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am Ende sind unten am Wasser schon Veilchen heraus, oder Primula veris. Weißt du auch noch, wie die braune Pflanze heißt, die zuerst im Frühjahr auf der Wiese blüht?«

      Bertel's trübes Gesicht war unter dem Plaudern Esthers wieder hell geworden; jetzt lachte er und sagte: »Ach was, Botanik ist einmal nicht mein Steckenpferd, ich kann mir das Zeug nicht merken. Verrathe mich aber nicht bei deinem Vater.«

      »So komm, ich will dein Mentor sein, Tussilago heißt das Pflänzchen, mein kluger Herr,« rief Esther lustig und zog ihn mit sich fort; denn was sie gewollt, hatte sie durch ihr Plaudern erreicht, Bertel vergaß seine trüben Gedanken. Und in dieser Weise gelang es ihr von jetzt an stets, ihren Kameraden zu erheitern, ob ihr selbst auch oft das arme junge Herz zerspringen wollte vor Weh. Bertel durfte nicht sehen, wie schwer ihr die Trennung wurde, sonst wäre er mit noch traurigerem Herzen von ihnen gegangen. Und wie gut hatte sie es doch im Vergleich mit ihm: Sie blieb zurück in ihrem schönen Garten und traulichen Hause, hatte Vater und Tante Booland um sich, und dort drüben den Gutshof mit Onkel und Tante Ihlefeld. Alles, ihre Blumen und Bücher, ihre Hühner, Hunde, Katzen, die Ziegen und Kaninchen im Stall und die Vögel im Walde draußen, alles blieb ihr, während der arme Bertel alles verlassen und allein hinaus mußte unter lauter fremde Menschen. War es da nicht ihre Pflicht, heiter zu sein und ihm das Herz nicht auch noch schwer zu machen? O Tante Booland hatte recht, sie durfte Bertel nichts vorklagen!

      Aber trotz alledem wurden ihre Wangen immer blässer, und ihre Augen blickten immer angstvoller um sich, je näher der Tag der Abreise kam. Endlich hatten die beiden Kinder den letzten Unterricht beim Vater gehabt, und Bertel hatte Abschied genommen. In einigen Stunden fuhren seine Eltern mit ihm nach der Stadt. Esther hatte mitfahren sollen; aber Frau Booland meinte, für Bertel sei es besser, sie thäte es nicht, und so blieb sie zurück, willig und sanft, wie sonst nie, wenn etwas gegen ihren Willen war. Sie setzte sich mit einem Buche in die Fliederlaube, in der sie neulich mit Bertel gesessen, ihre Augen waren aber so roth, als sie dann zum Essen in das Zimmer kam, daß Frau Booland sie mit innigem Mitleiden anblickte. Vor ihrem Vater aber verbarg Esther, daß sie geweint, denn er konnte »weinerliche Frauenzimmer« nicht leiden. Es war gut, daß er viel von der Schule und den Lehrern sprach, wo Bertel jetzt Unterricht haben werde, da bemerkte er doch Esthers Kummer nicht, von dessen Größe er keine Idee hatte. Die einfache Frau Booland wußte das besser, als der gelehrte Herr Pastor.

      Es waren traurige Tage für Esther, diese ersten nach Bertel's Abreise. Wohl hatte sie sich alles vorgeführt, was sie an Glück vor Bertel voraus habe, da sie zu Hause blieb, während er unter fremde Menschen und Verhältnisse kam; aber jetzt, nachdem er fort war, fühlte sie erst, was sie verloren. Wie im wachen Traume ging sie daher, sie meinte immer, jetzt müsse jemand kommen und sie wecken. War denn die Sonne nicht mehr am Himmel, daß so wenig Glanz über Garten und Wiese lag? Und waren denn das ihre lieben Blumen, die so wenig Farbe und Duft hatten, das ihre lustigen Thiere, die mit ihr sonst so fröhlich durch den Hof und Garten sprangen? Und ihre Bücher, wie langweilig sahen diese Buchstaben sie an, das Lernen war ja eine Strafe statt wie bisher eine Lust. Und wie endlos war so ein Tag! Sonst kamen die Mittag- und Abendstunden, wo sie zum Essen gerufen wurde, immer viel zu früh, jetzt sah sie fort und fort nach der Uhr, ob denn die Stunden noch immer nicht rascher davongehen wollten. Nach dem Stege aber, auf dem Bertel jeden Morgen gekommen war, konnte sie vor Jammer gar nicht mehr hinsehen, und nach dem Gutshofe zog sie jetzt so wenig. Onkel und Tante Ihlefeld waren zwar sehr gut und lieb zu ihr, wie bisher; aber es war so öde in dem Hause und Hofe, und auch Bertel's Neufundländer sah so traurig aus und heulte laut auf, wenn Esther ihn streichelte und leise sagte: »Ach Hektor, unser Bertel ist fort!«

      Hubert war jetzt unter eine ziemlich große Zahl von Pensionairen aufgenommen, welche bei einem der Professoren des Gymnasiums wohnten. Der zarte, scheue Knabe fühlte sich anfangs unsäglich unbehaglich unter all' den fremden Gesichtern, und das laute Treiben seiner Stubengenossen war ihm sehr zuwider. Auch in der Klasse, unter deren Schülern er einer der jüngsten war, kam er sich wie verloren vor; denn niemand achtete weiter auf ihn, und die Lehrer hatten ihre Aufmerksamkeit der ganzen Klasse zu schenken. Wie anders war das, als bisher bei seinem Lehrer! Aber eigentlich lernte es sich gut in Gemeinschaft mit so vielen, die alle dasselbe Ziel verfolgten. Und hier waren einige so kluge, eifrige Mitschüler in der Klasse, da galt es fleißig sein, wenn er es ihnen gleich thun wollte! Und das wollte und mußte er, das war ohne Frage.

      So lernte er denn mit unverdrossenem Eifer und vergaß dabei, wie einsam er unter den vielen Mitschülern dastand, denen er sich, wie es seine Neigung war und wie er Esther versprochen, nicht anschließen mochte. Aber dieses Abschließen reizte die andren Knaben zu Neckereien und Spottreden und bereitete ihm bald manchen Verdruß. Man gab ihm allerlei Spitznamen, nannte ihn Jungfer Bertel, Muttersöhnchen, Blondel, Mehlweißchen und suchte ihn zu Zank und Streit aufzustacheln. Bertel that, als merke er nichts und kämpfte seinen Aerger tapfer nieder; denn ihm war aller wüste Zank und Lärm in der Seele verhaßt. Das reizte seine Kameraden doppelt, die solche Selbstüberwindung für Feigheit hielten. Mit einem Feigling aber meinte man sich ungestraft alles erlauben zu können. Nun erhielt Bertel eines Tages einen langen Brief von Esther. Zwei seiner Stubenkameraden, die dabei zugegen waren, sahen, wie freudig er denselben las.

      »Von wem ist der Brief?« fragte Franz Reichard.

      »Von Esther!« entgegnete Bertel zerstreut und las eifrig weiter.

      »Esther? Wer ist Esther?« forschte Franz weiter. »Ist das eine Schwester von dir?«

      »Nein doch, laß mich in Ruh'! Esther ist — nun Esther ist Esther!« sagte Bertel kurz abweisend und kehrte Franz den Rücken.

      »Esther ist Esther! Eine schöne Erklärung!« rief dieser spöttisch. »Du, Walter,« fuhr er dann lachend fort und winkte seinem Kameraden verständnißvoll zu, »weißt du schon, Jungfer Bertel ist mit einer alttestamentarischen Freundschaft behaftet. Königin Esther heißt seine Coeurdame.«

      »I was tausend, Mehlweißchen!« rief Walter. »Du bist ja ein Mordskerl! Und ein Jüdchen hast du zur Freundin? Da heißt's wohl:

      Ihrer Augen schwarze Kohlen

       Haben mir das Herz gestohlen?

      Wahrhaftig, du bist ja ganz vernarrt in ihren Brief, laß doch 'mal sehen, was die schwarzhaarige Schöne dir schreibt!« Und dabei blickte er frech in Esthers Brief, als wollte er ihn lesen. Bertel wurde dunkelroth vor Aerger, bekämpfte seinen Verdruß aber und sagte nur, sich rasch abwendend: »Ach Unsinn, Esther ist eine Predigertochter und keine Jüdin.« Unwillkürlich aber blickten ihn dabei seiner Freundin schwarze Augen aus dem Briefe an, die allerdings einer kleinen Jüdin alle Ehre gemacht hätten, und er achtete bei diesem Gedankengange so wenig auf seine Umgebung, daß er nicht bemerkte, wie Franz sich herbeischlich und plötzlich einen raschen Griff nach dem Briefe that. Bertel jedoch hielt fest, und so bekam der Brief einen großen Riß. Nun aber war Huberts Geduld zu Ende. Mit dem Rufe: »Wart', das sollst du büßen!« flog er wie ein Pfeil auf den schlechten Kameraden los, faßte ihn um den Leib und warf ihn zu Boden. Franz war einer der stärksten Burschen der Stube, und nachdem er sich von der ersten Ueberraschung erholt hatte, fing er an mit Bertel zu ringen. Ein heißer Kampf entspann sich, denn Franz war stärker als sein Angreifer; Bertel aber besaß trotz seines zarten, schlanken Körpers eine große Zähigkeit und Gewandtheit, und mit Vorsicht wußte er sich stets gegen alle Angriffe zu decken. Er hatte zu Hause viel geturnt und oft mit den Dorfkindern gerungen, denn sein Vater pflegte zu sagen, ohne richtige Balgerei wird keiner ein rechter Junge. So gelang es ihm endlich, den Gegner zu bezwingen und ihm das Knie auf die Brust zu setzen.

      »Jetzt versprichst du mir, mich ungeschoren zu lassen!« rief er mit funkelnden Augen. »Ich dulde eure Flegeleien nicht länger, daß ihr es nur wißt. Wer mich nicht in Ruhe läßt, dem zeige ich, daß ich Fäuste habe.« Und damit schlug er auf den großen Burschen so tapfer los, daß es schallte, und Walter ganz verblüfft daneben stand. Franz knirschte vor Aerger, konnte sich aber nicht rühren, und da er ein weicher Junge war trotz seiner groben Glieder, so bat er schließlich himmelhoch, Bertel möchte ihn loslassen, er verspräche auch alles, was er verlange. Hubert sprang auf und ließ ihn frei, Franz aber schüttelte sich, strich sich die Haare glatt und dann trat er zu seinem Gegner heran. »Du hast mich gut verarbeitet, Bertel,« sagte er stöhnend

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