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weiß ich nicht. Auf welche Weise er sich dann zum Zimmer Nr. 6 Zutritt verschafft, was sich zwischen dem Mörder und seinem Opfer abgespielt hat, kann ich natürlich nur vermuten. Im übrigen tut das hier auch nichts zur Sache. Sicherlich aber hatte der Fremde die Absicht, heute mit dem Morgenzug Berent wieder zu verlassen. Er rechnete eben damit, daß das Verbrechen erst nach seiner Abreise entdeckt werden und niemand so schnell gerade auf seine Person als den Täter kommen würde. Den späteren Selbstmord des mir völlig unbekannten Mannes vermochte ich, wie ich schon bei der Untersuchung der Leiche sagte, nicht zu verhindern. Das ist alles, was ich zu sagen hätte. Meiner Meinung nach liegt der Fall ganz klar.«

      Der Rat nickte befriedigt vor sich hin.

      »Allerdings, – jetzt ja, nachdem wir Sie, Herr Doktor, gehört haben. Wer mag wohl nur dieser Unbekannte sein? Was meinen Sie dazu?«

      Dreßler zuckte die Achseln.

      »Vielleicht ein internationaler Verbrecher, der zufällig hierher gekommen ist. Jedenfalls ist es aber kein Gelegenheitsverbrecher. Dafür spricht schon der Umstand, daß er keine Papiere bei sich trug, die eine Feststellung seiner Person ermöglicht hätten, weiter auch, daß er im Besitze von Gift und auch sonst gut bewaffnet war.«

      »Nun, vielleicht ist er der Berliner Kriminalpolizei bekannt. Wir werden die Leiche natürlich photographieren lassen und das Bild nach Berlin schicken. – So, dann danke ich Ihnen, Herr Doktor. Für Sie besteht nun noch die traurige Pflicht, die Angehörigen des Ermordeten zu benachrichtigen. Gewiß – eigentlich wäre das meine Aufgabe, aber Sie werden das ja wohl lieber selbst besorgen wollen.«

      Als Dreßler jetzt das Zimmer verließ, atmete er wie befreit auf. Leicht war es ihm bei diesem Verhör doch nicht geworden, derart vorsichtig und geschickt Wahres und Falsches zu vermengen, daß die Gerichtskommission nicht auf die Vermutung kam, hier könnte doch noch etwas anderes als ein bloßer Raubmord vorliegen. Aber der Doktor empfand über diese Verdrehung der Wahrheit, wie er sie vorgebracht hatte, nicht die geringsten Gewissensbisse, da daraus niemandem irgend ein Schaden erwuchs. Durgassow und der Graue waren tot. Wozu sollte dieses Verbrechen jetzt noch Enthüllungen nach sich ziehen, die der Familie seines Freundes nur Unannehmlichkeiten bringen mußten und den geachteten Namen Wieland vielleicht nur schädigen konnten.

      10. Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Maria Wieland lag auf den Diwan des Wohnzimmers. Neben ihr saß ihre blonde Schwägerin und versuchte die völlig im Schmerz Aufgelöste zu trösten. – Vor kaum einer halben Stunde war ein Telegramm Dreßlers eingetroffen. So vorsichtig es auch abgefaßt war, – Wielands ahnten sofort das Richtige. Mit einem Wehlaut war die durch die Aufregungen der letzten Tage erschöpfte Frau zusammengebrochen, und nur den zärtlichen Bemühungen des Gatten und den herzlichen Worten seiner Schwester gelang es, die Fassungslose etwas zu beruhigen. – Auf die furchtbare Nervenanspannung war jetzt eine fast gleichgültige Ruhe gefolgt.

      Maria hatte aber endlich den Mut gefunden, dem Gatten alles das mitzuteilen, was sie aus Furcht, seine Liebe zu verlieren, bisher so ängstlich verschwiegen hatte. Karl Wieland aber hatte sie nach dieser rückhaltlosen Beichte nur noch fester an seine Brust gedrückt.

      »Mag die Vergangenheit Deines Vaters auch noch so dunkle Geheimnisse bergen,« hatte er innig gesagt, »mag er einst noch so schwere Schuld auf sich geladen haben, – wie sollte ich dies Dich alles entgelten lassen, Maria, die Du mir das größte Glück geschenkt hast, was es für mich überhaupt geben kann: Deine Liebe, und nur deshalb Deine Seele zermartert hast, um mir, uns beiden, dieses Glück zu erhalten!« –

      Bereits einen Tag später wurde Durgassows Leiche von der Staatsanwaltschaft, die die Sachlage als genügend geklärt ansah, zur Beerdigung freigegeben. Wieland ließ die sterblichen Überreste seines Schwiegervaters nach Danzig überführen, wo sie zur letzten Ruhe gebettet wurden.

      Dreßler war am Donnerstag abend zusammen mit Wieland wieder in Danzig eingetroffen. Kaum hatte er das von seiner vorsorglichen Kascha bereitgehaltene Abendessen verzehrt, als es an der Flurtür klingelte. Der Besucher war kein anderer als Jakob Wenzel.

      Der Doktor war ihm entgegengegangen und streckte ihm in alter Weise die Hand zur Begrüßung hin. Aber der kleine Händler hielt die seine ängstlich auf dem Rücken.

      »Herr Doktor,« brachte er mühsam hervor, »reichen Sie mir nicht die Hand. Ich bin’s nicht mehr wert, ich habe zu schändlich an Ihnen gehandelt.«

      »Aber Wenzel, – was soll das?« fragte der ahnungslose Dreßler erstaunt. »Nicht mehr wert? Was heißt das?«

      »Das heißt, daß ich eigentlich allein schuld an dem Tode des Herrn Durgassow bin, ja, ich allein. Hätte ich Ihnen beizeiten die Wahrheit gestanden, dann –«

      »Mann, reden Sie denn plötzlich irre?« unterbrach ihn Dreßler kopfschüttelnd. »Ich begreife von alledem nichts, nichts!«

      »Glaub’ ich gern, Herr Doktor. Lassen Sie mich daher im Zusammenhang alles erzählen.«

      »Gut, – aber nehmen Sie zuerst einmal Platz. Sie schlottern ja an allen Gliedern. – So, und nun beruhigen Sie sich erst einmal. So schwer kann Ihr Gewissen doch kaum belastet sein.«

      »Schwerer, als Sie es ahnen. Um es kurz zu machen, Herr Doktor, – einmal muß es doch gesagt sein: Der Mörder des Herrn Durgassow ist mein eigener, leiblicher Bruder.«

      »Ihr Bruder?!«

      Jetzt begriff Dreßler die schwerwiegende Bedeutung dieser Mitteilung. Aber er brauchte deshalb keine ergänzenden Fragen an Jakob Wenzel zu richten. Dieser hatte nur den einen Wunsch, sein Gewissen endlich zu entlasten. Mit allen Einzelheiten, ohne jede Beschönigung erzählte er, wie er damals an jenem Nachmittag, als er den Mann im grauen Pelerinenmantel verfolgen sollte, in diesem seinen Bruder wiedererkannte und wie er sich dann durch ihn zu dem verwerflichen Ränkespiel hatte verleiten lassen, und wie ihn zur Strafe sein Kind verlassen habe.

      Schweigend hatte Dreßler die Beichte angehört, ihm war dadurch vieles klar geworden. Wenn auch Jakob Wenzel gefehlt hatte, Dreßler wußte den vollständig gebrochenen Mann zu trösten, und mit dem Versprechen, nie ein Wort über die ganze Angelegenheit zu sprechen, war Wenzel gegangen.

      11. Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Acht Tage nach dem Begräbnis Durgassows hatte sich Maria Wieland soweit erholt, daß die beiden Freunde übereinkamen, ihr nunmehr das von ihrem Vater für sie bestimmte Schriftstück auszuhändigen. Maria hatte in feinfühliger Rücksichtnahme sofort den Wunsch geäußert, dessen Inhalt solle in Gegenwart der ihr nahestehenden Personen, zu denen sie auch Dreßler rechne, vorgelesen werden.

      An einem regnerischen Juniabend versammelte man sich in dem Arbeitszimmer des Ingenieurs, und dieser übernahm das Vorlesen der in klarer, deutlicher Handschrift geschriebenen Beichte des Toten, die endlich die restlose Lösung all der dunklen Rätsel gab.

      »Berent, Juni 19…

      Meine geliebte Maria!

      Ich sitze hier einsam in einem wenig behaglichen Hotelzimmer. Gestern um dieselbe Zeit befand ich mich noch in Danzig, hatte allerdings schon den festen Entschluß gefaßt, mich hierher zu flüchten. Welche Umstände mir diesen verzweifelten Plan aufgedrängt haben, will ich Dir, mein Kind, in dem Folgenden auseinandersetzen. Trotzdem ich nicht weiß, wie lange ich noch mit der Ausführung meines Vorhabens zögern werde, will ich diese vollkommen wahrheitsgetreue Schilderung meiner Vergangenheit und der Ereignisse der letzten Zeit noch heute vollenden, den Brief gut versiegeln und an Dich adressieren.

      Du weißt, daß ich in Kalkutta bei einer Plantagen-Gesellschaft als Inspektor angestellt war, weißt, daß ich damals noch den Namen Franz Schönberg führte, meinen richtigen Namen. Durch vorsichtiges Spekulieren an der Börse und kleine Privatgeschäfte

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