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darauf an, außer Lenes Zeugnis das der alten Margret zu erlangen; ihr Ruf und ihr Glück hing von der Geschicklichkeit ab, womit sie dieser Frau ihre Geheimnisse entlocken würde;

      Es war ein unfreundlicher und stürmischer Abend, als ihr bespritzter Reisewagen mühsam von vier Postkleppern dem Dorfe Kraneck zugeschleppt wurde. Katharinas Herz schlug krampfhaft, als sie die Mauerzinnen des Schlosses links auf dem Bergvorsprung aus den Baumwipfeln hervorschauen sah, die sich mit dem ersten Grünanflug des Frühlings überkleidet hatten, aber noch nicht wagten, ihm volle Blätter und Blüten zu bieten. Im Dorfe sammelte sich hinter ihrem Wagen, durcheinanderrennend, ein Haufen jauchzender Buben und bellender Hunde, der sich von Schritt zu Schritt vermehrte und die ungewohnte Erscheinung verfolgte, um sich endlich einem ungemessenen Jubel und respektive wütenden Ausbrüchen hinzugeben, als der Postillon die schmetternden Töne seines Hornes an den grauen Mauern der alten Kirche hinaufklingen ließ. Ueber den Türen, deren obere Hälften geöffnet waren, blickten neugierige Bewohner; auch Frau Margret blickte über die ihrige, als der Wagen das obere Ende des Ortes erreicht hatte, was sich sehr glücklich traf, weil der Bediente auf dem Bocke den schreienden Buben in seinem roten Livreerock als eine so imponierende Gestalt erschien, daß seine Erkundigungen bei ihnen nur ein ehrfurchtsvolles Verstummen und ein augenblickliches Zusammenbringen des Daumens und des Mundes zur Folge hatten.

      Katharina ließ halten, stieg aus und befahl, den Wagen weiterzuführen, um einen Auflauf vor Margrets Hause zu vermeiden. Dann öffnete sie das kleine Gittertor vor dem Gärtchen, aus dem ihr der eigentümliche Duft der hoch aufgeschossenen Buchselnfassungen entgegendrang. Seit Lenens Verschwinden war der kleine Raum vernachlässigt; Laub und dürre Reiser lagen an den Pfaden. Die Beete waren voll modernder Ueberbleibsel der vorjährigen Blütezeit, eine dürre Flora von gelbbraunem, vom Wind zerfetzten Rittersporn und Eisenhut neben wackelnden, ausgelöschten Königskerzen. Katharinen wehte eine unendlich traurige Empfindung daraus entgegen. Hier wohnte er, allein, krank, verlassen, nur das welke Laub und die zerstörten Blüten seiner Lebenshoffnungen vor sich, die ausgeflammten Königskerzen seiner reich aufgeschossenen Gedankensaat, die einst den Mut grünender Jugend zum Gärtner gehabt und nun von ihm verwaist gelassen war! Sie ging mit wankenden Schritten zur Haustür. Margret war nicht wenig überrascht, als sie sah, daß der vornehme Besuch ihr gelte; sie zog sich von der Tür zurück und nahm ihren Platz am Herde ein, um leichter den Anschein der Ruhe beibehalten zu können, den sie bei allen außergewöhnlichen Ereignissen besser zu erheucheln als innerlich zu behaupten wußte. Katharina trat freundlich grüßend zu ihr; Margret wollte ihr den Saum des Kleides küssen, aber Katharina litt es nicht und reichte ihr die Hand. Dann setzte sie sich ihr gegenüber.

      »Ihr seid eine kluge Frau, Margret«, begann sie zu sprechen, als sie sah, daß jene stumm blieb; »das hab' ich immer die Leute sagen hören, und da ich gerade hier durchreise und Euch an der Tür stehen sah, dachte ich, es sei gut, wenn ich Euch besuchte und Euch in einer Sache um Rat fragte, in der Ihr die beste Auskunft geben könnt, wie ich denke.«

      »Ihr reiset hier durch?« versetzte Frau Fahrstein gedehnt; »wohin könnte das Fräulein von Plassenstein reisen, daß ihr Weg sie durch dies Dorf führte? Wollt Ihr nicht meinen Sohn sprechen?«

      »Ist er zu Hause?«

      »Er ist im Schlosse oben; ich will ihn rufen lassen.«

      »Er ist also genesen?«

      »Ja – so so; der Frühling wird ihm wohltun.«

      Margret wollte sich erheben und das Kind eines ihrer Nachbarn hinaufschicken, um ihn rufen zu lassen, als Katharina sie am Arme ergriff und heftig sagte: »Nein, nein, laßt nur, ich habe mit Euch allein zu reden. Setzt Euch wieder.«

      Margret erwartete schweigend, daß das Fräulein fortfahre; der Besuch begann einen angenehmen Eindruck auf sie zu machen, denn außer der Ehre, die er ihr vor den Dörflern gab, war es Margret sehr recht, daß einmal wieder von ihrer Klugheit die Rede gekommen; in der Gegend von Bechenburg hatte sie etwas gegolten, hier in Kraneck aber wußte niemand von ihr, und man ließ sie hinter ihrem Küchenfeuer hocken. Sie fühlte sich wie ein berühmter Mann in der Fremde; auch dämmerte wie eine leise Ahnung in ihr auf, daß Katharina Bernhards wegen gekommen sei, was ihr ebenfalls angenehm war und sie nicht weniger stolz machte.

      »Ich komme in einer Sache mit Euch zu reden,« sagte Katharina, »die unangenehme Erinnerungen in Euch erwecken muß; aber ich hoffe, daß Ihr es verzeihen werdet, weil ich mir sonst keinen Rat zu holen weiß und auch den Euren gern belohnen will mit allem, was Ihr fordert. Ich stehe im Begriffe, mich zu verloben, Frau Fahrstein, und zwar mit einem Herrn von Schemmey in M.«

      »Ha! Was?« schrie Margret und fuhr von ihrem Sitz in die Höhe; sie war kreideweiß geworden, und ihre Augen stierten die Sprechende an; gleich darauf setzte sie sich und sagte mit etwas gebrochener, aber tonlos kalter Stimme: »Und nun weiter?«

      »Wenn einer über die Schemmeys etwas Sicheres zu sagen weiß, so seid Ihr es, Margret,« fuhr Katharina fort; »darum komme ich zu Euch. Der Herr von Schemmey in M. will in Paris im Findelhause aufgezogen sein und an seinem einundzwanzigsten Geburtstage die Beweise für seine Abstammung erhalten haben. Gegen diese läßt sich nun auch nichts sagen, und es ist alles ganz erklärlich, wie er es angibt. Aber es ist ein wichtiger Schritt, den ich zu tun im Begriffe stehe, und deshalb hab' ich es für gut gehalten, zuerst mit Euch darüber zu reden, ob Ihr meint, daß wirklich eins von jenen Kindern, bei denen Ihr Wärterin wäret, und die so geheimnisvoll alle nacheinander umgebracht sein sollen, dem Tode entgangen sein mag.«

      »Wennn ein junges Mädchen vor ihrer Heirat für nötig findet, erst ein fremdes, altes Weib um Rat zu fragen, so bleibt sie besser wie sie ist«, versetzte Margret. »Freilich,« sagte sie nach einer Weile, wie für sich, »Ihr vornehmen Leute denkt an etwas andres bei Euren Heiraten als wir geringen; ein Herr von Schemmey ist ein vornehmer und reicher Herr!«

      »So meint Ihr also, ich mag ohne Bedenken mein Jawort geben?« fragte Katharina.

      »Ohne Bedenken?« wiederholte die Alte gedehnt.

      Die beiden Frauen sahen sich mit gespannten Blicken an; sie bildeten eine merkwürdige Gruppe, wie sie beide einander gegenübersaßen und über den Qualm des Herdfeuers hin die Blicke ihrer forschenden Augen aufeinander gerichtet hielten. Die eine mit dem lauernden Ausdruck in den wasserblauen, ins Graue übergehenden Nixenaugen, voll anscheinender Sicherheit, Kälte, wie vom Bewußtsein alles beherrschender und durchschauender Klugheit mit einem Zauberkreis umsponnen, den keine feindliche Macht durchdringen zu können schien, um ihr etwas anzuhaben; großartig, stark, aus den stillen Regionen ihrer Beschaulichkeit teilnahmlos auf das irdische Treiben blickend. Die andre mit lebhafterem Funkeln in ihren dunkler gefärbten Augensternen, aber dem Seheine nach ebenso ruhig, nur der Stimme der Vernunft Gehör zu geben entschlossen, kalt und bedächtig ihre Worte setzend, als berate sie mit einem Advokaten den Ankauf eines Gutes. Und doch, welcher Sturm von Gemütsbewegungen in beiden! Welch' schmerzhaft zuckendes Drängen und Wirbeln von peinigenden Gedanken in der Tiefe ihrer ängstlich gespannten Frauenseelen! – Raunt der einen ein Wort ins Ohr – und mitten in ihrem Zauberkreise krümmt sich diese stolze Sicherheit ächzend zu euren Füßen; der andern ein andres – und die kalte, vernünftig sprechende, große Dame, die eine Heirat eingehen will, wie einen vorteilhaften Handel, wird von der Leidenschaft emporgeschnellt, daß sie »ein Schauspiel für Götter« abgibt. Eine unnennbare Angst schnürte Katharinen die Brust zusammmen; sie verzagte, aus der Alten etwas herauszubringen; diese lauerte durch ihre grauen Wimpern mit derselben innern Angst, daß man darauf ausgehe, sie zu fangen, daß man Dingen auf die Spur kommen wolle, die sie verderben würden.

      »Ihr glaubt also auch, daß sich gegen die Angabe des Herrn von Schemmey nichts einwenden lasse, Mutter Fahrstein?« hob Katharina wieder an.

      Margret rückte den Schemel, worauf sie ihre Füße gestellt hatte, zur Seite, schlug mit einem Tuche den Staub herunter und sagte: »Ihr seid eine vornehme Dame, aber ich hoffe, daß Ihr einer alten Frau einen Gefallen tut; ich sehe nicht gut mehr und mit dem Hören geht es noch schlechter! Ja, ich bin alt und grau geworden, aber in Ehren; am letzten Palmsonntag sind es dreiundsechzig Jahre gewesen, seit ich zum erstenmal zur Kommunion ging.«

      Ihre letzten Worte schienen eine Gedankenreihe in ihr

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