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Sie zeterte herum und versuchte ständig, mir die Haare zu verwuscheln. Ich floh in mein Zimmer und schloss die Tür ab. Und da saß Yara, mitten auf dem Teppich. Ich erschrak fürchterlich.

      »Darum antwortest du also nicht«, sagte sie vorwurfsvoll und schwenkte ein Fläschchen Desinfektionsmittel in der Luft, das Kim wohl vergessen hatte.

      »Hat sich aber gelohnt, oder?« Ich strahlte und drehte mich vor ihr, um meinen neuen Look zu präsentieren.

      »Na, ich weiß nicht, vorher hast du mir besser gefallen.« Das war nun gar nicht, was ich hören wollte. »Aber Hauptsache, du wirst nicht auch noch so arrogant wie Kim.«

      »Yara, du täuschst dich. Kim ist gar nicht so. Die war total nett und hat mir stundenlang alles gezeigt, einfach so.« Ich ließ mich neben Yara gleiten und versuchte, dabei so elegant wie Kim auszusehen. »Die würde dir bestimmt auch helfen.«

      »Mir helfen?« Yara quiekte. »Warum denn helfen? Sie ist doch diejenige, die Hilfe braucht, nicht ich.«

      »Da täuschst du dich schon wieder. Sie hat alles im Griff.«

      »Ach so. Und ich nicht oder was?« Yara war richtig in Rage.

      »Mensch, du weißt doch, wie ich das meine.«

      »Nein, das weiß ich nicht. Kim hat nicht mal Freunde.«

      »Woher willst du das wissen? Vielleicht hat sie ja ganz besonders tolle Freunde, nur eben nicht in der Schule. Und sie hat einen eigenen Kanal und mehr Follower als wir alle zusammen.« Ich öffnete @KimGalaxy auf meinem Handy und zeigte Yara den jüngsten Beitrag: Kim in einem Leopardenmantel, mit leicht geöffnetem Mund, der den Blick auf ein paar spitze, funkelnde Reißzähne preisgab. »Sie weiß auch, wie man die Pics bearbeitet. Das zeigt sie uns bestimmt.«

      »Und dann finden wir ’nen Haufen toller neuer Freunde oder was?« Yara stand auf und baute sich vor mir auf. »Isi, was ist nur mit dir los? Hallo! Wir brauchen keine Follower. Wir sind die einzige Klasse in der Schule, vielleicht sogar die einzige ever, die so eine tolle Gemeinschaft hat. Wir sind unsere Follower.«

      »Außer Kim«, sagte ich.

      »Jahaaa, außer Kim. Aber auf ihr rumhacken tut trotzdem keiner, obwohl sie viel Angriffsfläche dafür bietet.« Yara setzte sich wieder neben mich, ganz nah, und drückte auf ihrem Handy herum. »Sieh mal, was Matteo mir geschrieben hat.« Sie hielt mir das Handy vors Gesicht und als ich nicht reagierte, las sie laut: »Yara, ich mach mir Sorgen um Isi. Sie liest meine Nachrichten nicht. Ist sie zu ihrem Vater? Bitte sag Bescheid, wenn du was weißt.« Yara steckte das Handy weg. »Es macht mich fertig, dass du dabei bist, alles kaputt zu machen. Und das mit der Wette ist auch so ein Hirnfurz von dir.« Sie nahm meine Hände und sah mich flehentlich an. »Ich weiß, hier bei dir zu Hause dampft gerade die Scheiße, aber wir sind doch noch da, deine Freunde.« Sie rüttelte an meinen Händen. Ich hörte alles und spürte, wie sie an mir zog, mit all ihrer liebevollen Verzweiflung, aber ich hing schon zu sehr in Kims Netz, das eine neue Sicherheit versprach, und wollte mich nicht daraus befreien lassen, obwohl es wehtat. Ein notwendiges Übel, dachte ich mir. Es gehörte nun mal zu meinem Veränderungsprozess, wie Schmerzen zum Stechen eines Tattoos gehörten. Und dann tat ich etwas völlig Bescheuertes. Ich nahm das Gel von Kim und desinfizierte mir die Hände. Yara sprang auf. Tränen liefen ihr über die Wangen. Es tat mir sofort leid, aber ich sagte nichts, war ja eine andere jetzt. Ich sah sie wie aus weiter Entfernung aufspringen und wortlos das Zimmer verlassen. Weinen durfte ich nicht, Kim hatte sich so viel Mühe mit meinem Make-up gegeben.

      12

      Am nächsten Morgen stand ich sehr früh auf und machte alles genau so, wie Kim es mir gezeigt hatte. Ich brauchte mehr als eine Stunde, bis ich zufrieden war. Mama war zum Glück schon bei der Arbeit und konnte mir keine Szene machen. Mit fünf Minuten Verspätung betrat ich den Klassenraum, ausgerechnet bei Krätzer, dem schärfsten Hund der Schule. Wir hatten ihn in Deutsch, was seitdem nicht mehr mein Lieblingsfach war. Wenn man bei Krätzer zu spät kam, wurde man für eine halbe Stunde vor die Tür geschickt und sollte in der Zeit über sein Leben nachdenken. Die Ergebnisse musste man dann schriftlich zusammengefasst in sein Fach legen lassen. Ich hatte mir deshalb schon einige Gedanken über Lilly, ihren Verlust und die Auswirkungen auf mein vegetatives Nervensystem zurechtgelegt, als ich den Raum betrat.

      »Guten Morgen.«

      »Ja, bitte?« Krätzer lächelte. Warum lächelte der?

      »Sorry, bin mit dem Absatz im Gitter hängen geblieben«, log ich.

      In Krätzers Oberstübchen war die Hölle los. Die Stirn zuckte hin und her. Das Lächeln erstarrte für einen Moment, bis es absackte wie ein Reifen, aus dem man die Luft abließ.

      »Isabelle?« Er hatte mich tatsächlich erst jetzt erkannt. Wie cool war das denn? Ich nutzte die Gunst des Moments und wackelte so elegant wie möglich durch den Mittelgang zu meinem Platz. Tuscheln ging gar nicht bei Krätzer, aber es wurde getuschelt. Und wie. Ich zwinkerte Kim zu, die auf ihre unnachahmliche Art und Weise reagierte. Sie blickte auf ihr Handy und machte ein Foto von mir. Ich wertete das als Zustimmung. Krätzer schien kein passender Kommentar einzufallen und er stotterte ein wenig herum, bis er den Unterricht einfach fortsetzte. Echt irre. Um Krätzer zu verunsichern, musste man schon ganz großes Kino abliefern. Ich war zufrieden. Yara schob mir einen Zettel rüber. Ich faltete ihn auf.

      Da du nicht mehr in den Chat guckst: Bei Latifa steigt Freitag eine Party. Kommst du?

      Klar, schrieb ich und: sorry wegen gestern. Dann schob ich den Zettel zurück.

      Was ist mit Lilly?, schrieb Yara darunter. Ich zeichnete einen traurigen Smiley und schob das Blatt zurück. Dann wagte ich einen Blick zu Matteo. Es schmerzte schon ein bisschen weniger, ihn anzusehen, wie ein verblassender Traum. Er tat so, als hätte mein Blick ihn wie ein Pfeil getroffen, und hielt sich beide Hände theatralisch über die Brust. Dann grinste er. In meinem Herzen zuckelte es und ich wandte mich schnell Krätzer zu, der gerade Wilhelm Tell zerlegte. Das Handy in meiner Hosentasche vibrierte Sturm. Die Klasse war in Aufruhr. Ein Schäfchen drohte aus der Herde auszubrechen. Ich versuchte, mich weiter auf die Symbolik von Äpfeln zu konzentrieren. Am Ende der Stunde winkte Krätzer mich mit einer Handbewegung zu sich.

      »Isabelle, was auch immer dich gerade reitet, vergaloppier dich nicht.«

      Er hob seine buschigen Brauen in die Höhe und sah mir so tief in die Augen, dass mir mulmig wurde. Er rührte in meinem Innersten herum, bis mir fast die Tränen kamen.

      »Tell ist ja echt angepisst.« Kim stand plötzlich neben mir und sprach, was ja wie gesagt selten vorkam. Krätzer ließ endlich von mir ab und sah Kim an.

      »Wie meinst du das?« Während er auf eine Antwort wartete, konnte man deutlich sehen, wie seine Nasenflügel zitterten. Er war kurz vorm Ausrasten.

      »Na wie ich’s gesagt habe, angepisst. Etymologisch von pissen, urinieren. Hier im Sinne von richtig scheiße dran sein.« Krätzer starrte sie an. Wahnsinn.

      »Hört mal, ihr beiden«, sagte er sehr langsam und drohend, »wenn ihr mich verkackeiern wollt, dann müsst ihr euch aber warm anziehen.«

      »Verkackeiern?« Kim machte auf Unschuldslamm und schob die Schmolllippen nach vorne. »Wie meinen Sie das?« Krätzer schnappte seine Tasche.

      »Das gebe ich dir heute als Hausaufgabe auf: Etymologische Herleitung von Verkackeiern. Und Kim«, er senkte Kopf und Stimme. »Du hast eine Vereinbarung mit der Schule, vergiss das nicht.« Er zog mich ein wenig zur Seite. »Isabelle, setz nicht aufs falsche Pferd. Der schillerndste Schimmel im Stall ist nicht immer die beste Wahl.« Und weg war er. Kim lächelte zufrieden und stolzierte auf ihren Platz zurück. Hatte sie das jetzt für mich getan? Und dann ging’s los. Latifa war die Erste, die mich löcherte.

      »Isi, was ist denn los? Ich hab dir ’ne Einladung geschickt.«

      »Sie hat sich doch auch schon in Schale geworfen«, sagte Lenny. »Hält das bis Freitag?« Er wollte mir mit einem Finger über das Gesicht streichen, aber ich wich schnell zurück.

      »Hey, du Spacko, geht’s noch?«

      »Mit so

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