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Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger
Читать онлайн.Название Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)
Год выпуска 0
isbn 9788075837325
Автор произведения Peter Rosegger
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Am Morgen
Im Tannenwalde herrscht tiefe Trauer; wie Totenklage, wie Grabesschauer, so weht's durch der Wildnis umnachtete Mauer. Dahingestreckt am Waldessaum ins Leichenbett aus moosigem Flaum, gemordet liegt der urälteste Baum. – O sehet den Mörder über die Steppe fahren, er rast in Verzweiflung mit fliegenden Haaren, verfolgt und gegeißelt von rächenden Scharen. – Den armen Mörder, o laßt ihn ziehen, ihm ist's gegeben, Unheil zu sprühen. Und neu aus dem Tode wird Leben blühen.
Nicht der alte Rüpel ist es, der mich ansteckt, daß ich schon am frühen Morgen solche Zeilen schreibe, sondern eine innere Bewegung, die mich bei der Kunde von dem Sturm erfaßt, hat sich in Worten Luft gemacht.
In dieser Nacht hat ein Sturm gehaust. In Winkelsteg haben wir nichts verspürt; nur ein schweres Getose ist gehört worden von Mitternacht her. Im Schachen des Gottesackers ist kein Wipfelchen geknickt.
Am Abend
Wie ich aber nun, da ich in den neuen Geschlägen drüben Geschäfte habe, über die Lauterhöhe geh', ist mir der Weg zehnfach verlegt durch wild zerzauste, zersplitterte, kreuz und krumm gefallene Bäume. Ein starker Harzduft weht in den Gräben; zahllose Waldvögel flattern heimatlos umher, denn ihre Nester sind zerrissen. Hier und da machen sich schon Holzhauer an das Gefälle, daß sie die Stämme glätten und schälen. In den Holzhauerhütten soll das eine fürchterliche Nacht gewesen sein. Einigen hat es den Dachstuhl zerrissen, daß am Morgen die treibenden Wolken des Himmels hineingeschaut auf den Feuerherd und die wirren Strohstätten. Bei den Köhlern im Karwasser ist ein abgerissener Fichtenstamm auf einen Meiler gefallen, so daß das Feuer herausgebrochen ist und die hingepeitschten Flammen schier einen Waldbrand erzeugt hätten. Der Berthold soll wie wütend mit dem Dämpfen des Feuers gearbeitet haben und dabei mit seinem linken Fuß zu Schaden gekommen sein.
Manch wüste Scharte ist den Wäldern geschlagen, und als ich am Nachmittage zu den Schirmtannen in der Wolfsgrube komme, sehe ich, daß die mittlere geknickt ist. Sie ist von den dreien die größte und wohl die älteste gewesen.
Auf dem hingestreckten Stamm, der sein Geäste tief in den Erdboden gebohrt hat, sitzt der Einspanig. Er hat sich ein Wollentuch um die Schultern gelegt, und über das Tuch wallen die Strähne des schwarzen Haares mit seinen vielen grauen Fäden. Die Beine hält der Mann übereinander geschlagen, darauf stützt er seinen Ellbogen, und auf diesen das gesenkte Haupt mit dem blassen Antlitz.
Da ich nahe, erhebt er sich.
»Ihr kommt doch«, sagt er, »und ich hätte beinahe nicht kommen können. Die Sturmnacht hat meine Behausung gesperrt; sie hat einen Felsklotz vor den Ausgang gewälzt.«
Und nach einem schweren Atemzug sagt er das trübselige Wort: »Vielleicht wäre es besser gewesen, diese Nacht hätte mich in der Felsenhöhle begraben für alle Zeit, als daß ich Euch heute die Antwort gebe. Da ich sie aber gebe, so gebe ich sie Euch am liebsten. Ich habe Rechtschaffenes von Euch gehört und freue mich der Gelegenheit, Euch näherzukommen. Meine Antwort, junger Mann, ist eine schwere Last; helfet sie mir tragen, wie Ihr Ja auch die Mühsal der anderen Waldbewohner auf Euch geladen habt. Ich weiß wohl, Ihr versteht Priesteramt zu vertreten; so seid mein Beichtvater und erlöset mich von einem Geheimnis von dem ich nicht weiß, ist es eine schwarze Taube oder ein weißer Rabe. – Wenn es aber wäre, daß Ihr mich nicht solltet begreifen können ...«
Er hat eingehalten; in seinem Blick ist etwas wie Mißtrauen gelegen.
Ich versetze hierauf, daß ich ihn nach nichts fragen wolle, als nach der Ursache seines Gebarens am Altare unserer Kirche.
»Da fragt Ihr mich ja nach allem!« ruft er mühsam achend aus; »da fragt Ihr mich nach meinem Lebenslauf, nach meinem Seelenweh, nach meinem Teufel und nach meinem Gott. – Gut, gut, kommt nur her und setzet Euch zu mir auf diesen Stamm. Besser schickt sich keine Stätte für meine Antwort als eine aus Vernichtung gebaute. So setzet Euch!«
Mir wird schier unheimlich. Im Tann ist es still, daß man das träge Ächzen des Geästes vernehmen kann, oben aber fliegt das Gewölke dahin von einem Gewände zum ändern.
Ich setze mich neben den Mann, in dessen Augen und Worten aber viel mehr Kraft liegt, als man in dem gebückten, sich schwer schleppenden Einspanig hatte vermuten können.
Ja, der Einspanig geheißen, weil er nie in Gesellschaft eines zweiten gesehen worden. Jetzund sitzt das Zweispan auf dem Stamme, die Frage und die Antwort.
»Wisset, was das ist, ein Herrenkind?« fragt der Mann jäh und starrt mir ins Gesicht. – »In einem Palast geboren, in einer goldenen Wiege gewiegt werden. Der rauhe Erdboden ist verdeckt mit weichen Geweben; die brennenden Sonnenstrahlen und Wetterwolken des Himmels sind verhüllt mit schweren Seidenvorhängen; für jeden leisen Wunsch eine Dienerschar; – eine Gegenwart voll Ebenmaß und hundertfach gehüteten Behagens; eine Zukunft voll Genuß und hoher Würden: das heißt Herrenkindschaft. Auch ich bin ein Herrenkind gewesen, und als solches ärmer wie ein Bettelknab'. Ich habe es aber zur Zeit nicht gewußt, und erst als ich der Jahre zwölf oder vierzehn gezählt, ist mir die schreckliche Frage erwacht: Mensch, wo hast du deine Mutter? – Meine Mutter hat mir das Leben gegeben und das Sonnenlicht; – ihr eigenes war's gewesen – bei meiner Geburt ist sie gestorben.
Meinen Vater habe ich selten gesehen; er ist auf Jagden oder auf Reisen oder in der großen Stadt Paris oder in Bädern. Meine Liebe, für Vater und Mutter mir ins Herz gegeben, verschwende ich an meinen Hofmeister, der stets um mich ist als Lehrer und Gesellschafter und der mich sehr lieb hat. Er ist Priester und gehört dem Orden der Gesellschaft Jesu an. Er ist ein mildfreundlicher, heiterer Mann und sehr fromm und gut. Oft, wenn er in unserer Hauskirche die Messe gelesen, hat er ein verklärtes Antlitz gehabt wie der heilige Franz Xaver auf dem Altar. Und hat gesagt, daß er eine Eingebung hätte: ich sei zu großen Dingen erkoren. Daraus habe ich seine außerordentliche Liebe zu mir wahrgenommen.
Und nun soll ich eines Tages diesen Freund verlieren. Da ist zur selben Zeit nämlich ein Gesetz herausgekommen, und in den Ländern regt sich die Verfolgung gegen den Orden, dem jener Mann gehört. Mein Hofmeister muß fort, spricht aber die Zuversicht aus, daß wir nach überstandener Trübsal uns wiedersehen würden.
Und siehe, das Wort ist über alles Erwarten schnell in Erfüllung gegangen. Nach wenigen Monaten schon ist mein Erzieher wieder im Hause. Er ist, wie er sagt, aus dem Jesuitenorden getreten, gehört nun den ›Vätern des Glaubens‹ an; somit hat er wieder Schutz in unserem Lande.
Ich bin zum Jünglinge herangewachsen. Meinen Hofmeister liebe ich wie einen älteren Bruder. Oft habe ich ihn insgeheim um seine Ruhe beneidet. In mir hat sich zur selbigen Zeit ein Unstetes zu regen begonnen. Im Hause ist es mir zu eng, im Freien nicht weit genug; ist es still, so verlangt mir nach Lärm, und habe ich Lärm, so sehne ich mich nach Stille. Mein Drang ist gewesen wie ein blinder, heißhungeriger, pfadloser Mann auf der Heide.
Da sagt mir einmal mein Erzieher: Das, lieber Freund, ist der Fluch der Kinder der Welt. Das ist die rasende Sehnsucht, die trotz aller Güter und Genüsse der Erde keine Sättigung finden kann, außer sie flieht in die Burg, die Christus gegründet hat auf Erden.
– Wenn du zu mir sprichst – entgegnete ich – du weißt doch, daß ich ein Christ bin.
– Das bist du nur in der Gesinnung – sagt er – aber dein Leib ist es, der so wild nach Erfüllung lechzt. Deinen Leib mußt du in die Burg Gottes einführen. Mein lieber Freund, alle Tage bete ich zu Gott, daß er dich so glücklich werden lassen möge, als ich es bin, daß du wie ein Bruder Jesu werdest.
Von diesem Tage an, als mein Hofmeister so gesprochen hat, empfinde ich die Last und das Unstete in mir doppelt schwer; aber als ich mich ernstlich prüfe, sehe ich, daß es mir unmöglich wäre, der Welt zu entsagen.
– Du hast mich nicht verstanden, sagt hierauf mein Erzieher einmal, und es wundert mich, daß du nach den Jahren der Erziehung deinen Freund so mißverstehen kannst. Wer sagt dir, daß du