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Ausgewählte historische Romane. Levin Schucking
Читать онлайн.Название Ausgewählte historische Romane
Год выпуска 0
isbn 9788027225880
Автор произведения Levin Schucking
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Achtes Kapitel
Katharina war während der ersten Stunden ihrer Reise in einer Aufregung, die sie wenig zu besonnener Ueberlegung ihres Schrittes kommen ließ. Endlich hatte sie wenigstens einen sichern Faden aus dem Gewebe in ihre Hand bekommen, das sie irgendwo geschlungen und verborgen ahnte, ohne bis jetzt die geringste sicher leitende Spur entdecken zu können. Daß Bernhard ein geretteter Erbe der Schemmeys sein könne, hatte ihr eine Art innerer Eingebung gesagt, in derselben Stunde, in der sie das Geschick dieser Familie ihm selbst erzählt hatte. Die alte Margret war plötzlich mit ihm von Bechenburg abgezogen, nachdem Herr von Driesch Verbindungen derselben mit dem jetzigen Besitzer der Schemmeyschen Güter – einem Menschen, der in dem Rufe stand, zu allem fähig zu sein – entdeckt hatte. Dies hatte Katharina durch das Gerücht erfahren; ihre geheimen Nachforschungen, wohin sie sich gewandt habe, waren ohne Erfolg geblieben. Bei diesem Verschwinden Bernhards hatte Katharina zu ihrer Bestürzung wahrgenommen, welche leidenschaftliche Kraft ihre Neigung zu ihm genommen; eine Neigung, die so unglücklich war, daß sie sich schuldig zu sein glaubte, mit aller Macht ihrer Seele dagegen anzukämpfen. Diese Macht war groß genug gewesen, um ein Frauenherz mit dem Gefühle bodenlosen Betrübtseins niederzuhalten, aber nicht es zu besiegen. Sie hatte eine unglückliche Zeit durchlebt; eine Zeit der unglückseligsten Halt- und Ratlosigkeit, wie sie einem Hauptabschnitt der inneren Geschichte so mancher Menschenbrust sein Gepräge gibt. Es ist immer dieselbe Geschichte, welche nichts Ungewöhnliches, aber desto mehr Trauriges hat; sie hatte das Gefühl innerer Berechtigung ihrer Liebe nicht ersticken können; es forderte ungestüm, daß ihm öffentlich und vor aller Welt dies sein Recht geschehe; aber eine Unzahl Verhältnisse trat dem in den Weg, welche, als Katharina sie näher prüfte, nichts für sich hatten als ihre Existenz und ihre Gewalt. Sie fühlte, daß sie ihrem eignen Dasein und der von der Natur tief in ihr Herz gepflanzten Ueberzeugung es wie eine heilige Pflicht schulde, einer Liebe zu folgen, deren Befriedigung sie glücklich und dadurch auch gut mache, und allein imstande sei, sie zu der harmonischen, schönen, wie ein Kunstwerk seinen Kern und Mittelpunkt in sich tragenden Lebensgestaltung sich ausbilden zu lassen, welche die eigentliche Aufgabe des irdischen Daseins ist. Und was trat ihr in den Weg, um sie für ihr Leben zu einem unglücklichen, nutzlosen, ihre Bestimmung verfehlenden Geschöpfe zu machen? Prinzipien der herrschenden Meinung, die wie weise Propheten mit ihren erlogenen göttlichen Offenbarungen das gesalbte Königtum ihres Geistes schulmeistern wollten; die den Ysopzweig voll Essig, mit dem sie tränkten, für die Palme himmlischer Weisheit ausgaben.
Aber sie hatten die Ansicht der Menge für sich, diese Propheten; die Weisheit aller der gepuderten Perücken, die herzlose Ueberzeugung aller der brokatenen Reifröcke, in deren Kreise Katharina durch ihre Geburt gebracht war. Wohl hatten die meisten dieser Menschen, die Frauen insbesondere, ein ähnliches Geschick einmal in ihrem Leben gehabt; sie hatten sich fügen, sich opfern müssen – und hauptsächlich daher mochte ein Teil der völligen Nutz- und Ersprießlosigkeit, der Verschrobenheit und des Unverstandes rühren, die in ihrer Gesellschaft herrschten. Aber wehe jetzt dem, der sich herausnehmen wollte, seinem Schicksal eine glücklichere Wendung zu geben, als jene vermocht hatten! Sie hatten das Vorurteil zu teuer besiegeln müssen, ihm mit ihrem besten Herzblut ein Opfer gebracht; wehe dem, der durch die Tat beweisen wollte, daß es ein Vorurteil sei!
Katharina hatte in der Residenz Zerstreuung gesucht; der Aufenthalt in derselben hatte nur ein stärkeres Zurückdrängen in ihr eigenes Innere für sie zur Folge haben können. Die Menschen waren ihr wie ein kopfnickendes, zungenschwellendes Pagodengeschlecht vorgekommen. Der Reichtum ihres Gefühls und ihres ganzen eignen Seins, in dem die Liebe wie ein die höchsten Mysterien der Existenz, halb in klaren Deutungen, halb in traumhaften Ahnungen verkündender Engel der Offenbarung waltete, hatte sie daran gewöhnt, in jeder menschlichen Gestalt, die neu vor ihr auftauchte, etwas Unendliches vorauszusetzen, eine eigentümliche, von irgendeiner besonderen Brechung des ewigen Lichtstrahls erfüllte Welt. Aber als sie immer mehr inne ward, wie sehr diese Voraussetzung ins Reich der Dichtung gehöre, wie flach und hohl fast alle diese auf der großen Wiese der Gemeinplätze grasenden Gestalten seien, schlug ihre Empfindung bei dem Anblick derselben in ein Gegenteil der früheren um, das ebensoweit von der rechten Wahrheit entfernt war. Sie verachtete sie; sie verachtete alles, was sie trieben und was um ihr Sein sich bewegte; endlich auch das, was sie beherrschte, was von ihnen für heilig gehalten wurde, ihre Ansichten, ihre Institute.
Sie war auf einem schlüpfrigen und gefährlichen Wege für ein geistreiches und lebhaft fühlendes Weib, das immer nur Extreme kennt; das nur Kälte oder völlige Hingabe, nur eisige Sittenstrenge zeigt oder, einmal besiegt, in rücksichtsloses Selbstvergessen sich wirft, ja oft das innigste, treueste und reinste Gefühl mit einer fast das Maß überschreitenden Üngebundenheit vereinigen kann; das endlich nur demütige Ehrfurcht und Scheu im Glauben oder völligen Unglauben kennt, das sanktionierte Verhältnisse nicht einmal zu prüfen wagt, oder sie samt und sonders über den Haufen stürzen möchte.
Früher hätte Katharina nicht vermocht, was ihr jetzt bei ihrer veränderten Lebensansicht, wenn auch schwer, aber doch möglich wurde, seitdem das Schicksal oder viel mehr die eigne Leitung ihres Lebenslaufes, die wir so gern das Schicksal nennen, ihr etwas von der höhnischen Philosophie eingetränkt hatte, die endlich auf die Spitze ihres Systems als Gottheit das Ich setzt. Sie hätte nicht vermocht, durch eine Art Heuchelei und gefühlloser Koketterie Josina von Katterbach ihren Geliebten zu nehmen und mit dem Herzen desselben ein gefährliches Spiel zu treiben, um ihre eignen Pläne auszuführen; früher hatten sie Gewissenhaftigkeit gegen Josina und Stolz gegen den Bräutigam, dessen Erscheinung etwas Verdächtiges für sie hatte, abgehalten, sich in sein Vertrauen zu drängen, um ihn verderben zu können – mochte er immerhin sein Verderben durch irgendeine Betrügerei verdienen, die sie ahnte, aber doch nicht gewiß wußte, und die ebensogut nur in einer Einbildung da sein konnte, welche aus ihrer eignen Leidenschaft herfloß. Was wußte sie denn Sicheres? Daß eine nächtliche Erscheinung Papiere aus Bernhards früherer Wohnung entwendet, hatte ihr Herr von Driesch erzählt; kurz nachher war ein Herr von Schemmey ganz plötzlich als anerkannter Erbe und Besitzer der Güter jener ausgestorbenen Familie aufgetreten, und wenn etwas gegen ihn sprach, so war es nur die ziemlich widersprechende Art, womit man sein erstes Erscheinen in der Gegend und seine früheren Lebensschicksale erzählte. Er sollte nach einigen von einer Milchhändlerin aus der Umgegend von Paris, nach andern als Findelkind in einem Pariser Findelhause unter dem Namen Saint-Pond auferzogen sein; früh gereift, war er sehr jung in Militärdienste gegangen und hatte es bis zum Leutnant gebracht. An seinem einundzwanzigsten Geburtstage sollte ihm nun der Vorsteher jener Anstalt in Paris, oder der Sohn jener Milchhändlerin, die Beweise für seine Herkunft und Ansprüche übersandt haben, die von seinen Eltern zugleich mit ihm deponiert seien und nach deren Bestimmung nicht eher hätten eröffnet werden dürfen. Konnte es nicht möglich sein, daß seine Eltern wirklich auf diese Weise ihn zu sichern gesucht hatten vor dem rätselhaften Geschicke, welches ihre übrige Nachkommenschaft betroffen?
Man glaubte wenigstens in der Residenz an diesen Hergang; andere erzählten freilich, ein Herr von O., der in Paris sich aufhielt und dem die Neuigkeit von dem Erscheinen des jungen Schemmey mitgeteilt worden, habe sich bei allen Findelhäusern jener Stadt nach einem früher Saint-Pond genannten Zögling erkundigt; in einem derselben habe man ihm den Namen wirklich in den Büchern aufgeschlagen, und die Zeit seiner Deposition treffe mit dem angeblichen Alter des Herrn von Schemmey zusammen. Von den Papieren aber, die ihm eingehändigt worden seien, wolle der Vorsteher nichts wissen. Katharina hatte beschlossen, diese Andeutung weiter zu verfolgen. Sie hatte deshalb an den Geschäftsträger einer Bekannten, die ihre Moden aus Paris kommen ließ, geschrieben; aber noch war keine Antwort eingetroffen, als sie die wichtige und entscheidende Mitteilung erhielt, welche Lene sich gedrungen fühlte ihr zu machen.
In der ersten Aufregung der Freude hierüber hatte sie die Maßregeln, die jetzt zu ergreifen seien, nicht klar überdenken können; sie mußte Bernhard wiedersehen, der krank war, der ihrer Pflege bedurfte, den vielleicht die Trennung von ihr gewaltsam genug ergriffen hatte, um sein Leben in Gefahr zu bringen. Schon vor dem Ende der ersten