Скачать книгу

Wer weist in der ewigen, großen Natur,

       In der wir gewaltet, unsere Spur?

       Neue Menschen ringen mit neuem Geschick,

       Keiner denkt an die alten zurück.

       Da ist ein Blatt mit seinen bleichen

       Tintenstrichen oft das einzige Zeichen,

       von dem Wesen, das einst gelebt und gelitten,

       Gelacht, geweint, genossen, gestritten;

       Und der Gedanke, dem Herz entsprossen

       In Schmerz oder Lust und tollen Possen,

       Sinkt hier nieder, und der Ewigkeit Kuß

       Verhärtet ihn zu einem ehernen Guß.

       Oh, möge er geläutert in fernen Zeiten

       Wieder in die Herzen der Menschen gleiten!

       Meine Ankunft hier ist an einem Samstag gewesen. Als ich am Winkelbach hereingestolpert bin, ist mir schon hie und da so ein Waldteufel begegnet, wie sie braun und bärtig, voll Moos und Harz in ihren Lodenkitteln hier herumgehen. Sie sind wie heimlose dürrästige Baumstrünke, die nach einem frischen Erdboden suchen, auf dem sie wieder wachsen und gedeihen mögen. Da sind sie gerne vor mir stehengeblieben, haben mit Schwamm und Stein Tabakfeuer geschlagen und mich finster oder verwundert angeschaut Mancher Augen haben so Funken geworfen wie ihre Feuersteine. Andere sind wieder treuherzig und weisen mir den Weg. Ein sehr derber und sehr stämmiger Bursche, der eine Rückentrage mit Säge, Axt, Mehlkübel und anderen Dingen getragen hat; ist, als er mich sieht, mißtrauisch beiseite gestanden und hat gemurmelt: »Gelobt sei Jesu Christ!«

      »In Ewigkeit, Amen!« ist meine Antwort, und als er diese hört, wird er zutraulich und geht eine Strecke mit mir.

      Endlich öffnet sich ein wenig das Tal. Es ist ein kleiner Kessel, in welchen aus verschiedenen Schluchten und über das Gewände hernieder, das sich zu meiner linken Hand erhebt, Wässer zusammenfließen. Diese bilden die Winkel. Hier ist ein sehr dicker, oberseitig plattgehackter Baumstamm über den Bach gelegt, auf welchem der Fußsteig hinüberführt zu einem hölzernen Hause, das am Waldhange steht. Das ist die Försterschaft, das einzige größere Haus in diesen Wäldern. Weiterhin in den Gräben und Hochtälern sind Hirten- oder Holzschlägerwohnungen, und jenseits der bewaldeten Bergrücken, wo schon große Blößen geschlagen sind und ein Kohlenweg angelegt ist, stehen Dörfer von Köhlerhütten.

      Dieses kleine Tal heißen sie »im Winkel«. Es ist noch fast in der Urtümlichkeit, nur daß das stattliche Haus mit seiner kleinen, häuslichen Umgebung darin steht und der Fußpfad und der Steg dahin führt.

      Das Försterhaus nennen sie auch das Winkelhüterhaus. Ich bin in dasselbe gegangen, habe in dem Flur mein Bündel auf eine Truhe gestellt und mich selbst daneben hingesetzt.

      Der Förster ist just mit Arbeitsleuten beschäftigt, die ihre Rait, das heißt ihren vierwöchentlichen Arbeitslohn, einheben, wie es bei den Holzleuten so Herkommen ist.

      Der Förster, ein sehr herrischer und ein sehr rotbärtiger Mann, hat die Leute rauh und kurz abgefertigt; und die Leute haben sich die Rauheit sehr gerne gefallen lassen und gar artig schweigsam ihr Geld eingestrichen.

      Nachdem das Geschäft geschlichtet worden, steht der Förster auf und reckt seine stämmigen Glieder, die in echter und rechter Jägertracht stecken. So trete ich jetzund zu ihm und überreiche ihm ein Schreiben, das ich von dem Eigentümer der Wälder mitgebracht habe.

      In diesem Schreiben wird alles Wesentliche gestanden sein. Es ist mir eine gut eingerichtete Stube angewiesen worden. Eine kernige Frau, die da ist und umsichtig alles ordnet, wie es ihr scheint, daß es nötig und gut, ist mit in die Seiten gestemmten Armen jählings vor meiner offenen Tür stehengeblieben und hat laut und hell gerufen: »Jerum, jerum, so schaut ein Schulmeister aus?!«

      Sie hat in ihrem Leben noch keinen Schulmeister gesehen.

      Ich bin bald eingerichtet, habe meine mitgebrachten Habseligkeiten in Ordnung. Da tritt der Förster in meine Stube. Er hat höflich angeklopft. Er besieht meine Wohnung und sagt: »Ist sie Euch gut genug?«

      »Sie ist gut und wohnlich.«

      »Seid Ihr zufrieden?«

      »Ich hoffe, daß ich es sein werde.«

      »So wird es recht sein.«

      Darauf geht er mehrmals über die Dielen auf und ab und, die beiden Hände in die Hosentaschen gesteckt, bleibt er jetztlich vor mir stehen:

      »Und nun seht zu, wie Ihr anheben und fortkommen mögt. Ich gehe morgen davon und komm nur jeden Samstag in das Winkel herein. Die übrigen Tage habe ich in anderen Gegenden zu schaffen, meine Wohnung ist in Holdenschlag, vier Wegstunden von hier. – Gleich eine Schule aufrichten, lieber Mann, das schlagt Euch wohl aus dem Kopfe. Erst müssen wir mit den Alten fertig werden. Ihr, ich sag's, das sind Steinschädel! Und daß Ihr's nur gleich wißt, wir haben allerhand Leut' in unseren Wäldern. Nachweisen läßt sich keiner was Arges, aber sie sind hergezogen von Aufgang und Niedergang – wesweg, das weiß der Herrgott. Zumeist sind es wohl Bauersleut' von den vorderen Gegenden herein, die sich in die Wälder geflüchtet haben, um der Wehrpflicht zu entrinnen. Gibt auch Gesellen unter ihnen, denen man in der dunklen Nacht nicht gerne begegnet. Wildschützen sind sie alle. Solange sie nur auf das Tier des Waldes schießen, lassen wir sie frei herumgehen; das ist nicht zu ändern, und man braucht ihrer Hände Arbeit. Wenn sie aber auch einmal einen Jäger niederbrennen, dann lassen wir sie aus dem Wald führen. Beweibet sind die meisten, aber jeder hat die Seine nicht vom Traualtar geholt. Werdet Leute antreffen, die in diesem Jahrhundert noch keine Kirchenglocke gehört und keinen Chorrock gesehen haben. Werdet bald merken, was das bei den Leuten für Folgen hat. – Tut es, auf welche Weise Ihr glaubt, aber Ihr müßt vorerst die Leute kennenlernen. Und wenn Ihr dann meint, Ihr würdet auf sie einzuwirken vermögen, dann werden wir Euch darin unterstützen. Ihr seid noch recht jung, mein Freund, gebt acht und seid gescheit! – Wenn Ihr wollt, so nehmt Euch die erste Zeit einen Buben, der Euch mit der Gegend bekannt macht. Und wenn Ihr was benötigt, so wendet Euch an mich. Gehabt Euch wohl!«

      Nach diesen Worten ist er davongegangen. Das, scheint es, ist nun mein Herr; möge er auch mein Schützer sein!

      Schon in der ersten Nacht habe ich in dem Strohbette sehr gut geschlafen. Das Rauschen, das vom Bach heraufkommt, tut mir wohl. – Es ist der Brachmonat, aber die Sonne kommt spät über den Waldberg herauf, daß sie freundlich in meine Stube luget.

      Ich bin des Morgens hinaus in das Freie gegangen. Wie ist es da frisch und grün und tauschimmernd, und an den Waldbergen, soweit sie von dem engen Tal aus zu sehen, spinnt sich das bläuliche Sonnentuch über die Lehnen. Gegen die Abendseite hin streben die Vesten der Felsen auf, und oben am Rande stehen wie Schildwachen verwitterte Fichtenzwerge in die Bläue des Himmels hinein. Der Rand da oben soll aber noch lange die höchste Zinne nicht sein. Darüber kämen erst die Matten der Almen, wo jetzt in Sträuchen die roten Rosen blühen sollen; hernach kämen wieder Felswände, an denen das milde Edelweiß prangt und die roten Tropfen der Kohlröschen zittern, wie ich das als Studiosus auf Ausflügen mehrmals gefunden habe. Über diesen Felsen legt es sich wohl hin in weiten unwirtlichen Feldern des Schnees und des Eises, wie ich sie gestern als eine weiße Tafel schimmern hab' gesehen. Wenn ich in meinen Aufgaben hier unten glücklich bin, so will ich einmal emporsteigen zu den Gletschern. Und über den Gletschern ragt letztlich der graue Zahn, von dessen Spitze aus, wie mir meine Wirtin hat gesagt, in weitesten Weiten das große Wasser soll zu sehen sein. Bin ich glücklich hier unten, so gönne ich mir, daß ich von dem hohen Berge aus einmal das Meer anschaue. Ich bin in Krieg und Sturm durch die halbe Welt gerast und hab' nichts gesehen als Staub und Stein; und jetzt im Frieden der Einsamkeit geht mir ein Auge auf für die Schöpfung. Aber – Wildschützen, Soldatenflüchtlinge, Gesellen, denen man zur Nacht nicht gerne begegnet! – Andreas, das wird ein heißes Tagewerk geben!

      Urwaldfrieden

       Inhaltsverzeichnis

Скачать книгу