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können es nicht verstehen, daß ich, ein junger Bursche, so in der Einschicht herumsteige. Ei ja, freilich, ich werde von Tag zu Tag jünger und hebe an zu blühen. Ich genese. Das macht die urtümliche Schöpfung, die mich umwebt.

      Gefühlsschwärmerei treibe ich nicht. Wie er einzieht durch die Augen und Ohren und all die Sinne, der liebe, der schöne Wald, so mag ich ihn genießen. Nur der Einsame findet den Wald; wo ihn mehrere suchen, da flieht er, und nur die Bäume bleiben zurück.

      Sie sehen den Wald vor Bäumen nicht. Ja noch mehr, oder zwar noch weniger, sie sehen auch die Bäume nicht. Sie sehen nur das Holz, das zum Zimmern oder Verkohlen, das Reisig, das zum Besen dient. Oder sie machen die grauen Augen der Gelehrtheit auf und sagen: Der da gehört in diese Klasse oder in diese – als wie wenn die hundertjährigen Tannen und Eichen lauter Schulbuben wären.

      Mir ist schon recht im Walde. Ich will, solange ich ihn genieße, von seinem Zwecke, wie diesen Zweck die Gewinnsucht der Menschen versteht, kein Wort noch gehört haben; ich will so kindlich unwissend sein, als wär' ich erst heut vom Himmel gefallen auf das weiche, kühle Moos im Schatten.

      Ein Netz von Wurzeln umgibt mich, teils saugt es aus der Erde seinen Bäumen die Muttermilch, teils sucht es den Moosboden und den Andreas Erdmann darauf mit sich zu verflechten. Ich ruhe sanft auf den Armen des Netzes – auf Mutterarmen.

      Gerade empor ragt der braune Stamm der Fichte und reckt einen Kranz von knorrigen Ästen nach allen Seiten. Die Äste haben lange graue Bärte – so hängen die filzigen Flechtenfahnen nieder von Zweig zu Zweig. Wohl geglättet und balsamtriefend ist die silberig schimmernde Tanne. In den rauhen, furchigen, verschnörkelten Rinden der Lärchen aber ist mit den geheimnisvollen Zeichen der Schrammen die ganze Weltlegende eingegraben, von dem Tage an, als der verbannte Brudermörder Kain zum ersten Male unter dem wilden Astgeflechte der Libanonlärche geruht hat, bis zur Stunde, wo ein anderer, auch ein Heimatloser, den Wohlduft der weichen, hellgrünen Nadeln friedlich trinkt.

      Dunkel ist's wie in einem gotischen Tempel; der Nadelwald baut den Spitzbogenstil. Obenhin ragen die hunderttausend Türmchen der Wipfel; dazwischen nieder auf den schattigen Grund leuchtet, wie in kleine Täfelchen zerschnitten, die tiefe Himmelsbläue. Oder es segeln hoch oben weiße Wölklein hin und suchen mich zu erspähen, mich, den Käfer im Waldfilz, und wehen mir einen Gruß zu – von... Nein, sie ist geborgen unter stolzem Dach von Menschenhand; ihr Wolken habt sie nicht gesehen, oder habt ihr sie? – Ach, sie wehen von fernen Öden und Meeren.

      Da flüstert es, da säuselt es; es sprechen miteinander die Bäume. Es träumt der Wald.

      Eine schneeweiße, große Blüte weht heran; blühen die Nadelwälder denn nicht in den Blutstropfen ihrer purpurnen Zäpfchen? Woher die weiße Blüte? Es ist ein Schmetterling, der sich verirrt von seiner sonnigen Wiese und nun im Dunkel des Waldes angstvoll gaukelt.

      Wer bricht aber in den verwachsenen Kronen die Äste entzwei, daß sie krachen und prasseln und in dürren Zweigen niedertänzeln? Ein Habicht braust dahin mit einem grellen Pfiff, und ein armes Waldhuhn muß sein Leben enden. Alle Wildtauben sind auf und girren ihr Sterbegebet – da knallt es, und nieder inmitten des schimmernden, wogenden Kranzes der Tauben stürzt der getroffene Raubvogel. Unterwegs zum Grab will seine Klaue noch ein Opfer haschen, und in dem brechenden Auge funkelt lange noch die Raubgier.

      All mein Lebtag hab' ich keine so merkwürdige Webematte gesehen wie dieses bunte, wunderbare Flechtwerk des Moosbodens. Das ist ein Wald im kleinen, und in dem Schoße seines Schattens ruhen vielleicht wieder Wesen, die wie ich das ewige Gewebe der Schöpfung betrachten. Hei, wie die Ameisen eilen und rennen, wie sie mit ihren haardicken Armen der kleinen Dinge kleinste umklammern, mit ihrem ätzenden Saft alles Feindliche zu vergiften meinen; sie wollen gewiß auch noch die Welt gewinnen vor dem Jüngsten Tag.

      Ein glänzender Käfer hat ihnen lange zugesehen, er denkt verächtlich über die mühsam Kriechenden, denn er selbst hat Flügel. Jetzt flattert er übermütig empor, und funkelnd kreist er hin, und plötzlich ist er umgarnt und gefesselt in Stricken. Die Spinne hat an diesem Dinge schon lange still und emsig gearbeitet; ein Schleier, wie zarter keiner geflochten wird auf Erden, ist des strahlenden Käfers Leichenkleid geworden.

      Die Vöglein im Geäste wollen auch ihr Kunstwerk stellen, sie flechten, wo das Reisig am dichtesten ist, aus Halmen und Zweigen ein Wiegenkörbchen für ihre liebe Jugend. Und wenn ihnen die Sonne just recht am Himmel steht, so singen und jauchzen sie bei ihrer Arbeit, daß es in allen Nadeln und Bäumen widerklingt, sonst aber hocken sie im Nest und schnäbeln und legen die zarten, buntstreifigen Eier.

      Ob es denn wahr ist, daß sich derselbe eine rote Faden fortspinnt durch alle Geschlechter des Menschen- und Tierreiches bis hinab zum allerkleinsten Wesen? Ob denn alles nach dem einen und selben Gesetze geht: was der König Salomon getan auf seinem goldenen Throne, und was die träge sich wälzende Raupe tut unter dem Stein? Das möcht' ich wohl wissen.

      Husch, dort hüpft ein Hase, bricht sich der gekrönte Hirsch Bahn durch das Gestrüppe. Jeglicher Strauch tut auch so geheimnisvoll, als ob er hundert Leben und Waldgeister in sich verberge. Jetzund höre ich das Läuten der Hummel. Wenn in diesen Wäldern einmal eine Kirche gebaut würde und eine Glocke auf den Turm käme – so müßte sie klingen. – Auf dem Erdgrunde liegen die scharf geschnittenen Schattengestalten, und darüber hin spinnen sich die Saiten des Lichtes. Und die Finger des Waldhauches spielen in diesen Saiten.

      Ich trete hinaus in die Lichtung. Ein zitternder Lufthauch rieselt mir entgegen, schmeichelt mit den Locken, küßt die Wangen, daß sie sich röten. Hellgrünes Heidegebüsch mit den roten Blütenglöckchen der Beeren hier, und dunkelglänzendes Preiselbeerkraut, der immergrüne Lorbeer unserer Alpen für den würdigen Dichter des Waldes, so einer zur Welt geboren wird. Die Waldbiene surrt herum auf den Sträuchern und jedes Blatt ist für sie ein gedeckter Tisch.

      Und über dieser dämmernden, duftenden Flur erhebt sich ein schwarzer Strunk, mit dem gehobenen Arm seines kahlen Astes trotzig dem Himmel drohend, weil dieser durch einen nächtlichen Blitzstrahl ihm das Haupt gespalten. Und es erhebt sich dort graues, zerklüftetes Gestein, in dessen Spalten sich behendig die Eidechse birgt und die schimmernde Natter, und an dessen Fuße die zierlich durchbrochenen Blätter der Farnkräuter und die blauen, allfort grußschwankenden Hütchen der Enziane wuchern. Weiterhin, wo sich die Quelle befreit und aus ihrem dunkelschattigen Grunde schimmert, wachsen an ihrem Ufer die tausend Herzen des Sauerklees und der heilsamen Wildkresse, die der Hirsch so gerne pflückt und das Reh, auf daß sie ihre Lunge nicht verlasse zur Stunde der Flucht.

      An der Lehne neben Dornstrauch und wilden Rosen liegt, vom Sturme hingeworfen, seit vielen Jahren das Gerippe einer Fichte, schier weiß wie Elfenbein. Hoch ragen ihre Wurzeln auf, wie einst ihr Wipfel, und eine Schnecke hat sich verirrt in einen starren Zweig der Wurzel hinaus und kann ihren Weg zum Erdreich kaum finden.

      Wo kein Weg geht, dort geht der meine – wo es am steilsten ist, wo das Gestrüppe der Erlenbüsche und Dornsträucher am dichtesten ist, wo die Hundsbeere wächst, wo die Natter raschelt im gelben Buchenlaub des vergangenen Jahres. Wildhühner erschrecken vor mir und ich vor ihnen, und meine Füße sind das Elementarunglück der Ameisen, und mein vordringender Körper ist die Geißel Gottes den Spinnen, deren Bau zugrunde geht an diesem Sommertage.

      Es ist eine Lust, so in die Wildnis zu dringen, ins Dämmerige und Ungewisse hinein; was ich ahne, reizt mich mehr als das, was ich weiß; was ich hoffe, ist mir lieber als das, was ich habe. Vielleicht geht es anderen auch so.

      Ich stehe am Rand einer Wiese, die von jungem Fichtenwald umfriedet ist. In meiner nächsten Nähe, aus dem Dickicht, ist ein Tier aufgefahren, welches in Sprüngen über die Wiese hinsetzt und am jenseitigen Rande stehenbleibt. Es ist ein Reh. Dort steht es nun, hält hoch seinen Kopf und lauert. Ich halte mich wie ein Baumstrunk. Ich dürste sonst nicht nach Blut, es wäre denn bisweilen nach dem der Trauben – aber jetzt folge ich einer angeborenen Neigung des Menschen, hebe meinen Wacholderstock, lege ihn an die Wange, wie ein Gewehr, und ziele gegen die Brust des Wildes. Das steht dort, etwa hundertundzwanzig Schritte von mir entfernt, und blickt zu mir herüber. Es weiß recht gut, daß ein Wacholderner nicht losgeht. Endlich hebt es zu grasen an. Ich setze den Stock wieder zur Erde und trete weiter auf die

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