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hat er angebunden.

      Das Weib geht zum Bette, weckt das Mädchen, es möge schnell aufstehen, es sei der Lazarus gekommen. Das Mädchen hebt an zu weinen.

      Die Suppe steht fertig auf dem Tisch; der Knabe starrt mit seinen großen Augen den Tisch und die Mutter an. Und jetzt erst bricht das Mutterherz los: »Mein Kind, du kennst mich nimmer! Ja, ich bin alt geworden über die hundert Jahr'! Wo bist mir gewesen diese ewige Zeit! Jesus Maria!« Sie reißt das Kind an ihre Brust.

      Lazarus läßt es geschehen und starrt zur Erde; ich merke wohl, wie seine Lippen zucken, aber er sagt kein Wort. Er muß Bedeutsames erfahren haben; seine Seele liegt unter einem Banne.

      Als er hierauf seinen Lodenüberwurf austut, um auf das frisch bereitete Lager zu steigen, langt er aus diesem Übertuch in eine Handvoll grauer Körner und streut sie mit einem Wurf über den Fußboden hin. Kaum das geschehen, hebt er an, sich zu bücken und die Körner, Steinchen sind es, wieder aufzulesen. Er zählt sie in seiner Hand und sucht dann in allen Fugen und Winkeln, und hebt mit Sorgfalt jedes der Kornchen, und zählt und sucht wieder, und sucht mit Gelassenheit eine lange Weile auf dem Estrich der Hütte, bis er das letzte Stück hebt und ihm die Zahl in der Hand voll ist. Und selbunter haben wir den Jungen zum ersten Male lächeln gesehen. Danach tut er die Steinlein wieder in die Tasche seines Überwurfes und geht zu Bette. Er schläft bald ein.

      Wir sind noch lange am Herd gestanden bei der Spanlunte und haben unsere Gedanken ausgesprochen über das Seltsame, wie es mit und in diesem Kinde ist.

      Christmonat 1818

      Der Knabe Lazarus muß in einer wunderbar mächtigen Schule gewesen sein. Von seinem Jähzorne ist kaum eine Spur mehr, nur geht, wenn er erregt ist, ein kurzes, blitzartiges Zucken durch sein Wesen. Er wird auch wieder fröhlich und heiter. Von seinem Leben im Jahre seiner Abwesenheit will er nichts Rechtes aussagen. Paulus hätte ihm verboten, mehr zu reden, als nötig. Zuweilen erzählt er aber doch, nur sind die Worte unklar und verwirrt, schier wie Traumrednerei. Er spricht von einem Felsenhause und von einem guten, ernsten Manne, und von Bußübungen, und von einem Kreuzbilde.

      Lebhaft und bestimmt werden seine Worte nur, wenn er in der Lage ist, seine und des Mannes Ehre irgendwie verteidigen zu müssen.

      In der Gemeinde wird viel von dem »Wunderknaben« gesprochen. Einige glauben, Lazarus sei bei einem Zauberer in der Lehre gewesen und werde noch große Dinge vollbringen.

      Der alte Waldsänger sagt, er täte meinen, nun müsse bald der Messias erscheinen; Lazarus sei der neue Vorläufer, Johannes der Täufer, der sich in der Wüste genährt von Heuschrecken und wilden Schnecken.

      Gott walte es. Ein tätiger und herzenswarmer Pfarrer wäre für Winkelsteg der Messias. Aber es ist, wie der Holdenschlager gesagt hat, es will keiner herein in die verlorenen Waldtäler.

      Ich bin der einzige, der die Kirche verwaltet, läutet, Orgel spielt, singt und vorbetet, wenn Sonntag ist. Die Täuflinge und Toten müssen nach Holdenschlag wie vor und eh.

      Im Hornung 1819

      Was geht das mich an? Gar nichts geht's mich an. Aber ich bringe es doch nicht aus dem Kopf, was mir der Förster von dem jungen Herrn erzählt hat.

      Mit Verweichlichung seines Körpers sei es angegangen, mit losen, lockeren Spielen, Gelagen, Schlemmereien und Ausschweifungen gehe es weiter. Bah, wir sind Freiherr, wir sind Millionär, wir sind ein schöner, junger Mann, also dreinfahren! – So hat's der Förster ausgelegt. – Ei, der wird's so genau nicht wissen.

      Hermann soll in der Hauptstadt sein, weit von daheim und von seiner Schwester. Ja, selbunter wäre freilich alles möglich. – Gott schütze dich, Hermann! Es wäre auch nicht schön von mir, dem Schulmeister, wenn sein erster Schüler ein ...

      Heb dich weg, du häßliches Wort! Hermann ist ein braver, junger Mann. Was weiß der Förster.

      Im Frühjahr 1819

      Die Gegend altert schnell. Die Berge werden grau und kahl; der Wald wird verbrannt; in allen Tälern rauchen Kohlstätten.

      Mit Mühe hab' ich es durchgesetzt, daß sie da oben an der Hebung einen kleinen Schachen stehenlassen. Der soll das letzte und bleibende Stück Urwald sein, und unter seinem Schatten sollen die toten Winkelsteger ruhen.

      Der Pfarrhof ist fertig. Die Pfarre ist längst ausgeschrieben. Einen Lacher tun sie, wenn sie es lesen: »Das mag eine saubere Seelsorge sein in diesem Winkelsteg; der Meßopferwein besteht aus Holzäpfelmost, die Hostie aus Hafermehl. – Je, wenn in Winkelsteg der Pfarrer verhungert, so ist er selber schuld, warum speist er nicht Baumrinden; die Waldkatzen kommen ja auch davon.«

      Winkelsteg ist bös' verschrien; es wäre aber so arg nicht. Ich kriege für das, daß ich die Kirche versorge und zuweilen auf den Predigtstuhl steige, um den Leuten zur Erbauung vorzulesen, reichlich Mehl und Wildbret. Die Leute sagen, es sei schade, daß ich nicht Pfarrer geworden.

      Von der Herrschaft des Waldes sind Messengelder geschickt worden, daß in der Gemeinde Winkelsteg ein Gottesdienst gestiftet und gebetet werde auf eine gute Meinung. Es hat sich die Tochter des Hauses vermählt.

       Gott sei Dank, daß mein Körper und mein Geist hier so reichlich Beschäftigung findet. Dieser Einspanig gibt Nachdenken.

      Öfter und öfter wird er im Orte gesehen, gebückt wie ein leibhaftig Fragezeichen, gebückt und krumm, so geht er einher. Noch immer aber weicht er den Leuten aus; und wer ihm doch nahe zu kommen weiß, um eine Frage an ihn zu stellen, dem gibt er eine Antwort, die drei Fragen gebiert. Auch in der Kirche ist er schon gesehen worden, ganz zuhinterst in der Nische, wohin der Beichtstuhl kommen soll.

      Der alte Rüpel hält das Wesen ganz entschieden für den ewigen Juden. – Nun, so viel mag ich selber glauben: der Einspanig ist ein Teil desselben. Der ganze ewige Jude hat meines Glaubens viele Millionen Köpfe.

      Im Sommer 1819

      Da hätten wir nun auf einmal einen Pfarrer, und zwar einen so seltsamen, und der so geheimnisvoll ist wie unser Altarbild, das Kreuz aus dem Felsentale.

      Am letzten Tage des Heumonats, zur Mittagszeit ist es gewesen. Ich gehe in die Kirche, um die Gebetglocke zu läuten. Da steht der Einspanig auf der obersten Stufe des Altars und übt die Förmlichkeiten des Messelesens.

      Ich sehe ihm eine Weile zu. Er liest die Messe, wie sie der Holdenschlager nicht vollendeter darbringt. Als er aber damit fertig ist, ernsthaft von den Stufen niedersteigt und mit niedergeschlagenen Augen dem Ausgange zuwandelt, da ist es doch meine Pflicht, daß ich ihn anhalte und zur Rede stelle.

      »Herr«, sage ich, »Ihr tretet in dieses Gotteshaus, wie es ja jeder darf, der aufrichtigen Herzens ist; aber Ihr steiget zu dem Allerheiligsten empor, und übet Dinge, die nicht jedem zustehen. Ich bin der Hüter dieses Hauses und habe Euch zu fragen, was Euer Treiben bedeutet?«

      Er ist dagestanden und hat mich mit großer Gelassenheit angeblickt.

      »Guter Freund«, sagt er hierauf mit einer Stimme, die wie eingerostet tönt, »die Frage ist kurz und leicht; die Antwort ist lang und schwer. Weil Ihr aber das Recht habt, sie zu verlangen, so habe ich die Pflicht, sie zu geben. Bestimmet den Tag, an welchem Ihr hinaufgehen wollt zu den drei Schirmtannen in der Wolfsgrube.«

      »Wozu?« sage ich.

      »Die Antwort liegt nicht auf dem Wege. Unter den Schirmtannen mögt Ihr sie erfahren.«

      »Wohl«, sage ich, »wenn es so ist, so will ich mich am nächsten Sonnabend um die dritte Nachmittagsstunde bei den drei Schirmtannen in der Wolfsgrube einfinden.«

      Er neigt den Kopf und geht davon.

      Ich will von diesem Vorfalle einstweilen den Leuten nichts melden. Das ist ein Narr! würden sie aufschreien allmiteinander.

      Mag ja sein. Ich werde zu den Schirmtannen gehen und vielleicht Näheres über den Mann erfahren. Finde ich so viele und so schöne Narrheit in ihm wie in dem alten Rüpel, so bin ich zufrieden. Sollte es in Winkelsteg schon mit Pfarrhof und Schulhaus nicht gehen, so bringe ich doch etwan einen lustigen Narrenturm

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