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Ausgewählte historische Romane. Levin Schucking
Читать онлайн.Название Ausgewählte historische Romane
Год выпуска 0
isbn 9788027225880
Автор произведения Levin Schucking
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Und glaubst du, daß das Schicksal von Zeit zu Zeit die Gefälligkeit hat, dir einen Wink zu geben?«
»Das ist es eben: wenn ich klage, daß ich diese Winke nicht verstehe, so heißt das mit andern Worten, ich weiß nicht, ob das Schicksal mir einen Wink gibt.«
Ritterhausen zuckte die Achseln.
»Was ich meine,« fuhr Sibylle fort, »kann ich nur durch ein Beispiel klar machen. Man sucht etwas zu erreichen, man hat sich ein bestimmtes Ziel gesetzt, zu dem man gelangen will. Nun stößt man auf Hindernisse. Man überwältigt sie; aber kaum sind sie besiegt, so erheben sich neue; und sind auch diese aus dem Wege geräumt, so treten abermals andere zwischen uns und unsern Wunsch. Liegt nun darin ein Wink des Schicksals? Will uns eine gütige Macht ablenken von der Verfolgung unsers Plans ? Sagt sie uns: lasse ab von deinem Beginnen, denn es führt nicht zu deinem Heile, sondern zu deinem Unglück? Oder sollen wir uns sagen: alle diese Hemmnisse sind ebensoviele Prüfsteine deiner Charakterkraft, deiner Energie? Ueberwältige sie und desto stolzer wirst du auf dich sein können, wenn du zu Ende geführt hast, was du begonnen!«
»Das sind Grillen für einen Frauenkopf,« antwortete Ritterhausen. »In einem Manne, das heißt einem rechten Manne, können sie nicht aufsteigen. Ein Mann übernimmt nicht eher etwas, als bis er wohlüberlegt hat, bis er klar darüber ist, erstens ob die Sache ihm wirklich nützt, und zweitens, ob sie erreichbar ist. Was ihm alsdann in den Weg tritt, das sucht er zu besiegen ohne nach Winken des Schicksals zu fragen, an die ich nicht glaube. Ich glaube nur an ein blindes Fatum, genannt Glück und Unglück. Was aber das Schicksal, unser Menschenschicksal angeht, so habe ich mir in meinem Marterstuhl hier darüber den folgenden Spruch gemacht:
Sei ein Roß, das blind in der Mühle sich dreht.
Sei ein Hund, ins Tretrad gespannt!
So lautet der Spruch, der geschrieben steht
Für uns all von des Schicksals Hand;
Und hast du geplagt voll Angst und Not
Dich lange Jahr’ ohne Ruh’,
Dann schnürt dir zum Lohne der grimme Tod
Hohnlachend die Gurgel zu! –«
»Das ist gotteslästerlich, Vater!« sagte Sibylle vorwurfsvoll.
Ritterhausen zuckte abermals die Achseln und blickte zum Fenster hinaus.
Auch Sibylle schwieg und träumte stumm weiter. Sie wußte ja, daß sie mit ihrem Vater, den sein Leiden zum Menschenfeind und zum Skeptiker gemacht hatte, sich über Fragen wie die angeregte nicht verständigen würde. Und darum verschloß sie ihre Gedanken vor ihm, wie sie so vieles andere still in ihrer Brust verschloß. Aber doch hatte etwas wie eine Ermutigung für sie in den Worten ihres Vaters gelegen. In dem nämlich, was er gesagt über die männliche Weise, ein Ziel zu verfolgen. Auch sie verfolgte trotz aller Hemmnisse auf solche männliche Weise ein Ziel, einen bestimmten Zweck – und wenn ihr Mut, ihre Zuversicht auf einen endlichen Sieg auch oft sinken, wenn ihr Herz auch in dunkeln Stunden hoffnungslos verzagen wollte – sie ermannte sich immer wieder und rief sich zu, wie sie es in diesem Augenblick tat: beharrlich und treu!
»Du hast schärfere Augen, Sibylle,« sagte nach einer langen Pause der Hammerbesitzer, »blicke doch einmal nach der Rheider Burg hinauf!«
»Und was soll ich da sehen?« fragte Sibylle sich erhebend und hinter den Stuhl ihres Vaters tretend, von wo aus man den freisten Blick auf den hochragenden Edelsitz hatte.
»Es scheint mir da oben ein ungewöhnliches Leben zu herrschen,« versetzte Ritterhausen.
Sibylle schaute eine Weile hin, ihre Hand über die Augen haltend, weil das Sonnenlicht sie blendete. Dann sagte sie: »Es ist wahr, man wirft Fenster auf und es bewegen sich einzelne Gestalten im Innern an den Fenstern vorüber.«
»Was mag das zu bedeuten haben?«
»Gott weiß es,« antwortete sie in auffallender Unruhe, »ich will hinaufgehen, um näher nachzuforschen.«
»Das halte ich für ebenso überflüssig als auffallend, Sibylle,« bemerkte Ritterhausen.
Aber das junge Mädchen ließ sich nicht irremachen. Sie brachte die Bewegung da oben in der Rheider Burg mit ihrem Deserteur, dem sie aus Mitleid mit seiner Lage dort ein Versteck gezeigt hatte, in Verbindung, und die Unruhe trieb sie, sich selbst von dem, was vorgehe, zu überzeugen.
Darum nahm sie Hut und Umschlagetuch und verließ das Gartenzimmer, um auf ihrem gewöhnlichen Wege, durch den Garten und über den Steg, der den Fluß überbrückte, hinaufzugehen. Es konnte ja auch niemand befremden, wenn sie heute ein wenig früher als an andern Tagen ihren Spaziergang zur Burg hinauf machte.
Ritterhausen blieb allein, seinen Gedanken überlassen, einer Gesellschaft, welche er viel zu oft und zu lange genossen hatte, als daß sie ihm sehr unterhaltend gewesen wäre. In seinem Egoismus fesselte er deshalb auch seine Tochter, seinen einzigen Umgang, fortwährend an sein Krankenzimmer und erlaubte ihr willig nur dann ihn zu verlassen, wenn die Leitung des Geschäftes, das er ihr ganz übertragen hatte, sie gebieterisch abrief. Sie war jetzt schon seit Jahren nicht für einen einzigen Tag abwesend gewesen von dem väterlichen Hause. Und statt daß Ritterhausen sich gesagt hätte, diese Einsamkeit und dieser Mangel an Zerstreuungen gebe ihrem Geiste ganz natürlich eine schwermütige und dem Leben sich abwendende Richtung, zog er es vor, seinen Egoismus zu beschönigen, indem er sich umgekehrt vorsagte, da ihr Gemüt eine ernste und schwermütige Richtung besitze, so entbehre sie die Zerstreuungen und die Genüsse nicht, welche die Geselligkeit und der Aufenthalt in einer Stadt, im Mittelpunkt bewegter Verhältnisse darbieten.
So viel ist gewiß, Sibylle verlangte nicht nach ihnen. Es kam ihr nie in den Sinn, daran zu denken, ihre Existenz sei ein Opfer, welches sie der kindlichen Liebe bringe. Vielleicht war das auch nicht ganz der Fall. Vielleicht brachte sie dies Opfer eigentlich einem ganz andern sie beherrschenden Gedanken. Genug, sie schien völlig zufrieden mit dieser Existenz, welche sie mit unnachlassender Beharrlichkeit der Pflege ihres Vaters und der sachkundigsten Verwaltung des Hammers widmete. Bei dieser Verwaltung zeigte sie eine bewundernswürdige Umsicht. Allerdings ist diese Art industrieller Betriebsamkeit durch ihre Einfachheit mehr als jede andere geeignet, von einer Frau geleitet zu werden. Fleiß, Ordnung und die regelrechte Ausbeutung gewisser auf den einzelnen Werken geheimgehaltener, gewöhnlich ererbter Kunstgriffe, Manipulationen und Verfahrungsweisen reichten damals noch aus, den Betrieb gewinnbringend zu machen. Sibyllens Ueberwachung erzielte dieses Ergebnis in auffallendem Maße, ja so sehr, daß Ritterhausen auch da willig ihren Anordnungen freien Lauf ließ, wo er selbst anderer Ansicht war.
Sie hat einmal Glück, sagte er sich, und sie versteht Geld zu machen wie ein Wucherer!
Er wollte jetzt eben ein auf der Fensterbank neben ihm liegendes Buch zur Hand nehmen, um damit die Zeit zu töten, als er aufschauend, zu seiner Ueberraschung gewahrte, daß Sibylle, raschen Schrittes zurückkehrend, durch den Garten daherkam, und zwar nicht allein, sondern gefolgt von einem Manne in grüner, auf allen Nähten mit breiten goldenen Tressen bedeckter Jägerlivree.
»Was ist das?« sagte Ritterhausen sich aufrichtend, »ein herrschaftlicher Jäger, der gerade aussieht, als gehöre er unserm französischen Landesherrn, so glänzend ist er ausstaffiert!«
»Seltsame Neuigkeiten, Vater,« rief Sibylle in diesem Augenblick, die Treppe aus dem Garten hinaufeilend und ziemlich außer Atem in das Zimmer tretend. »Denken Sie sich, die Burg hat einen neuen Herrn, einen französischen Grafen, und der ist oben im Schlosse mit dem Großherzog selber und einer ganzen Suite Herren vom Hofe ...«
»In der Tat?« rief Ritterhausen aus, »Nun, ins Teufels Namen! Ich sehe nicht ein, weshalb du so aufgeregt darüber bist!«
»Ich bin es deshalb, weil dieser Mann hier uns anzukündigen kommt, daß wir den Besuch der Herren zu gewärtigen haben.