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schritten sie dann den steilen Pfad wieder hinunter und bogen in den nach dem Langfuhrer Marktplatz führenden Weg ein, um von dort die Straßenbahn nach Danzig zu benutzen. Hans Dreßler aber schalt sich einen Toren, daß er auch heute nicht den Mut gefunden hatte, Anna Wieland seine Liebe zu gestehen, gerade heute, wo er aus ihren Reden und ihrem ganzen Verhalten eine so beglückende Erkenntnis hatte schöpfen können.

      Als die beiden gerade an der Haltestelle der Straßenbahn angelangt waren, begegnete ihnen Wera Wenzel, die anscheinend gleichfalls von einem Spaziergang zurückkehrte, da sie einen großen Strauß von Feldblumen und Gräsern in der Hand trug. Dreßler grüßte vertraulich, erhielt aber nur einen recht flüchtigen Gegengruß. Und es entging ihm nicht, wie forschend die Augen des verwachsenen Mädchens die Gestalt und das Gesicht seiner Begleiterin überflogen hatten.

      »Das war meine Hausgenossin Wera Wenzel,« sagte er erklärend zu Anna Wieland. »Ich habe Ihnen von dem armen Geschöpfchen bereits mehrfach gesprochen, dessen verunstalteter Körper eine so künstlerische, reiche Seele birgt.«

      »Ich entsinne mich. Es ist die Tochter des kleinen Trödlers aus Ihrem Hause. Schade, daß das Schicksal dem armen Wesen zu dem feinen, geistvollen Antlitz nicht auch einen entsprechenden Körper beschert hat,« meinte sie mitfühlend.

      Dann bestiegen sie den Wagen der Straßenbahn.

      Wera Wenzel hatte, als sie an den beiden vorüber war, die Lippen wie gepeinigt von einem plötzlichen körperlichen Schmerz fest aufeinander gepreßt. Ihr blasses Gesicht war noch um eine Schattierung bleicher geworden, und ganz unbewußt trieben die jagenden Gedanken sie immer schneller vorwärts. Das also war die Glückliche, die Hans Dreßler liebte, – jene Anna Wieland, von der er ihr so oft erzählt hatte, die fast täglich mit ihm zusammensein durfte! Dieses schöne, schlanke Weib würde er einst heimführen, kein Zweifel, – die würde seinen Namen tragen, die würde er mit seiner Liebe beglücken, diese Beneidenswerte, die nicht so mißgestaltet war wie sie, die arme, bucklige Wera! – Bitterer Neid fraß sich in ihrer Seele fest, der sich noch steigerte, je länger sie diesen peinigenden Vorstellungen nachhing. Jetzt haßte sie die ganze Welt, – alles, alles: niemandem gönnte sie etwas Gutes, niemandem, am allerwenigsten jenem schönen Mädchen den Mann, den sie selbst liebte. Ein böses Lächeln verzerrte plötzlich ihr Gesicht. – »Eigentlich wollte ich Dich vor meinem Vater warnen, Hans Dreßler,« dachte sie in ihrer maßlosen Eifersucht. »Aber ich ebne keinem Menschen die Wege mehr, keinem helfe ich, keinem! Wer weiß, was dann aus der Affäre Durgassow noch entsteht, wer weiß, ob sich nicht zwischen Dir und der anderen Hindernisse auftürmen, die Eure Vereinigung unmöglich machen.«

      7. Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      In einer der engen Gassen, die auf die Mottlau, den für Danzigs Schiffahrt zum Hafen erweiterten Nebenfluß der Weichsel, einmünden, steht dicht am Wasser eine zweistöckige verräucherte Kneipe, über deren Tür ein großer eiserner Schiffsanker in die Mauer eingelassen ist. In dieser recht großartig »Hotel zum Anker« getauften Kneipe saßen drei Tage später, am Dienstagabend in einem der kleinen, bescheiden möblierten Fremdenzimmer zwei Männer in flüsternder Unterhaltung an dem einzigen Fenster.

      »Ich habe Wera erzählt, ich würde einen kurzen Spaziergang machen,« sagte soeben der eine und zwar der kleinere von beiden. »Sie ist sehr mißtrauisch und auch gar nicht gewöhnt, daß ich einmal ohne sie ausgehe. Anscheinend glaubt sie an Deine Abreise nicht recht und vermutet Dich noch hier in Danzig.«

      »Was sie vermutet, ist schließlich gleichgültig. Die Hauptsache bleibt, daß sie meine Anwesenheit hier nicht mit dem Verschwinden dieses Schuftes von Durgassow in Verbindung bringt und etwa zur Verräterin wird.«

      »Da kannst Du ganz beruhigt sein, Albert. Sie ahnt sicherlich nichts, und auf ihre Verschwiegenheit können wir uns verlassen.«

      »Desto besser. Nun aber heraus mit den heutigen Neuigkeiten, auf die ich wirklich sehr gespannt bin.«

      »Als wir uns am Sonnabend trennten, verabredeten wir, wie Du Dich entsinnen wirst, daß ich Dich hier nur aufsuchen sollte, wenn eine persönliche Unterredung unbedingt nötig wäre. Was an demselben Abend dann noch zwischen mir und dem Doktor vereinbart wurde und wie ich denselben auf eine falsche Spur nach Neufahrwasser lockte, schrieb ich Dir.«

      »Ja, ich habe den Brief erhalten, in dem das Wertvollste fraglos die Mitteilung war, daß jener Dreßler Dir als seinem Vertrauten von dem in den Danziger Kurier eingerückten Inserat, durch das er sich mit Durgassow ins Einvernehmen setzen zu können hofft, erzählt hat. Inzwischen habe ich die Annonce gefunden. Sie hat bereits in der Montagmorgenausgabe gestanden, wie ich feststellte.«

      »Und hast Du die heutige Abendnummer bereits auf eine etwaige, von Durgassow herrührende Antwort durchgesehen?« fragte Jakob Wenzel jetzt mit listigem Augenzwinkern.

      »Überflogen habe ich den Inseratenteil allerdings, doch leider ohne Erfolg.«

      »Nun, dann besitze ich bessere Augen wie Du. – Hier ist die Zeitung. Und da auf der letzten Seite steht etwas, das uns recht sehr interessieren dürfte.«

      Es war draußen noch genügend hell, um hier am Fenster die Druckschrift lesen zu können.

      Begierig überflog Albert Wenzel die wenigen Zeilen, die folgendermaßen lauteten:

      Wer größere Hypothek sucht, wende sich an direkten Geldgeber. Anfragen unter M. V. Berent, Westpreußen, postlagernd.

      Kaum hatte Albert Wenzel den Inhalt begriffen, als er förmlich von seinem Stuhl in die Höhe schnellte.

      »Kein Zweifel, – es ist eine Erwiderung Durgassows! Unter M. V. wurde ja in des Doktors Annonce um eine Antwort gebeten. Der eigentliche Sinn der Zeilen ist wirklich recht geschickt hinter dem harmlosen Geldangebot versteckt. – Nun heißt es handeln, sogar sehr schnell handeln. Denn sicherlich hat Dreßler jetzt auch bereits Kenntnis, wo sich Durgassow befindet. Und ihm will ich zuvorkommen, muß ich zuvorkommen, sonst vereitelt er mir meine Pläne.«

      »Die hoffentlich auf keine Gewalttat hinauslaufen, Albert!« warf Jakob Wenzel ängstlich ein. »Du weißt, was Du mir versprochen hast! Nur unter der Bedingung, daß Du im Guten die Herausgabe dessen versuchst, worum Michael Durgassow Dich einst geschädigt hat, lieh ich Dir meine Unterstützung.«

      Albert Wenzels fahles, kränkliches Gesicht verzog sich zu einer häßlichen, von Wut und Rachegelüsten entstellten Fratze.

      »Sei ohne Sorge, Bruder. Ich werde nur tun, wozu mich die Umstände zwingen,« gab er zweideutig zur Antwort. In seinem Innern aber war nur eine Stimme des Jubels, daß er endlich, nach so langen Jahren mühevollen Suchens den Menschen, den er am glühendsten auf der Welt haßte, in seine Gewalt bekommen sollte. Aber diese wilden Gedanken verbarg er wohlweislich in seiner Brust. Und nur sein bewegtes Mienenspiel hätte sie einem scharfen Beobachter verraten können. Darauf achtete Jakob Wenzel jedoch weniger. Er war jetzt nur noch erfüllt von dem einen Wunsche, daß seines Bruders Vorhaben gelingen und ihm dadurch sein Anteil an den zu erwartenden Reichtümern baldigst zufallen möchte. Dann konnte er den kleinen Laden Haustor Nr. 16 aufgeben, dann würde er mit seinem Kinde in eine andere Stadt ziehen, wo ihn niemand kannte, und in beschaulicher Ruhe nur seinen Neigungen lebend die ihm noch beschiedenen Jahre hinbringen. Denn das, was Albert vorhatte, vermochte er selbst bei schärfstem Abwägen aller Für und Wider nur als eine gerechte Sache anzusehen. Michael Durgassow hatte, daran gab es nichts zu deuteln, die übrigen Mitglieder des Geheimbundes der Roten Hand, als deren letztes eben nur noch Albert Wenzel am Leben war, seiner Zeit aufs schmählichste hintergangen und um die Beute eines ebenso sorgsam vorbereiteten wie verwegen ausgeführten Streiches gebracht. Wenn ihm jetzt diese Beute oder doch wenigstens ein Teil derselben abgejagt wurde, so war das eben nur die späte Vergeltung für seine frühere Wortbrüchigkeit und Hinterlist.

      Inzwischen war Albert Wenzel mit sich über alle weiteren Schritte ins reine gekommen. In leisem Flüsterton stellte er die verschiedensten Fragen an seinen Bruder, zog auch ein Kursbuch

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