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erhob sich, nahm die Lampe und ging leise aus der Kammer.

      Ihre traurigen Worte hatten Bernhards Freude gedämpft; bald aber gewann diese mit einem angemessenen Entzücken wieder die Oberhand; er war also nicht der Sohn, der Bastard Katterbachs, wie dieser ihm an jenem Abende im Walde zugeflüstert hatte. Wie eine Zentnerlast fiel es ihm vom Herzen! Er schaute durch die Fenster, ob es nicht bald tage; mit dem ersten Sonnenstrahl wollte er zum Schlosse hinauf, um eines von Herrn von Kranecks Pferden zu entlehnen, dann windschnell nach Bechenburg, um in Besitz der Dokumente zu kommen – seine Gedanken flogen den Hufen seines gespornten Gaules vor – über die Heide zum Stifte, zu Katharinen – er sah sich vor ihr stehen, zitternd, atemlos, seine Urkunden in der Hand – er sah sie selber zittern – blaß und rot werden – er sah, er fühlte sie in seinen Armen liegen. – »O Gott, o Gott, wie kann ein Mensch doch glückselig sein!« jubelte er auf und schlug dann still die Hände zu sammen, als ob er beten wolle. Ein Husten tönte von jenseits der Küche her durch die nächtliche Stille. Es war Margret.

      »Meine Mutter!« stammelte Bernhard betroffen. »Ich denke nicht mehr an sie, noch an die arme Lene. Was soll aus meiner Mutter werden? – Sie habe mich gestohlen, sagte Lene – Herr des Himmels, es geht nicht!«

      Er sank in die Kissen zurück, seine Brust wogte, von einem gewaltsamen Atem bewegt, keuchend auf und ab – er rang mit sich in einem inneren Kampfe, der ihm den Schweiß auf die Stirne trieb. Eine Schar von unseligen Gedanken flog durch sein fieberndes Hirn; seine Mutter hatte ihn seinen Eltern genommen – weshalb – konnte sie einen andern Grund gehabt haben, als ihn dem geheimnisvollen, aber sicher tödlichen Verhängnis zu entreißen, das die andern Kinder der Schemmeyschen Familie, sein älteres Brüderchen und seine Schwester betroffen? Er dankte ihr das Leben also – nur ihr, glaubte er; sie hatte ihn wie ihr eignes Kind großgezogen, sie hatte alle die unsägliche Last auf sich genommen, welche die Erziehung eines hilflosen Geschöpfes einer Mutter aufbürdet – gegen ein fremdes Kind hatte sie alle die Geduld, die hegende und pflegende Sorgfalt geübt – er mußte ihr ja noch mehr dankbar sein als einer rechten Mutter. Und nun, was sollte aus ihr werden, wenn er mit seinen Ansprüchen hervortrat? Würde die Welt, würden die Gerichte glauben? Würde es nicht heißen, sie habe, von Katterbach bestochen, ihn unterschlagen? Würde Herr von Driesch, der sie nicht leiden mochte, den Umstand verschweigen, daß sie Geld von jenem bezogen habe, und wenn der auch, würden es die Domestiken, die alle es erfahren und gewiß schon längst ein Gerede in der Gegend von Bechenburg daraus gemacht? Würde es nicht heißen, wenn Margret ihn aus bloßer Fürsicht seinen Eltern entzogen habe, weshalb sie denn nicht jetzt, nun er erwachsen sei, das Geheimnis entdeckt habe, um die Güter nicht in fremde Hände kommen zu lassen?

      Diese Frage machte ihn einen Augenblick stutzig und ließ ein Schatten von Argwohn gegen Margret in ihm selber aufsteigen. Aber Margret, sagte er sich wieder, hing mit einer so mütterlichen Zärtlichkeit an ihm; er war ihre einzige Freude, die sie auf der Welt hatte; gewiß war es ihr unmöglich, sich von ihm zu trennen und ihre Mutterrechte an ihn aufzugeben; sie war eine alte Frau, die nicht lange mehr zu leben hatte und wahrscheinlich gedachte, auf ihrem Todesbette ihm die Papiere auszuhändigen. Sie hatte freilich fortwährend Geld von Katterbach bezogen; aber es war ja eine Pension, die ihr auf die Güter verschrieben, wie sie ihm oft gesagt, obwohl er nicht recht begriffen, weshalb sie gegen andere ein Geheimnis daraus gemacht hatte; und er wußte zudem, daß sie nichts davon für sich behalten, sondern es ganz für seine Studien verwandt habe. – Die arme Frau, wenn es möglich sei, sie den Gerichten zu entziehen, sollte er sie vor der ganzen Welt prostituieren? Und es war auch nicht möglich, sie den Gerichten zu entziehen; seine Ansprüche ließen sich sicherlich nicht ohne Rechtshändel und ohne ihr Zeugnis durchsetzen. – Es war unmöglich, es konnte ihr den Hals kosten!

      Bernhard war aus allen seinen Glücksträumen niedergestürzt und fühlte sich wieder so arm, so verlassen wie früher. Nur eine Hoffnung tauchte in ihm auf, die er sich im nächsten Augenblicke jedoch zum Vorwurf machte; aber dennoch blieb sie: Margret konnte bald sterben. Dann wollte er auftreten mit seinen Ansprüchen – aber dann, wie vieles konnte sich geändert haben bis dahin? Würde Katharina dann nicht längst ihn vergessen haben? – Er drückte schluchzend sein Gesicht in die Kissen. Dann bestürmte ihn ein anderer Gedanke: War er nicht vielleicht Katharinen, ihrer Liebe zu ihm, schuldig, daß er hervortrete und ein Geheimnis enthülle, von dessen Entdecken vielleicht auch ihr Glück abhing? – Ach Gott – war er ihrer Liebe sicher? War er nicht ein Tor, ein vermessener Geck, den sie mit ihrem Zorn, ja mit ihrer Verachtung bedräut, wenn er es sich einfallen lassen würde, zu glauben, sie liebe ihn anders, wie ihn eine Verwandte lieben würde? Sie war so kalt und stolz an ihm vorübergeritten – Bernhard sank in seine Verzweiflung zurück, als er daran dachte. Aber sein Entschluß stand fest und unerschütterlich. Er wollte seine Pflicht tun gegen die, welche ihm das Leben am nächsten gestellt. Er wollte fürs erste abwarten, ob der Mensch, der ihn in der Entenhütte aufgesucht, ihm die Papiere nach dem Ablauf der versprochenen Zeit übergebe; wenn nicht, wollte er sich selber auf den Weg machen, um sie in Sicherheit zu bringen.

      Der Morgen dämmerte. Bernhard hatte sich erhoben und schritt in seinem Zimmer auf und ab; als die Sonne emporstieg und ihre ersten Strahlen durch das Fenster in sein blasses, resigniertes Gesicht fallen ließ, hörte er Margret rufen. Lenes Stimme antwortete nicht wie sie pflegte, wenn Margret um diese Zeit nach ihren Dienstleistungen verlangte. Er ging, um Lene zu wecken – aber ihre Kammertür stand offen, Lene war fort; ein Teil ihrer Habseligkeiten war mit ihr verschwunden, der andere lag in ein Bündel zusammengeschlagen auf ihrem Tische.

      »Was habt ihr miteinander gehabt?« fragte Margret, als sie es hörte, mit einer scharfen und etwas zornigen Betonung, während sie Bernhard scharf ins Gesicht sah.

      »Nichts, Mutter!«

      »Nichts? Solch ein Nichts ist eine hinreichende Antwort; geht, ich will aufstehen, setzt mir erst den Schemel hierher vors Bett, so ! – Es ist vielleicht gut, daß die Dirne fort ist«, murmelte sie, als Bernhard aus der Kammer war.

      Bernhard war es schwer geworden, das Wort Mutter über seine Lippen zu bringen. Alles kam ihm verändert vor, tot und öde um ihn, Margret fremd und kalt, das Haus wie ausgestorben; es war ihm krank zumute. Die acht Tage, binnen welcher Wendels wiederkommen wollte, schlichen so träge an ihm vorüber, wie ebensoviele Monden; er war jeden Abend an der Waldkapelle oben – aber Wendels kam nicht; weder von ihm noch Lene war eine Spur zu entdecken.

      Sechstes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Der Scherenschleifer hatte Bernhard die Aushändigung der Briefschaften versprochen, als Preis für eine Art Verzichtleistung auf die Tochter seines Stammes, die nun selber in ihr heimatliches Gebiet, in das Reich der Waldungen und Gebirgsschluchten zurückgekehrt schien, worin jener regierte. Was war natürlicher, als daß er jetzt an nichts weniger dachte als daran, ein Versprechen zu erfüllen, bei dem er kein Interesse mehr haben konnte«? Bernhard entschloß sich deshalb, nach Bechenburg zu reisen, um nach Lenes Anweisung sich in den Besitz der für ihn so wichtigen Papiere zu setzen; er war nur noch unentschieden darüber, mit welchem Vorwande er Margret diese Reise begreiflich machen könne, und wanderte eines Abends – es mochten vierzehn Tage nach der Nacht von Lenes Verschwinden hingeflossen sein – mit diesem Plane beschäftigt durch das Tal, welches sich hinter dem Dörfen Kraneck nach Westen hin ausdehnte. Er war oben bei der Kapelle gewesen; jetzt schritt er hinab bis an das Ufer des Sees, der in der Mitte des Tales lag und von einem Bache gespeist wurde, welcher höher im Gebirge entspringend, zwischen schilfbewachsenen, ziemlich morastigen Ufern sich der Wasserfläche zuschlängelte, dann seinen Lauf weiter fortsetzte und das überflüssige Wasser des Sees durch die Schlucht, die das Tal öffnete, aus dem letzteren fortführte. Ein Steg für Fußgänger leitete hinüber; sonst war das Tal dadurch in zwei Hälften abgetrennt, da eine eigentliche Brücke nur in dem Dorfe sich befand. Bernhard stand auf jenem Stege und schaute in das zuckende Spiegelbild der Sonne, das golden auf der Wasserfläche vor ihm lag, bald vorwärts, bald rückwärts schießend, wie eine am Himmel vorüberziehende Wolke die Strahlen abschnitt oder frei ließ. Plötzlich zog ein »Holla? Hoho!«, das aus der Ferne klang, seine Aufmerksamkeit

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