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Walther Kabel-Krimis: Ãœber 100 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band. Walther Kabel
Читать онлайн.Название Walther Kabel-Krimis: Ãœber 100 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band
Год выпуска 0
isbn 9788075831101
Автор произведения Walther Kabel
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Irma nahm ihm ein paar der Schlüssel ab.
»Wir können hier doch nicht ewig stehen!« sagte sie gereizt. Ihre Nerven hatten auf dem Lammerthof wirklich schon gelitten.
Keiner der kleinen Schlüssel paßte zum Schloß der Krampe. Nur für das eigentliche Türschloß fand sich ein klobiger Schlüssel. Doch das nützte wenig. Die Krampe hatte der alte Martin eingeschlagen und sogar noch besonders gesichert. Und was der festhämmerte, hielt für ewig.
Irmas bleiche Wangen hatten sich gerötet.
»Dann müssen wir eben Gewalt anwenden,« erklärte sie herrisch.
»Ich werde eine Eisenfeile holen.« Und der alte Mann ging eilig davon.
Irma starrte wieder auf die dunkelgebeizte Tür. Wozu nur mochte die Großmutter gerade dieses Zimmer so sicher verwahrt haben?! – All das war doch recht seltsam. Aber am seltsamsten das andere, daß die harte, einsame Frau doch einen Mitwisser dieses Geheimnisses gehabt haben mußte, eben den Schreiber der anonymen Briefe – die ›treue Hand‹!
Dann wanderte ihr Blick weiter nach links, wo der Flur mit der Mauerrundung des Turmes aufhörte. Die Mauer war hier fast bis zur Decke hinauf mit demselben dunklen Eichenholze verkleidet, aus dem auch die Zimmertüren hergestellt waren, und die breite Fläche zeigte genau dieselben Schnitzereien, ein Blumengebinde mit länglichen Blättern.
In der alten Burg herrschte eine geradezu beängstigende Stille. Nur hin und wieder hörte Irma verschwommen das Kreischen der Turmfahne und das Zwitschern der unzähligen Spatzen, die in dem Efeu an den Hauswänden nisteten. Dazu noch das ungewisse Dämmerlicht, das von dem Treppenaufgang bis hierher sich fortpflanzte, ferner dieses Bewußtsein, dicht vor irgend einem Geheimnis zu stehen, davon nur getrennt durch eine Eichentür … Irma fröstelte es. Der Lammerthof wurde ihr immer widerwärtiger, so sehr sie auch Gottes freie Natur liebte.
Martin Parlitz kam mit der Feile zurück, und das junge Mädchen atmete erleichtert auf.
Das Knirschen der Feile ging Irma durch Mark und Bein. Sie mußte die Finger in die Ohren stopfen. – Der Alte arbeitete indes unverdrossen, aber ohne großen Eifer. Dann war der Schloßbügel durchschnitten. – Martin Parlitz trat zur Seite. Er wollte Irma den Vortritt lassen.
Sie zögerte ein wenig, nahm sich aber schnell zusammen, legte die Hand auf den Türdrücker und öffnete.
Sie sah zunächst nichts als ein paar lange, dünne Sonnenstrahlen, die durch die Ritzen der Fensterläden hindurchschlüpften und in der Dunkelheit des Raumes wie silberne, schwebende Striche wirkten.
»Ich vergaß zu erwähnen, daß ich auch vor dem Fenster von innen Läden anbringen mußte,« sagte Parlitz leise. »Auf der Außenseite sind sie nach Art der blinden Fenster bemalt und deshalb vom Hofe aus nicht gleich zu bemerken. Ich werde sie öffnen.«
Er schritt an Irma vorüber. Dann ein Poltern, ein leiser Ausruf, halb Verwünschung, halb aus Schmerz.
»Hier steht irgend etwas auf dem Fußboden dicht vor dem Fenster,« knurrte er. »Mein Schienbein hat das abbekommen.«
Dann ein helles Kreischen. Eine Schraube wurde gedreht, – und nun plötzlich eine blendende Lichtflut, so daß Irma für einen Moment die Augen schloß.
Und in diesem einen Augenblick, wo der Gesichtssinn vollkommen ausgeschaltet war, merkte sie mit verstärkter Schärfe den unangenehmen Geruch, der in diesem Zimmer herrschte. Es war ein Gemisch von welken Blumen, faulenden Stoffen irgendwelcher Art und – Chlorkalk, – ganz fraglos Chlorkalk, jedenfalls ein Gemenge, das etwas ebenso Widerliches wie Atemberaubendes an sich hatte.
Irma war in der Tür stehen geblieben. Ihr Blick überflog suchend den einfenstrigen Raum, glitt achtlos über die bescheidenen, alten Möbelstücke aus Fichtenholz hin, über die Kränze an den Wänden, zwischen denen ein großer Armeerevolver hing, über das lebensgroße Bild eines jungen Offiziers auf einer Staffelei neben dem Fenster … Dieser Blick suchte etwas Bestimmtes – – die Kiste – die Kiste, die bei Nacht verschwinden sollte.
Und die Kiste war da. Der alte Martin hatte sie zuerst gefühlt, war darüber gestolpert.
Irma machte ein paar Schritte nach vorwärts. Unwillkürlich sah sie nach Parlitz hin. Der hatte sich gebückt, schien in der Luft herumzuschnuppern wie ein Jagdhund auf der Fährte. Den Kopf hielt er dicht über die Kiste. Sie war vielleicht eineinhalb Meter lang, schmal und niedrig. Dann murmelte er etwas vor sich hin, hob die Kiste wie prüfend auf einer Seite an, setzte sie wieder nieder, richtete sich auf und sagte langsam:
»Das ist aber mal sehr merkwürdig, Fräulein. Wie kommt die Kiste hier ins Zimmer? Sie ist groß und schwer. Frau Hölsch allein kann sie nicht hergebracht haben. Und – solche Kiste haben wir nie im Hause gehabt.«
Der Chlorgeruch war jetzt noch aufdringlicher, wo Irma dicht am Fenster stand. – Der Alte fügte nun noch hinzu, abermals die Luft prüfend einziehend:
»Chlor ist’s – Chlor! – Was bedeutet das alles?!«
Die neue Besitzerin des Lammerthofes hätte weiß Gott was darum gegeben, wenn jetzt an Stelle des Alten … Egon Larisch hier gewesen wäre.
Egon Larisch …! – Sie dachte nicht zum erstenmal in diesen Tagen an ihn. Nein – während sie drüben im Leutehause von Mutter Parlitz sich hatte pflegen lassen, während sie in dem riesigen Himmelbett lag und ihr Geist unter der Einwirkung eines leichten Fiebers doppelt rege arbeitete, hatte dieser Mann, dem sie so kurz das eben erst geschlossene Bündnis aufgesagt hatte, sich immer wieder in ihre Gedanken eingedrängt. Und da war ihr ganz plötzlich klar geworden, daß sie, die bisher an den wenigen Herren, die sie kennengelernt hatte, so kühl vorübergegangen war, in dieses einen Mannes Art etwas gefunden hatte, das sie fesselte. Was es war, wußte sie selbst nicht. Vielleicht seine Persönlichkeit, die so ganz auf Zielbewußtsein und scharfes Denken abgestimmt war, vielleicht auch dieser eigenartige Charakterkopf, der ihr in allen seinen Linien, die von sympathischer Häßlichkeit zu durchgeistigter Kraftfülle bei schärferem Hinsehen sich wandelten, so deutlich vorschwebte. –
Und weiter war ihr auch ebenso unvermittelt die Erkenntnis aufgestiegen, daß jener Rohrpostbrief, durch den sie seine weitere Hilfe abgelehnt hatte, lediglich unter dem Eindruck dessen entstanden war, was Hedwig ihr über des Schriftstellers Liebesabenteuer angedeutet hatte. Damals hatte sie einen dumpfen Schmerz empfunden, weil das Bild ihres neuen Verbündeten so häßlich durch diese Geschichten verdunkelt worden war. Fast wie Haß gegen ihn war es damals in ihr aufgestiegen. Und am ärgsten wirkte wohl noch das Ungeklärte bei ihr nach, – daß es ein Weib gab, die Rechte an ihm hatte, ein Weib, deren Namen sie nicht erfuhr … –
Wie unüberlegte war es nur von ihr gewesen, sofort in dieser Stimmung an ihn zuschreiben, kaum darüber nachzudenken, was sie schrieb … Das fiebererhitzte Hirn war ehrlicher, als sie es sonst wohl gegen sich selbst gewesen. Sie verschloß sich nicht der Erkenntnis, daß, wenn sie ihre damaligen Empfindungen genau zerlegte, bei dieser Seelenanalyse eine leise Regung von … Eifersucht herauskam.
Und jetzt, wo der Inhalt des dritten Briefes der ›treuen Hand‹ sich bewahrheitet hatte, wo der Tempel der Liebe gefunden war und sie die rätselhafte Kiste vor sich sah, fiel ihr all dieses wieder ein, eben weil sie an die Worte dieses Mannes dachte, der so warnend zu ihr gesagt hatte: ›Ich halte die Sache durchaus nicht für harmlos …!‹
Ja – wäre Egon Larisch jetzt doch hier! Sie selbst war ja vollkommen ratlos, fast kopflos … Was tun? Was tun? – Die Kiste sollte ja fort – bei Nacht und Nebel! Durfte sie hierzu das alte Ehepaar ins Vertrauen ziehen? Und sollte sie blindlings jenem Briefe gehorchen …?! War es nicht ihre Pflicht, sich erst davon zu überzeugen, was dieser längliche Holzkasten aus unbehobelten Brettern enthielt …?!
Der alte Martin räusperte sich nun schon zum zweiten Male sehr vernehmlich. Er schaute seine Herrin verwundert an. Deren Blick war geradeaus durch das Fenster auf die weite Heide gerichtet, auf das unfruchtbare Land, das zum Lammerthof gehörte. Zählte sie etwa die wenigen Schafe, die der bucklige Christian dort weidete und die wie graue Flecken sich