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Abendlandes unterordnen zu helfen. – Ein großes Ziel, Andreas, aber ein weiter Weg! Die Deutschen haben uns den Weg schwer gemacht, aber der Feldherr ist wie ein Blitz hingefahren in die zerrissenen Völkerfetzen, die keinen großen Gedanken gehabt und keine große Tat. Und das Heer der Russen haben wir vor uns hingeschoben über die wilden Steppen und endlosen Schneeheiden, viele Wochen lang. Aber zu Moskau hat der Russe den Feuerbrand geschleudert zwischen sich und uns, mitten in seine eigene Hauptstadt hinein. – Jetzund stehen wir tief im Lande des ewigen Winters und sind ohne Halt und Stätte und Mittel. Mensch und Schöpfung allmitsamt ist unser Feind gewesen. Da hat's der Feldherr gesehen, es geht bös' in die Brüch', und wir haben uns zur Umkehr gewendet. – Ach großer Gott! Die weiten Sturmwüsten, die hundert Eisströme, die unendlichen Schneefelder, die gewesen sind zwischen uns und dem Vaterland! – Wer marschieren kann und seine erstarrten Beine mag abschleifen bis auf die Knie; wer dem sterbenden Gefährten den letzten Fetzen vom Leib mag reißen, um sich selber zu decken; wer das warme Blut will saugen aus seinen eigenen Adern und das Fleisch von gefallenen Rossen und getöteten Wölfen will verzehren; wer mit den Decken des Schnees sich kann erwärmen und mit den Wellen des Wassers und mit den Schollen des Eises versteht zu ringen, und obendrein den Schreck und den Gram und die Verzweiflung weiß zu besiegen – vielleicht, daß er seine Heimat sieht.

      Erstarrt wie mein Leib ist meine Seel' und mein Gedanken – in einer Wildnis, unter den schneebelasteten Ästen einer Tanne bin ich liegengeblieben...

      Ein räucherig Holzgelaß und ein lebendig Feuer und ein langbärtiger Mann und ein braunfärbig Mädchen haben mich umgeben, als ich erwacht bin auf einem Lager von Moos. Eine Pelzhaut ist auf meinem Körper gelegen. Draußen hat es getost wie ein Wasser oder wie ein Sturm. – Das sind gute, freundliche Augen gewesen, die aus den zwei Menschen mich angeschaut haben. Der Mann hat des Feuers gepflegt; das Mädchen hat mir Milch in den Mund geflößt. In ihrer rauhen Sprache haben sie Worte gewechselt; ich hab' kein einziges verstanden. An Heinrich habe ich gedacht, an den lieben Laut seiner Worte... Mein Leib hat mich geschmerzt; der Mann hat ihn in ein nasses Tuch geschlagen. Das Mädchen hat mir ein kleines Kreuz mit zwei Gegenbalken vor die Augen gehalten und dabei etwas gemurmelt wie ein Gebet. – Sie betet den Sterbesegen, Andreas!

      Du liebes Freundeshaus in Feindesland, was in dir weiter mit mir gewesen ist, das weiß ich nicht mehr zu denken. Das braune Mädchen hat seine Hand oftmals an meine Stirne gelegt. Wär's dazumal dazu gekommen, es wär' ein schönes Sterben gewesen. Es hat sich anders zugetragen. Noch heute hör' ich den Schlag, der die Hüttentür hat zertrümmert. Kriegsgefährten sind eingedrungen, haben den alten Mann mißhandelt und das braunfärbige Mädchen von meinem Lager gestoßen. Mich haben sie davongetragen, hin durch den Sturm und hin durch die Wildnisse – dem Heere nach.

      Mir aber ist gewesen, als täten sie mich schleppen aus der Heimat fort... Gottes ist die Welt überall. Aber die Gefährten haben mich nicht zurückgelassen; das hat mich doch wieder im Herzen gefreut. Fest und treu will ich sein, will zu ihnen halten und meinem großen Feldherrn dienen.

      Am Rhein bin ich genesen. Und zur neuen Frühjahrszeit ein neues Leben hab' ich in mir empfunden. Ein Bursch, der dreiundzwanzig Jahre zählt, hab' ich geglüht für das Hohe und Rechte, für das Gemeinsame, für die Menschenbrüder aller Himmelsstriche; hab' in Begeisterung mit meinen Scharen ausgerufen: »Ein Gott im Himmel und ein Herr auf Erden!« Er ist der Befreier, der Fürstenhader muß enden. Die Stämme müssen ein großes einiges Volk werden! – Solche Gedanken haben mich begeistert. Des Feldherrn finsteres Aug', wie ein Blitz in der Nacht, hat uns alle entflammt. Gegen das Sachsenland sind wir gezogen, um dort den Streit für unseren Herrn auszukämpfen und das schöne deutsche Land unter seinen Schutz zu stellen.

      Bei Lützen hab' ich einem welschen Feldherrn das Leben geschützt; vor Dresden hab' ich dem Blücher das Roß niedergeschossen; bei Leipzig hab' ich meinen Heinrich erschossen ...

      »Andreas!« das ist sein Todesschrei gewesen. An dem hab' ich ihn erkannt. Mitten aus der Brust ist der Blutquell gesprungen. – –

      Jetzt kommt mir die Besinnung. Mein Gewehr hab' ich um einen Stein geschlagen, daß es zerschmettert; waffenlos bin ich in die Schlacht gerast; mit seinem eigenen Schwert hab' ich einem Franzosenführer den Schädel gespalten.

      Was hat's genützt? Ich hab' doch gegen mein Vaterland gestritten, gegen die Brüder, die meine Sprache reden, während ich meine welschen Gefährten kaum verstanden. Und ich hab' meinen Heinrich erschossen. Ach, wie spät gehen mir die Augen auf!

      – Bist ein unerfahrener Mensch. Geh nach Wien zum Karl! – Du getreuer Hofer, hätt' ich deinen Wink befolgt! – Deine Fahne ist gut gewesen, und herrlicher als alle anderen im weiten Land. Von der Stund' an, da mir der Glauben an sie aus dem Herzen gerissen worden, ist mein Unglück angegangen. Die Lieb' zur freien Welt hat mich in die Gefangenschaft gebracht; mein freiwillig Büßen hat mich in Schuld gestürzt; die Treue zu meinem Feldherrn und die Sehnsucht nach einem Großen und Gemeinsamen hat mich zum Verräter meines Vaterlandes, zum Mörder meines Freundes gemacht. – Andreas, wenn schon die Tugend dich dahin geführt, wohin erst hätte dich böse Absicht gestürzt? – Den treuen Führer hast du stolz abgelehnt, da hat dir Erfahrung und Führung gemangelt. – Andreas! du hast dich dem Handwerk und der Wissenschaft und dem Soldatenleben zugewendet; Elend, Wirrnis und Reue hast du geerntet. Fremde Menschen haben dich gehegt und gepflegt wie einen Sohn und Bruder; sie sind dafür mißhandelt worden. Du bringst der Welt und den Menschen nichts Gutes; Andreas, du mußt in die tiefste Wildnis gehen und ein Einsiedler sein! –

      Im Sachsenlande, unter dem Balken einer Windmühle, hab' ich mir diese Wahrheiten gesagt. Und danach bin ich davon, bin geflohen durch das Böhmer- und Österreicherland, bin nach vielen Tagen in die Stadt Salzburg gekommen. Daß in dieser Stadt mich armen, kranken, herabgekommenen Gesellen noch wer erkennen sollt', hab' ich nicht gefürchtet. Im Peters-Friedhof liegt mein Vater begraben, den Hügel hab' ich sehen wollen, ehe ich mir die Höhle suche in einer verlassenen Waldschlucht der Heimat. Und wie ich so auf der kalten gefrorenen Erde liege und weinen kann aus dem Herzen, über mein noch so blutjunges und so unglückseliges Leben, da kommt ein Herr zwischen den Gräbern gegangen, fragt nach meiner Kümmernis und schlägt die Hände zusammen. »Erdmann«, ruft er aus, »Sie hier? Und wie sehen Sie aus! Kaum vier Jahre davon und kaum mehr zu erkennen!«

      Herr von Schrankenheim steht vor mir, der Vater meines einstigen Zöglings.

      Ich bin mit ihm zwischen den Hügeln auf und ab gegangen, hab' ihm alles erzählt. Mit fast hartem Gesicht drückt mir der Mann Geld in die Hand: »Da, schaffen Sie sich Kleider und kommen Sie dann in mein Haus. – Einsiedler werden, pah, das ist kein Gedanke für einen jungen braven Burschen. Ihren Kleinmut müssen Sie überwinden, ein Weiteres wird sich geben.«

      Mit großer Angst bin ich in sein Haus gegangen; denn die eine Narrheit hab' ich noch nicht überwunden gehabt.

      Der Herr von Schrankenheim hat mich seinem Sohne vorgestellt. Das ist schon ein recht hochgewachsener, zierlicher Herr geworden. Die Hände am Rücken, hat er eine stille Verbeugung vor mir gemacht und nach kurzer Weile noch eine, und ist abgetreten. Hierauf hat mich der Vater in sein Arbeitsgemach geführt, hat mich auf den weichsten Sessel niedersitzen geheißen.

      »Erdmann«, hebt er nachher an zu reden, »ist es Ihr wahrhaftiger Ernst, daß Sie in die Wildnis gehen und Einsiedler werden wollen?«

      »Das ist für mich das Beste«, antworte ich, »ich tauge nicht unter die Menschen, die in Lust und Freuden leben; mich haben die wenigen Jahre meiner Jugend herumgeworfen in Irren und Wirren, von einem Land in das andere, und in der Völker Not. Herr, ich kenne die Welt und bin ihrer satt.«

      »Sie sind kaum an die vierundzwanzig Jahre und noch nicht auf der Höhe Ihrer Kraft; und Sie wollen verzichten auf die Dienste, die Sie den Mitmenschen würden leisten können?«

      Da horchte ich auf; das Wort faßt mich an.

      »Wenn Sie meinen, Sie haben bislang nur Übles gestiftet, warum wollen Sie sich aus dem Staube machen, ohne der Welt, dem Gemeinsamen, auch das Gute zu geben, das gewiß in reichem Maße in Ihnen schlummert?«

      Da erhebe ich mich von meinem Sitze: »Herr, so weisen Sie mir die Wege dazu!«

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