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      Sie drehte den Kopf nach ihm hin, nickte geistesabwesend.

      Langsam brachte sie es fertig, die Ruhige, Beherrschte zu spielen. Sie mußte die Entscheidung über diese Sache hinausschieben – unbedingt. Allein durfte sie nicht handeln. Sie kam sich ja so unmündig, so haltlos vor. Und – nur um Martin Parlitz auf andere Gedanken zu bringen, wies sie nun mit matter Bewegung zu dem Bild auf der Staffelei und sagte:

      »Mein Vater …!« Und deutete weiter auf die Kränze an der Wand: »Von seinem Grabe …«, und wies schließlich auf den Revolver »ich glaube, das ist die Waffe, mit der …« Sie führte den Satz nicht zu Ende.

      Der alte Mann hatte jetzt erst Augen für all diese Gegenstände, die an Günter Hölsch, den Lieutenant a. D., den Gatten der kleinen Schauspielerin, erinnerten.

      Da stand auch ein Schreibtisch aus Fichtenholz. Oh, Martin erkannte ihn sofort wieder – wie alle die Möbel hier, die früher in des jungen Herrn Stube ihren Platz gehabt hatten. Und die hatte unten im Erdgeschoß gelegen, und Frau Elvira Hölsch mußte jedes einzelne Stück allein hier heraufgeschleppt haben. Auf der Platte dieses Tisches waren viele Photographien aufgestellt, auch zwei von Irma darunter, und die Bilder des Selbstmörders waren mit jetzt welken Blumenkränzen umwunden, – Kränze, die kaum ein paar Wochen alt sein konnten, aus Anemonen, Schneeglöckchen und Primeln, den ersten Kindern des Frühlings.

      Irma Hölsch würgte ein starker Hustenreiz in der Kehle. Das machte der scharfe Chlorgeruch.

      »Kommen Sie, Martin,« sagte sie mit belegter Stimme. Und hastig eilte sie hinaus …

      Der Alte drückte die Tür leise zu.

      »Soll ich den Schlüssel mitnehmen?« fragte er, auf das plumpe Schloß deutend, aus dem der schwere Schlüssel herausragte.

      »Nein – lassen Sie nur offen,« meinte Irma und schritt schnell der Treppe zu und stand dann tief atmend vor dem Haupteingang im Freien, im Vorgarten, wo der runde Rasenplatz zu beiden Seiten durch eine Reihe dunkler Edeltannen eingesäumt war, wo die Rosenstöcke des Mittelbeetes noch die schützenden Winterhüllen trugen und eine so köstliche, kräftige Luft wehte, die Tannen rauschten, die Spatzen im Efeu skandalierten und ein prächtiger Hahn soeben vor seiner Hennenschar wie ein aufgeblasener Sultan krähte …

      8. Kapitel

       Ein Gespenst – ein Einbrecher!

       Inhaltsverzeichnis

      Irma schämte sich fast, weil sie ihre Gäste mit einem so armseligen Wagen vom Bahnhof Sziemanowo abholen mußte. Auch die beiden Ackergäule, die einzigen Pferde des Lammerthofes, waren nicht dazu geeignet, diesen Eindruck abzuschwächen, so sehr der alte Martin auch an den Tieren herumgeputzt und die Geschirre geschwärzt und gewichst hatte.

      Den drei Melchers fiel das bescheidene Gefährt gar nicht weiter auf. Fritz und Thilde waren vergnügt und ausgelassen, wie Schulbuben, die in die Ferien ziehen. Ihnen hätte man auch ein Ochsenfuhrwerk anbieten können. Das hätte ihre Fröhlichkeit ebensowenig beeinträchtigt. Und Hedwig wieder achtete deswegen auf nichts, weil sie mit ihren Gedanken ausschließlich in Dresden weilte, wo Egon Larisch noch immer mit der Aufklärung des Bilderdiebstahls zu tun hatte – angeblich …

      Die Begrüßung auf dem Bahnsteig war überaus herzlich gewesen. Hedwig hatte, aus einem starken, ehrlichen Schuldbewußtsein heraus, Irma besonders zärtlich geküßt und sogar ein paar Tränen mühsam zurückzuhalten versucht. Die Abendschatten lagerten bereits über dem kleinen Städtchen, als der Wagen vom Bahnhof durch die Straßen ratterte und dann links in die Chaussee einbog, die dicht am Lammerthof vorüberführte.

      Fritz Melcher saß, Kerlchen, den Wolfspitz, auf dem Schoße haltend, auf dem Bock neben dem alten Martin, der sich sehr wichtig in seiner Kutscherwürde vorkam. Ja, die Sziemanowoer hatten auch wirklich was zu sehen an dem Wagen vom Lammerthof! Da saß ja heute nicht nur die schöne, neue Herrin drin, sondern auch noch zwei so recht großstädtisch gekleidete Damen und ein feiner Herr, der mindestens ebenso gelehrt wie der Herr Kreisarzt ausschaute.

      Und wie leutselig und gesprächig dieser Herr Polizeisekretär war! Martin Parlitz’ altes Herz schwamm in Wonne. Vergessen war das verschlossene Zimmer und die rätselhafte Kiste! Das sollten mal wieder vergnügte Osterfeiertage auf dem Lammerthof werden.

      Jetzt bot Fritz Melcher dem Alten gar noch eine Zigarre an und hielt die Zügel, damit auch sein Nachbar Dampf aufmachen konnte.

      Auch hinter den beiden Insassen des Kutschbockes hörte das angeregte Sprechen nicht auf. Hedwig redete am meisten. Das Gewissen sollte übertönt werden, das ihr ständig zuflüsterte: ›Judas Ischariot!‹ … –

      »Sie kennen hier wohl jeden Stein, Herr Parlitz,« meinte Fritz Melcher, indem er mit blanken Augen die Landschaft betrachtete.

      »Kunststück, Herr Sekretär! Ich stamme aus Sziemanowo, und seit ich vom Militär weg bin, habe ich meine Stellung auf dem Hof inne. Ich war Sergeant bei den Ulanen in Thorn, aber dann verknackste ich mir das Knie und – vorbei war’s mit dem schönen bunten Rock. Nun, ich hab’s nicht bedauert. Auf dem Lammerthof wurde ich dann ja Inspektor, Kutscher, Rendant – alles in einer Person! Bin der Familie Lammert wahrhaftig zu großem Dank verpflichtet, Herr! Hab’s dort gut gehabt all die langen Jahre, sehr gut. Nur eins hat mir weh getan, sehen Sie, sehr weh, – daß die verstorbene Frau Elvira nach dem Tode des jungen Herrn Günther nichts mehr für die Besitzung tat, gar nichts! Alles wäre noch mehr verwahrlost, wenn wir, meine Frau und ich, nicht nach dem Rechten gesehen hätten, so gut es ging. Die Schafzucht ist ganz vernachlässigt worden. Vor fünfzehn Jahren hatten wir noch zweihundert Stück, alles edle Rassen. Mit der Wolle war ein gutes Geschäft zu machen. Aber dann – ja dann hatte die arme Frau für nichts mehr Interesse. Wenn sie wenigstens nicht so – so halsstarrig gewesen wäre und die verschiedenen Kaufgebote ausgeschlagen hätte, die ihr gemacht wurden. Waren wirklich sehr gute Gebote darunter – sehr gute. Ein Berliner wollte hier die Schafzucht im großen betreiben. Aber gegen Anhänglichkeit an Haus und Hof ist nichts zu machen. Der Besitz ist schon so lange in der Familie. –

      Na – jetzt wird’s ja wohl anders, besser werden. Das Fräulein hat Vertrauen zu mir. Wir werden eine neue Stammherde anschaffen, und der Nachwuchs kommt von alleine.«

      Er deutete jetzt mit der Peitsche nach rechts in ein flaches Tal.

      »Da ist der Hof schon, Herr Sekretär,« meinte er mit gewissem Stolz. »Sieht das Haus nicht wie’n kleines Schloß aus mit dem dicken Turm, wie’n richtiges Gutsgebäude? Eigentlich ist der Lammerthof ja auch ein Rittergut, wenigstens der Rest davon. Und der junge Herr Günther wär’ ja auch nie Leutnant geworden, wenn der selige alte Herr nicht mal die große Bescheidenheit, sich nur Hofbesitzer zu nennen, bei Seite gelassen und sich genannt hätte, was er mit Recht war, Rittergutsbesitzer auf Adlig Sziekra. Das ist nämlich der eigentliche Name des Hofes, nach den polnischen Grafen von Sziekra, deren Wappen noch am Turme zu sehen ist. Ich nenne das Haus auch immer nur die Burg, Herr Sekretär. Schaun Sie nur mal hinüber! Es gleicht doch wirklich einer alten Burg.«

      »Gewiß – einer kleinen Burg, lieber Herr Parlitz. Und die dunklen Tannen davor geben dem ganzen einen noch romantischeren Anstrich. – Hm, mir fällt da eben etwas ein. Fräulein Hölsch erzählte mir gelegentlich von einem verschlossenen Zimmer in dem Wohnhause. Wissen Sie, was es damit auf sich hat?«

      Der alte Martin knallte mit der Peitsche. – Zum Donner, fing der Berliner jetzt auch gleich von der Geschichte an! Aber – vielleicht hörte man jetzt endlich heraus, woher das Fräulein eigentlich überhaupt davon erfahren hatte.

      »Ja, ja – so ein Zimmer gab’s schon, das stimmt, Herr Sekretär.«

      »Gab? Wieso gab?«

      »Na, weil wir, das Fräulein und ich, das Zimmer gestern geöffnet haben.«

      »So?! – Und – war eine Kiste darin?«

      Dem Alten gab’s einen ordentlichen

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