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Gabriele Barta das letzte Mal gesehen worden war. Das Tanzcafé Pribitzer im 3. Wiener Gemeindebezirk galt – neben vielen anderen Gaststätten – zeitweise als »verbotene Zone« für viele »anständige« junge Mädchen und Frauen, aber auch für die Polizeischüler der nahen Marokkanerkaserne.

      Heute ist das Tanzcafé Pribitzer Geschichte, so wie auch die Arbeiterschicht in der Gegend rund um den Rennweg, aus der das Lokal die meisten Gäste bezog. Die Zinshäuser mussten nach und nach teuren Wohnobjekten weichen und aus der nostalgischen, bei Oldie-Fans sehr beliebten Musik-Bar wurde ein Hotel. Mit den Stammgästen des Tanzcafés sind vermutlich auch jene verschwunden, die mehr über die Umstände wissen, die zum Verschwinden von Gabriele Barta geführt haben.

      Folgendes erfuhr ich im Zuge meiner Recherchen über die junge Frau: Die Arbeiterin hielt eine Ratte als Haustier, die sie liebevoll betreute und, wie man mir versicherte, niemals im Stich lassen würde, war lebensfroh und ging gerne und mehrmals pro Woche ins Pribitzer tanzen. Daher wollte ich, so mysteriös das Verschwinden von Gabriele Barta auch war, von Anfang an nicht an Selbstmord glauben. Ich hätte eher an einen Ausstieg aus dem Alltag gedacht, doch dagegen sprach wiederum die Liebe der Frau zu ihrem Haustier. Somit blieb nur ein Verbrechen übrig. Aber was mochte an diesem Montag, dem 23. Juli 1990, an dem Gabriele Barta wieder einmal ins Pribitzer tanzen gegangen war, tatsächlich geschehen sein?

      Ich nahm die Ermittlungen auf und traf relativ bald auf eine Wand des Schweigens. Keiner der nicht gerade polizeifreundlichen Stammgäste konnte sich so recht erinnern, wann und vor allem mit wem er die junge Frau zuletzt gesehen hatte. Erst nach mühevollen Einzelgesprächen, in die ich alle meine erworbenen Kenntnisse mit einbringen musste, konnte ich einige Erfolge erzielen. Als Seelsorger und Psychologe, Beichtvater und knallharter Einvernahmebeamter war ich wieder einmal dafür verantwortlich, dass sich irgendwann doch noch die Zungen lockerten und ein paar Details über diesen Montag im Juli 1990 ans Tageslicht traten.

      Darüber hinaus meldete sich ein anonymer Anrufer bei mir und ich spürte, dass hinter der plötzlichen Mitteilungsfreudigkeit der Leute eher die ständige Anwesenheit der ermittelnden Beamten im Pribitzer steckte als der Drang, die Suche nach Gabriele Barta zu unterstützen. Hatte es vorerst geheißen, dass Gabriele Barta am 23. Juli 1990 in Begleitung von zwei unbekannten Männern aus dem Lokal verschwunden war, erfuhr ich nun: »Die Gabi war an dem Abend mit dem Harald und dem Erich zusammen. Sie hat mit den beiden dann auch das Lokal verlassen.« Ich bohrte nicht weiter nach. Vielmehr war ich froh, dass wir nun endlich einen Punkt hatten, von dem aus wir die Nachforschungen beginnen konnten. Und tatsächlich wurde die Identität der beiden Männer, ebenfalls Stammgäste im Pribitzer, rasch geklärt.

      Obwohl er nachweislich am 23. Juli 1990 in Begleitung von Gabriele Barta das Pribitzer verlassen hatte, schied Harald aus verschiedensten Gründen schon bald als möglicher Täter aus. Erich hingegen, der Lebensgefährte der jungen Frau, wurde rasch zu unserem Hauptverdächtigen.

      Der Aktenberg wuchs. Wir durchleuchteten Erichs Leben. Er war vorbestraft und wegen einiger Gewaltdelikte in der Datenbank gespeichert. Im Laufe weiterer Befragungen erfuhren wir dann, dass Erich Gabriele am Abend ihres Verschwindens im Zuge eines Streits mit dem Tod bedroht hatte. Und: Seit dem Verschwinden von Gabriele Barta fehlte auch von Erich jede Spur.

      Während die fieberhafte Suche nach Erich begann, wurden die Medien auf den Fall aufmerksam. Nicht zuletzt, weil Gabrieles Mutter, Hermine Barta, nichts unversucht ließ, ihre Tochter ausfindig zu machen. In einem Interview erzählte sie von ihren Anstrengungen und warum sie daran glaubte, dass Gabriele etwas zugestoßen sein musste: »Meine Tochter wäre nie und nimmer einfach davongelaufen, ohne mir oder ihrer Schwester etwas davon zu sagen. Die Wohnung wirkt, als wäre sie bloß auf einen Sprung weggegangen. Jemand, der untertaucht, nimmt doch wenigstens seinen Reisepass mit.«

      Und tatsächlich. Der Lokalaugenschein in der Wohnung der Abgängigen zeichnete ein Bild, das mit einer geplanten Flucht aus dem bisherigen Leben nicht zusammenpasste. Es fehlten weder Kleidungsstücke noch persönliche Gegenstände. Selbst den vorhin erwähnten Reisepass haben wir in der Wohnung gefunden. Was mich ein weiteres Mal besonders nachdenklich stimmte, war die Ratte. Für dieses Tier hatte die Frau in der Vergangenheit, ohne mit der Wimper zu zucken, für eine aufwendige tierärztliche Behandlung tausend Schilling bezahlt. Lässt so jemand sein heiß geliebtes Haustier einfach im Stich? Nein, freiwillig war Gabriele Barta nicht verschwunden, das stand für mich fest.

      Hermine Barta ging immer fest von einem Verbrechen aus: »Im ganzen Haus habe ich die Leute befragt. Niemand hat etwas mitbekommen, keiner hat Gabriele mehr gesehen seit dem 23. Juli. Manchmal wünsche ich mir, es wäre wenigstens laut gewesen, im Zuge eines Kampfes zum Beispiel, was die Nachbarn auf die Situation meiner Tochter aufmerksam gemacht hätte. Mir kommt das alles so unwirklich vor.«

      In ihrer Verzweiflung gab Hermine Barta dem Freund ihrer Tochter die Schuld an Gabrieles Verschwinden. »Ich weiß nicht, was ich mir denken soll über diesen Erich. Er war zwar ihr Freund, wenn man das so nennen kann. Die beiden haben aber andauernd miteinander gestritten und ich kann mir gut vorstellen, dass er auch gewalttätig ihr gegenüber gewesen ist.«

      Unsere Suche nach Erich entpuppte sich letzten Endes als erfolgreich. Wir forschten den Mann in mühevoller Kleinarbeit bei einem Schausteller in Niederösterreich aus und konfrontierten ihn mit dem, was wir wussten. Der Mann entpuppte sich jedoch als richtig »harter Junge«, der schon anderes erlebt hatte als Polizeibeamte, die ihre Erkenntnisse mehr auf Indizien denn auf Beweise stützen müssen. Es gelang uns nicht, den roten Faden zu finden, den man bei solchen Ermittlungen benötigte, und wir mussten Erich ziehen lassen.

      Noch heute habe ich die gelassene Kaltschnäuzigkeit in Erinnerung, mit der er damals den Journalisten Rede und Antwort stand: »Also ich bin schon gespannt, wer noch aller kommt. Zuerst die Polizei, dann Gabis Mutter und jetzt Sie. Und wenn mich die Menschen noch so lange mit ihrer Fragerei quälen, ich weiß beim besten Willen nicht, wo Gabriele steckt.«

      Erich blieb während mehrerer Befragungen bei seiner Version der Geschichte, wonach er Gabriele Barta am Abend des 23. Juli 1990 zwar nach Hause gebracht, ihre Wohnung dann aber verlassen hatte.

      Fakt ist: Gabriele Barta verließ gegen ein Uhr morgens das Tanzcafé Pribitzer in Begleitung zweier Männer. Danach verliert sich ihre Spur. Ich gebe dem fehlenden sprichwörtlichen roten Faden die Schuld daran, dass wir Gabriele Bartas Fährte damals nicht aufnehmen konnten. Dieser Faden – er zieht sich durch jede polizeiliche Ermittlung – ist mal deutlich erkennbar, mal steckt er in einem kleinen, einem scheinbar unwichtigen Detail. Gelingt es einem Fahnder, diesen Faden aufzunehmen, lösen sich die komplexesten Fälle oft wie von selbst. Den roten Faden im Fall Gabriele Barta haben wir leider nie gefunden. Und so fehlt bis heute jede Spur der mittlerweile über 50-jährigen Frau, deren Mutter ganz bestimmt niemals aufhören wird, nach ihrer Tochter zu suchen.

      Während der Arbeiten an diesem Buch habe ich meine alten Kontakte bemüht, noch einmal die gleichen Fragen gestellt, die damals unbeantwortet geblieben sind. Obwohl mittlerweile andere Zuständigkeiten herrschen als in den Neunzigern und sich im Polizeiapparat einiges geändert hat, ist es mir gelungen, den Fall Barta ins Bewusstsein der heute Zuständigen zu bringen. In welcher Weise diese damit umgehen werden und ob sie den roten Faden jetzt, dreiundzwanzig Jahre später, finden werden, kann ich noch nicht beurteilen.

      Wenn ich heute durch das Viertel rund um den Rennweg spaziere, denke ich oft an die Ereignisse von einst. Ich bin vielen Theorien nachgegangen, habe einige davon wieder verworfen und andere trage ich bis heute in mir.

      Was ich wirklich über den Fall Barta denke? Dass es ein Fall ist! Ein Kriminalfall. Gabriele Barta ist nicht verschwunden, sie wurde »entfernt«, brutal aus ihrem Leben gerissen.

      Rund um das Rennwegviertel stehen heute Häuser, die zum Zeitpunkt von Gabriele Bartas Verschwinden noch Großbaustellen waren. Viel Glas und viel Beton, der sehr schnell trocknet und für immer verbirgt, was sich unter ihm befindet.

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