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Sie bei den Damen, Parlitz,« befahl Melcher, nahm die Lampe vom Tisch und ging auf den Flur hinaus. Eine große Pendeltür trennte den alten von dem neuen Flügel. Der Sekretär drückte sie auf. Da kam ihm Thilde noch nachgelaufen und reichte ihm einen langen eisernen Ofenhaken. Er nickte der Schwester zu, pfiff leise nach Kerlchen, der auch sofort an ihm vorüber in das Dunkel schlüpfte und ließ die Tür hinter sich zuschlagen. Mit hoch erhobener Lampe leuchtete er umher. Nichts – nichts – natürlich nichts! Wo würde auch ein Einbrecher warten, bis man ihn hier suchte! Und um einen Dieb handelte es sich ja sicherlich.

      Dann fiel Melcher plötzlich das sonderbare Benehmen Kerlchens auf. Der Wolfspitz hatte Polizeihundedressur und war sehr scharf und außerordentlich klug. Daß hier etwas Besonderes vorgefallen war, hatte er fraglos gemerkt, ebenso, daß sein Herr ihn als Schutz mitgenommen hatte.

      Und nun stellte Kerlchen sich vor Melcher hin, schaute ihn ganz vergnügt an, wedelte ebenso vergnügt mit der buschigen Rute und winselte in einer Weise, wie er es nur bei freudigen Anlässen zu tun pflegte.

      Melcher begriff seinen vierbeinigen Freund nicht.

      »Such’, Kerlchen, such’!« feuerte er den Hund an, indem er in die Tiefe des dunklen Flurs hinausdeutete.

      Aber der Wolfspitz schnupperte nur ein wenig am Boden, wedelte noch stärker und machte ein paarmal blaff, blaff – ganz leise. Und das hieß in seiner Sprache: ›Willst du mich etwa zum Narren halten, Herrchen?‹ –

      Nach zehn Minuten kehrte Melcher zu den verschüchterten Damen zurück.

      »Ich habe alle Zimmer abgeleuchtet, aber nirgends etwas Verdächtiges bemerkt,« berichtete er gelassen. »Es wird vielleicht ein Dieb gewesen sein, der jetzt natürlich längst das Weite gesucht hat. Kerlchen mag hier oben bleiben. Jedenfalls brauchen Sie sich nicht weiter zu ängstigen.«

      Es bedurfte doch noch langen Zuredens, ehe die drei Freundinnen sich ganz beruhigt hatten. Irma, die das Zimmer nach dem Hofe zu für sich bestimmt hatte, zog noch schnell zu den Schwestern um, wo auf einem alten, breiten Ledersofa für sie eine Lagerstatt hergerichtet wurde.

      Dann begaben Fritz Melcher und der alte Parlitz sich wieder nach unten. Dort veränderte sich des Berliner Gastes Benehmen jedoch ganz wesentlich. Die heitere Gelassenheit seines Gesichtes wurde durch einen Ausdruck starker Erregung verdrängt.

      »Parlitz, ich habe die Damen belogen,« sagte er leise. »Ich bin überzeugt, daß ich den Eindringling in dem letzten Zimmer des oberen Flures rechter Hand eingeschlossen habe. Der Wolfspitz, dem bis dahin nichts Besonderes anzumerken war und der eigentlich recht unbegründete Zeichen von Freude geäußert hatte, sträubte nämlich vor jener Tür mit einem Male so auffällig das Rückenhaar und knurrte so dumpf, daß ich sofort auf den Gedanken kam, den in dem Schloß steckenden Schlüssel umzudrehen.«

      »Letztes Zimmer rechts, Herr?« meinte der Alte eifrig. »Aber das ist ja gerade der bewußte Raum, in dem die Kiste steht!«

      »Wirklich?! – Nun, desto mehr Grund für mich, sofort nachzusehen, ob meine Vermutung zutrifft. – Besitzen Sie einen Revolver oder dergleichen, Parlitz?«

      »Nur eine doppelläufige Vorderladerpistole. Sie hängt geladen über meinem Bett.«

      »Gut. Holen Sie sie. – Wo haben Sie die Laterne? – Draußen unter mein Fenster gestellt? – So, bringen Sie sie auch mit und wenn möglich noch eine zweite. Und sagen Sie Ihrer Frau Bescheid, verstanden?! – Ich soll gleich mitkommen? – Wie Sie wollen! – gehen wir durch die Veranda hinaus. Aber leise. Die Damen sollen uns nicht hören.«

      Nachher suchte der Alte den Schlüssel zum Haupteingang hervor, bewaffnete sich noch mit einem schweren Kavalleriesäbel und zündete eine zweite, große Laterne an. Dann schritten die beiden Männer über den Hof, gingen um das Wohngebäude herum und gelangten über die Haupttreppe in den alten Flügel vor die Tür des verschlossenen Zimmers.

      Hier lauschten sie zunächst eine Weile mit angespannten Sinnen. Drinnen regte sich nichts. Nun nahm Fritz Melcher seine Laterne in die Linke, schob die Pistole unter den Rockaufschlag und öffnete schnell die Tür, indem er sie ganz weit aufriß.

      Der rötliche Lichtschein der Laterne glitt suchend über den einfenstrigen Raum hin.

      Da – wahrhaftig – da saß ja auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch ein Mensch, – ein Mann in einem langen schwarzen Kaftan, mit einem schwarzen Käppchen auf dem Kopf. Und … dieser Mensch mit dem langen dunklen Bart rauchte in aller Seelenruhe eine Zigarre, sagte jetzt, indem er eine Rauchwolke von sich blies, mit einer Stimme, bei deren Klang Fritz Melcher hoch aufhorchte:

      »Ich fürchtete schon, ich würde hier die ganze Nacht zubringen müssen. – Aber bitte doch näherzutreten. Ich beiße nicht.«

      9. Kapitel

       Das Geheimnis des Tempels der Liebe

       Inhaltsverzeichnis

      Der blonde Sekretär raffte sich auf, schüttelte die Erstarrung von sich ab.

      »Die Stimme, – wär’s möglich, – etwa du, Egon?«

      Der alte Parlitz stand mit einem Gesicht dabei, das nicht gerade geistreich war.

      Und nun erwiderte der Mann, der ganz wie ein polnischer Jude aussah: »Allerdings, ich, – aber nicht Egon, sondern zur Zeit Jakob Mandelblüt, Grundstücksspekulant, augenblicklich wohnhaft im Gasthause zum ›König von Polen‹ im nahen Dorfe Worszewo.«

      Melcher ging eilig auf den Freund zu und drückte ihm die Hand.

      »Oh, wie freue ich mich, Egon! Nein, das nenn’ ich wirklich eine Überraschung! Aber – um alles in der Welt, – was treibst du denn hier?«

      »Ich spüre den Geheimnis der ›treuen Hand‹ nach. Das ist doch wohl nicht schwer zu erraten. – Aber Herr Parlitz, weshalb bleiben Sie denn draußen im Flur stehen? Kommen Sie doch bitte auch herein und schließen Sie die Tür. Wir haben hier einiges zu besprechen.«

      »Wie, du kennst Parlitz schon?« fragte der Sekretär fassungslos? Diese ganze Szene kam in wie ein toller Nachtspuk vor.

      »Von Ansehen und vom Hörensagen – natürlich! Ich wohne doch schon drei Tage im ›König von Polen‹.«

      Parlitz hatte die Tür hinter sich zugezogen und stellte seine Laterne nun auf die Ecke eines Kleiderschrankes.

      »Denken Sie, lieber Parlitz,« erklärte Melcher eifrig, »der Herr hier ist mein Freund Egon Larisch aus Berlin, ein Schriftsteller, der sich nebenbei auch als Detektiv betätigt. – Wissen Sie, was eine Detektiv ist?«

      »Aber gewiß! Wir sind doch in der Leihbibliothek in Sziemanowo abonniert. Kriminalromane lese ich am liebsten.« Der Alte starrte Larisch wie ein Wundertier an.

      »Mein Freund hat sich verkleidet, wie Sie sehen,« fuhr Melcher ganz stolz fort. »Sieht er nicht wirklich ganz echt aus? Der richtige Kaftanjude …! Sogar langschäftige Stiefel …! Nur die Brille stört etwas.«

      »Meine Augen verraten mich zu leicht,« meinte Larisch. Dann gähnte er. »Dies ist nun die dritte Nacht, in der ich nicht recht zum Ausschlafen komme. Ich muß auch gleich aufbrechen. Sonst nehmen meine Wirtsleute in Worszewo an meinen nächtlichen Radtouren Anstoßes und schöpfen wohl gar Verdacht, daß Jakob Mandelblüt nicht lediglich wegen Ankäufen von ländlichen Besitzungen die Umgegend abradelt.«

      Er rauchte ein paar Züge.

      »Es riecht hier nicht gerade angenehm,« sagte er ernst zu Fritz Melcher, der schon eine Weile immer wieder prüfend die Luft eingesogen hatte. »Aber – bitte Platz zu nehmen, meine Herren. Ihren Säbel legen Sie nur weg, Herr Parlitz. In dieser Nacht brauchen Sie ihn noch nicht.«

      »Ich finde, es stinkt hier fürchterlich,« meinte der Sekretär. »Chlorkalk, welke Blumen und … noch etwas … so süßlich, so …«

      »…nach

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