lubos – Entführung in ein besseres Leben?

      Der kleine Lubos spielt mit seinem älteren Bruder auf dem tristen Hof der riesigen Wohnanlage in Púchov, wo die Buben gemeinsam mit ihren Eltern einen der hohen, grauen Blöcke bewohnen.

      Die Familie besitzt nicht viel und lebt in einer Gegend, die heute als sozialer Brennpunkt bezeichnet werden würde, doch die Kinder sind sauber, nett gekleidet und wissen sich zu benehmen. Lachend kicken sie einen Ball hin und her und freuen sich auf das Mittagessen. Da geht auch schon oben im Haus ein Fenster auf und die Mutter der Jungen ruft ihren beiden Söhnen zu, dass die Blinis fertig wären und sie zum Essen kommen sollten. Lubos’ Bruder versetzt dem Ball einen Tritt und läuft sofort in Richtung Eingangstür, während der kleinere Junge träumerisch auf den Betonboden blickt, auf dem die durch das Laub der Bäume fallenden heißen Sonnenstrahlen blinkende Muster zeichnen, und kräht: »Komme gleich!« »Lubos! Sofort!«, tönt es noch einmal streng von oben, dann schließt die Mutter das Fenster. Der Bub bemerkt, dass ein Windstoß den Ball ins Gestrüpp geblasen hat, und hüpft hinterher, um ihn einzufangen. Als er ein Geräusch hinter sich hört und sich umdreht, steht, wie aus dem Nichts aufgetaucht, ein Mann hinter

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