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auch wieder gefaßt und mit einer Stimme, die nur noch ganz unmerklich vibrierte, fragte er beinahe drohend:

      »Mein Herr, Sie wünschen?«

      »Wirklich ein gefährlicher Bursche!« dachte Dreßler, der den Grauen trotz des veränderten Aussehens sofort wiedererkannt hatte. Laut aber sagte er: »Ich möchte Ihnen nur mitteilen, daß Michael Durgassows Leiche bereits gefunden ist.«

      Doch die von dem einstigen Detektiv erwartete Wirkung dieser Worte blieb aus. Der Mann da besaß in der Tat eine erstaunliche Selbstbeherrschung.

      »Ich verstehe Sie nicht,« erwiderte Albert Wenzel nur. »Begreife nicht, wozu Sie gerade mir diese Nachricht bringen. Ich kenne keinen Herrn Burgalow oder wie Sie sonst sagten.«

      Dreßlers Plan, dem Mörder durch plötzliche Überrumpelung ein Geständnis zu entlocken, schien mißglückt. Aber noch gab er sein Vorhaben nicht auf.

      »So, Sie kennen Michael Durgassow nicht!« meinte er ironisch. »Aber das Zeichen der – Roten Hand ist Ihnen doch bekannt, nicht wahr?!«

      Wieder verfärbte der andere sich. Seine Haltung wurde bedeutend unsicherer und seine Blicke irrten blitzschnell wie hilfesuchend durch das Zimmer. Aber nirgends sah er einen Ausweg. Selbst ein Sprung zum Fenster hinaus war unmöglich, da Zimmer Nr. 2 in der zweiten Etage lag. Und vor der Tür, den Ausgang versperrend, stand noch immer der Doktor und verfolgte achtsam jede seiner Bewegungen.

      »Sie sehen, jeder Weg zur Flucht ist Ihnen abgeschnitten, jeder!« sagte Dreßler jetzt warnen und zog dabei eine Browning-Pistole aus der Tasche. »Ergeben Sie sich in Ihr Schicksal, Mann. Das ist das Klügste, was Sie machen können.«

      Das Folgende spielte sich so blitzschnell ab, daß der Doktor diesen Ausgang, selbst wenn er gewollt haben würde, nicht mehr hätte verhindern können. Der Graue war nämlich mit einem Satze hinter den Tisch gesprungen, hatte aus seiner offen daliegenden Reisetasche ein kleines Fläschchen herausgerissen und sich den Inhalt ebenso schnell in den Mund gegossen. Dann schleuderte er das Fläschchen von sich und rief Dreßler mit wildem Auflachen zu:

      »So, nun nennt mich gefangen, werft mich ins Gefängnis, – wenn Ihr’s könnt! Nie werdet Ihr erfahren, wer ich bin, nie! Mein Geheimnis geht mit mir zu Grunde!« Und wieder stieß er eine gellende Lache aus, die dem Doktor durch Mark und Bein ging. Aber dieses furchtbare Gelächter brach ebenso plötzlich ab. Der Graue griff mit den Händen vor sich ins Leere, wankte und schlug dann schwer, dabei den Tisch mit umreißend zu Boden, reckte noch einmal wie im Krampf die Glieder und lag dann völlig regungslos. – Albert Wenzel hatte sich dem irdischen Richter für immer entzogen.

      Dreßler war wie gebannt an seinem Platze stehen geblieben. Große Schweißperlen bedeckten seine Stirn. Diese Szene, der er eben beigewohnt hatte, war das Entsetzlichste, was er je gesehen. Und es dauerte eine ganze Weile, bis er das lähmende Grauen von sich abschütteln konnte.

      Er wollte nähertreten, um sich zu überzeugen, ob es für ihn hier noch irgend etwas zu helfen gab. Da zögerte sein Fuß. Aus der zugleich mit dem Tisch auf den Teppich gefallenen Reisetasche des Fremden war ein dickes, gelbes Kuvert herausgeglitten, dessen Aufschrift nach oben lag.

      Dreßler bückte sich und hob den Umschlag, der an einer Seite geöffnet war, in plötzlichem Entschluß auf. Die Adresse auf dem starken gelben Kuvert lautete: »An Frau Marie Wieland, Danzig, Kassubischer Markt 26.« – Der Doktor kannte die Handschrift nur zu gut! Es war die Michael Durgassows.

      »Sollte dies eine vollständige Beichte des Toten sein?« fragte sich Dreßler. »Sollte Durgassow sie hier in Berent in der Vorahnung seines baldigen Todes niedergeschrieben haben? – Dann wäre es sicher am besten, wenn man dieses Kuvert samt seinem Inhalt verschwinden ließe. Fällt es dem Gericht in die Hände, so können daraus vielleicht für Wielands allerlei Unannehmlichkeiten entstehen.«

      Schnell nahm er die Papiere aus dem Umschlag und überflog den ersten der engbeschriebenen Bogen.

      »Meine Vermutung stimmt. Hier halte ich endlich die Lösung all der Rätsel in der Hand, fraglos die Wahrheit über die Geheimnisse, die Durgassows Person umgaben,« murmelte er nachdenklich vor sich hin. »Was tue ich in diesem Falle nur?«

      Da hörte er Schritte und Stimmen auf dem Korridor, und geschwind schob er das Kuvert in die Brusttasche seines Jacketts.

      In eines der leerstehenden Fremdenzimmer hatte sich, nachdem ein Arzt auch bei dem Bewohner von Nr. 2 den inzwischen eingetretenen Tod festgestellt hatte, die Gerichtskommission zurückgezogen, um sofort die ersten Vernehmungen an Ort und Stelle zu Protokoll zu bringen. Nachdem zuerst der Hotelier und seine Angestellten verhört waren, wurde Dreßler vorgerufen.

      Der alte Gerichtsrat, der die Untersuchung in die Hand genommen hatte, bat den Doktor nach Feststellung seiner Personalien möglichst im Zusammenhang vorzutragen, was er zu der mysteriösen Mordaffäre aussagen könne.

      »Der Herr, den ich heute morgen gegen 1/28 in Zimmer Nr. 6 mit einem Dolch im Herzen ermordet auffand,« begann Dreßler, »heißt nicht, wie er hier angegeben hat, Max Dräger, sondern Michael Durgassow und wohnt in Danzig. Sein Schwiegersohn ist der ebendort beheimatete Ingenieur Hans Wieland. Vor acht Tagen, in der Nacht vom Dienstag zum Mittwoch, verließ Durgassow seine Wohnung, ohne seinen Kindern Nachricht zu geben, wohin er sich gewandt hatte. Der alte Herr litt, wie mir seine Verwandten erzählten, in der letzten Zeit an schweren Gemütsdepressionen und mag in einem Zustande momentaner geistiger Störung die Idee gefaßt haben, hier im Berent einige Zeit unerkannt zu leben. Für diese meine Annahme, daß die heimliche Flucht, wenn man sein Verschwinden so nennen darf, sehr wahrscheinlich auf eine zeitweilige Trübung seines Verstandes zurückgeführt werden muß, sprechen verschiedene Umstände. Durgassow lebte mit seinen Kindern in schönster Harmonie, war körperlich sonst ganz rüstig und besaß genug Vermögen zu einer behaglichen Daseinsgestaltung, – hatte mithin nicht den geringsten Grund zu diesem heimlichen Verlassen seiner Wohnung. Dafür, daß eine momentane Geistesstörung bei ihm viel eher als bei jedem anderen unterstellt werden kann, erwähne ich als Beweis, daß der Tote früher längere Jahre in den Tropen zugebracht hat, wodurch sich, sehr oft erst im spätesten Alter, allerlei Krankheitserscheinungen bemerkbar machen, zu denen nicht selten eine Schädigung der geistigen Kräfte gehört. Das wird jeder Arzt mir bestätigen müssen. – Selbstverständlich befanden sich Durgassows Kinder, die inzwischen auch nicht die geringste Nachricht von ihm erhalten hatten, seinetwegen in schwerer Sorge. Wenn sie trotzdem die Polizei nicht benachrichtigten, so lag das einfach daran, daß sie von Tag zu Tag auf seine Rückkehr hofften. Ich bin nun mit dem Schwiegersohne des Ermordeten eng befreundet und erbot mich, unter der Hand Nachforschungen nach dem Verbleib des alten Herrn anzustellen. Dabei erinnerte ich mich, daß Durgassow des öfteren die Absicht geäußert hatte, einmal die Kassubische Schweiz zu besuchen. Die Möglichkeit war also immerhin vorhanden, daß ich ihn hier in der Umgegend irgendwo entdeckte. Gestern abend verließ ich mit dem letzten Vorortzuge Danzig, um über Hohenstein nach hier zu reisen. Unterwegs hatte ich jedoch das Unglück, in meinem Abteil von einer plötzlichen Ohnmacht befallen zu werden. Jedenfalls mietete ich mir dann in Dirschau ein Automobil, mit dem ich gegen 1/27 morgens hier eintraf. Alles Weitere dürfte aus den Aussagen des Hotelbesitzers und des Pikkolos hervorgehen, so besonders, daß ich erst durch den Kellnerlehrling von der Anwesenheit des Gesuchten in diesem Hotel Kenntnis erhielt.«

      »Ich bin Ihnen für diese Angaben sehr dankbar, Herr Doktor,« meinte der Gerichtsrat. »Offenbar liegt hier ein Raubmord vor. Die Schubladen der Möbel zeigen nämlich deutlich, daß sie in Eile durchwühlt worden sind, und bei der Leiche wurde außer einigen Pfennigen nicht das geringste Bargeld entdeckt. – Nun aber zu dem zweiten Toten, der nach allem, was geschehen ist, der Mörder sein muß. – Wollen Sie vielleicht erklären, Herr Doktor, wie Sie so schnell auf die Vermutung gekommen sind, gerade der Mann von Nummer 2 müsse der Täter sein?«

      »Gern, Herr Gerichtsrat. – Der Pikkolo erzählte mir, wie er hier vielleicht ausgesagt haben wird, es sei gestern mit dem letzten Zuge ein Herr eingetroffen und hier abgestiegen, der sich sehr eingehend nach den Hotelgästen erkundigte. So erfuhr der Mörder, daß ein anscheinend recht begüterter – Berliner Gelehrter – als solcher gab sich Durgassow aus – auf Nr. 6 wohne. Ich bin nun der

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