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Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger
Читать онлайн.Название Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)
Год выпуска 0
isbn 9788075837325
Автор произведения Peter Rosegger
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Das ist der Schatten von der Kirche. Und der Arbeiter legt sich nach der heißen Woche nur zu gerne in den Schatten.
Bei dem Mittagsmahle, das wir selbander im Winkelhüterhause eingenommen, hat es der Holzmeister schon erzählt, der Grassteiger will um Erlaubnis einkommen, daß er eine Schnapsschenke errichten dürfe.
Den Wirt hätten wir schon, aber wo steckt unser Pfarrer?
»'s wird auch keiner hereinwollen in diesen mit Brettern verschlagenen Weltwinkel«, meint der Holdenschlager.
»Gelt, Hochwürden!« schreit die Winkelhüterin ins Gespräch hinein, »wahrhaftig, das sag' ich hundertmal. Fort möcht ich von dieser Einöden, heut' lieber wie morgen. Es ist nichts anzuheben in diesem Winkel. Wie wär' es unsereinem so handsam gewesen, daß eins an Sonntagen ein wenig Branntwein ausgeschenkt hätt', aber halt ja, der Grassteiger ist der Hahn im Korb!«
»He«, lacht der Pfarrer, »Wirtshäuser! Wird noch ein belebter Ort werden, dieses Winkel – Winkel – ei, die Gemeinde hat Ja noch gar keinen Namen?!«
Über den Namen der Gemeinde ist nicht bloß nachgedacht, es ist ein solcher sogar schon bestimmt worden. Wie soll die Waldpfarr' heißen? Den Leuten wäre die Erörterung dieser Frage eine willkommene Veranlassung gewesen, bei dem neuen Wirt zusammenzukommen und die Gemeinde mit Schnaps zu taufen. Aber wir taufen mit Wasser. Und Wasser heißt die Winkel; über die Winkel führt dahier seit unvordenklichen Tagen ein Steg; wenn ihn das Wasser fortgerissen, haben ihn die Leute wieder aufgebaut, weil er hier am Kreuzpunkte der Talschluchten und der Waldpfade unentbehrlich ist. Den Platz um das Winkelhüterhaus nennen sie kurzweg »am Steg«.
Am Steg, am Winkelsteg, steht die neue Kirche. Und Winkelsteg, so heißt sie, und so heißt die Gemeinde. Unser Waldherr Schrankenheim hat's unterschrieben.
Wie unsere Kirchweih eingeläutet worden, so wird sie ausgeläutet. Da hat sich an diesem Tage noch etwas sehr Erregendes zugetragen. Die Holdenschlager Herren und der Förster sind fortgewesen; am Winkelsteg ist es wieder still. Es dunkelt schon früh und im Hochgebirge liegt der Nebel. Es ist bereits finster, da ich zu meinen Glocken gehe. Heute zum ersten Male brennt das rote Ämplein am Altare, das nun fortan das Ewige Licht geheißen werden wird und nimmer verlöschen soll, solange das Gotteshaus steht. Das ist die Wacht vor dem Herrn.
Wie ich in die Kirche trete, sehe ich in dem matten Schein am Speisegitter eine Gestalt. Da kniet noch ein Mensch und betet. Wenn einer so lange leben muß in dem Elende des Tages, so wird hernach völlig der Sonntag zu kurz, da man bei dem lieben Gott eingekehrt ist oder bei sich selber. – So denke ich und stehe eine Weile still und trete endlich vor, daß ich den Beter aufmerksam mache auf das Absperren der Kirche. Wie mich aber die Gestalt bemerkt, rafft sie sich auf und will fliehen. – Zuletzt ist es gar kein Beter, sage ich, und fasse den Davoneilenden und sehe ihm ins Gesicht. Ein junger Bursche ist's.
»Was wirst du rot, Schelm!« rufe ich.
»Ich bin kein Schelm«, antwortet er, »und Ihr seid auch rot; das ist von der Ampel.« Da sehe ich ihn recht an. Wer wird es gewesen sein? Der Lazarus ist's gewesen, der verschollene Sohn der Adelheid.
Ich habe die Hände über dem Kopfe zusammengeschlagen und ein Geschrei erhoben.
»Junge, was ist das mit dir um Gottes willen, wo bist du gewesen? Wir haben dich gesucht, deine Mutter hat dich ausgraben wollen aus dem Gestein der Alpen. Und wie bist du heute da, Lazarus? Ja, das ist schon gar aus aller Weis'!«
Der Knabe ist dagestanden und hat auf meine Worte gar nichts geantwortet – nicht ein Wörtlein.
Darauf habe ich geläutet. Lazarus ist neben mir gestanden; seine Bekleidung ist eine Wollendecke, seine Haare gehen ihm über die Achsel hinab, sein Antlitz ist blaß. Er sieht mir zu, er hat noch keine Glocke läuten gesehen. Und was ich empfinde! Jetzt hab' ich eine hellklingende Zunge, jetzt kann ich das Ereignis ja verkünden hin in die Berge.
Endlich kommt meine Haushälterin: was denn das Läuten bedeute, ein halbdutzendmal habe sie schon den »Englischen Gruß« gebetet und ich höre noch nicht auf!
Da lasse ich den Glockenstrick wohl fahren und deute auf den Jungen: »Seht, endlich ist er da. Habt Ihr das Läuten denn nicht verstanden? Der Lazarus ist gefunden.«
Besser als jegliche Glocke weiß solche Mär ein Weib zu verkünden. Kaum eilt die Winkelhüterin rufend davon, sind ich und der Lazarus schon von Menschen umringt. Ich weiß kaum, wie ich die Sache erzählen soll, und der Junge murmelt ein um das andere Mal: »Paulus«, und sonst sagt er kein Wort.
Wir fragen ihn, wer Paulus sei? Statt auf die Frage zu antworten, versetzte er mit seltsam scheuem Blick: »Er hat mich hergeführt zum Kreuz.« Und laut und angstvoll ruft er: »Paulus!« Seine Zunge ist unbeholfen, seine Stimme fremdartig.
Wir führen ihn ins Haus; die Hauswirtin stellt ihm zu essen vor. Traurig blickt er auf den Eierkuchen, wendet den Kopf nach allen Seiten und immer wieder zurück auf den Kuchen und rührt keinen Bissen an.
Allmiteinander reden wir ihm zu, daß er essen möge. Seine mageren Hände strecken sich aus dem Lodenüberwurf hervor und nach der Speise aus, aber sie zucken wieder zurück, und der Junge zittert und hebt endlich an zu schluchzen. Später bittet er um ein Stück Brot, das er mit Heißhunger verschlingt. Dabei fallen ihm die schwarzen Locken über die Augen herab, er streicht sie nicht zur Seite. Zuletzt taucht er das Brot in den Wasserkrug und ißt mit gesteigerter Gier und trinkt das Wasser bis auf den letzten Tropfen.
Wir stehen herum, und wir sehen ihm zu, und wir schütteln unsere weisen Häupter, und wollen fragen und fragen; und der Junge hört nichts und starrt in die Spanlunte, die an der Wand leuchtet, oder zum Fenster hinaus in die Dunkelheit.
Noch in derselben Nacht haben ich und der Grassteiger den Knaben hinaufgeführt in den Hinterwald zu seiner Mutter Hütte. Ein paarmal hat er uns davon und die Lehnen hinanklettern wollen in den Wald. Stumm wie ein Maulwurf und scheu wie ein Reh ist er gewesen.
Wir kommen zu des schwarzen Mathes Haus, die schwarze Hütte genannt. Da liegt alles in tiefer Ruh. Das Brünnlein flüstert vor der Tür; das Geäste der Tannen ächzt über dem Dache. In der Nacht hört man auf solche Dinge; am Tage ist, wenn einer so sagen dürfte, das stete Tönen des Lichtes, da wird dergleichen selten beachtet.
Der Grassteiger hält den Knaben an der Hand. Ich stelle mich an ein Fenster und rufe hinein durch die Papierscheibe: »Adelheid, wacht ein wenig auf!«
Da ist drinnen ein kleines Geräusch und ein verzagtes Fragen, wer denn draußen.
»Der Andreas Erdmann von Winkelsteg ist da und noch zwei andere!« sage ich. »Erschreckt aber nicht. In der neuen Kirche hat sich ein Wunder zugetragen. Der Herr hat den Lazarus erweckt!«
In der Hütte leckt mehrmals ein roter Schein an den Wänden, wie matte Blitze zu sehen. Das Weib hat an der Herdglut einen Span angeblasen.
Sie leuchtet uns zur Türe herein, aber als sie den Knaben sieht, fällt der Span zu Boden und verlischt.
Da ich endlich wieder ein Licht zuwege bringe, lehnt das Weib an dem Türpfosten und Lazarus liegt auf dem Angesichte. Er wimmert. Der Grassteiger hebt ihn empor und tut ihm die Locken aus dem Antlitz. Die Adelheid steht fast regungslos im Nachtkleide; nur in ihrer Brust ist Unruhe. Sie legt die beiden Hände über die Brust, sie wendet sich gegen die Wand und lechzt nach Atem, ich habe gemeint, sie bricht uns zusammen. Letztlich wendet sie sich zum Knaben und sagt: »Bist wohl einmal da, Lazarus?« – Und zu uns: »Tut euch ab dort auf der Bank, will gleich eine Suppe kochen!« – Und wieder zum Knaben: