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Walther Kabel-Krimis: Ãœber 100 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band. Walther Kabel
Читать онлайн.Название Walther Kabel-Krimis: Ãœber 100 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band
Год выпуска 0
isbn 9788075831101
Автор произведения Walther Kabel
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Charlotte Oltendorf stieg das Blut in heißer Welle ins Gesicht. Blendels letzte Worte hatte sie als stillen Vorwurf aufgefaßt.
„Ich habe stets an seiner Schuld gezweifelt“, meinte sie leise. „Ich habe das auch vor Gericht betont. Aber alles war gegen ihn …“
Dann gingen sie weiter durch den herbstlichen Wald. Die Kiefern rauschten, Eidechsen huschten über den Weg, und flinke Eichhörnchen flüchteten vor dem jungen Paare, das ihnen doch kaum Beachtung schenkte.
Charlotte Oltendorf erzählte ihre Leidensgeschichte, erzählte von der Villa dicht am Havelufer, die so still und friedlich dalag und in der doch die Gespenster umherschlichen … –
Erst als dieser Gegenstand erledigt war, wurde auch der Diebstahl zwischen den beiden nach allen Seiten hin erörtert. Das junge Mädchen betonte jedoch sofort, daß sie nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür hätte, wer in Wahrheit in jener Nacht das Schränkchen im Schlafzimmer erbrochen und die Steine geraubt haben könnte. Jedenfalls war kaum daran zu zweifeln, daß Charlotte Oltendorf von den Imitationen, falls diese wirklich existierten, keine Kenntnis hatte, was aus einigen ihrer Redewendungen mit ziemlicher Sicherheit hervorging. Schließlich faßte sich Blendel dann auch ein Herz und sagte, ohne auf die Vorfälle im Klub irgendwie einzugehen, ihm wäre zu Ohren gekommen, daß Oltendorf eine getreue Nachahmung der echten Sammlung besessen hätte. Doch Charlotte schüttelte hierzu energisch den Kopf. Sie wissen nichts davon, erklärte sie mit großer Bestimmtheit, und sie halte dies auch für ausgeschlossen, denn welchen Grund hätte ihr Vater gehabt haben können, ihr nichts von diesem Duplikat mitzuteilen?! – Ihre Worte trugen so sehr den Stempel der Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit, daß der Baron das Thema alsbald fallen ließ, da er einsah, er selbst sei nicht imstande, von dem jungen Mädchen irgendetwas für Lossen Nützliches zu erfahren. Das mußte er schon einem gewiegteren Fachmann überlassen. –
Vor dem Bahnhof Wannsee verabschiedete er sich, um den nächsten Zug nach Potsdam zu benutzen.
„Es bleibt also bei unserer Abmachung, gnädiges Fräulein“, sagte er nochmals. „Ist Ihr Herr Vater bis heute abend nicht zurückgekehrt oder haben Sie bis dahin keinerlei Nachricht von ihm erhalten, so geben Sie mir telefonisch nach meiner Wohnung Nachricht, – Potsdam 622, damit ich sofort Bellinger verständigen kann. Wir treffen uns dann um neun Uhr hier in Wannsee im Schultheiß-Restaurant, um alles Nötige zu besprechen. – Auf Wiedersehen, gnädiges Fräulein. Und – seien Sie guten Muts!“
Charlotte Oltendorf drückte Eginhard in aufrichtiger Dankbarkeit die Hand, indem sie einfach und natürlich erklärte:
„Ich hätte nie gedacht, daß es so selbstlose Menschen geben könnte wie Sie, Herr Baron.“
„Selbstlos?! Überschätzen Sie mich nicht! Ich hoffe ja gleichzeitig auch Werner Lossen nützen zu können.“
Das junge Mädchen nickte dem am Fenster seines Abteils Stehenden nochmals zu und verließ dann den Bahnhof. Sie war so in Gedanken versunken, daß sie den Herrn nicht bemerkte, der ihren Abschied von Blendel heimlich beobachtet hatte und ihr nun in einiger Entfernung folgte.
Es war derselbe Herr, der für das Paar bereits lebhaftes Interesse gehabt hatte, als es den Zug auf offener Strecke verließ. – –
Der Baron kam eine volle Stunde zu spät zum Bataillonsexerzieren, erhielt einen bösen Anpfiff, fiel dann auch weiter durch seine Unaufmerksamkeit auf und wurde nachher von seinem Bataillonskommandeur noch besonders „vorgenommen“, mußte sich so verschiedenes sagen lassen und hatte daher wieder einmal den ganzen Kommiß so „dicke“, daß er kurz entschlossen vierzehn Tage Urlaub zur Erledigung dringender Privatangelegenheiten beantragte.
„Dann habe ich wenigstens volle Bewegungsfreiheit!“ dachte er. „Ich muß ja jetzt den Helfer für zwei Menschen spielen.“
Um ½ 12 vormittags saß er schon wieder in Zivil im Zuge und fuhr nach Berlin hinein.
6. Kapitel
Die Choristin mit den Hosenrollen
Karl-Ernst Weinreich strich sich mit verzweifelter Handbewegung das braune, leicht grünlich schillernde Haar aus der Stirn. Das Haar mußte alle vierzehn Tage sorgfältig nachgefärbt werden, ebenso der Schnurr- und der Spitzbart.
„Fis – Fis!!“ rief er mit überschnappender Stimme. „Fis, Fräulein Müller!!“
Die sechzehnjährige Schülerin zuckte ängstlich zusammen.
Da besann Weinreich sich auf sich selbst. Ida Müller bezahlte zwei Mark pro Stunde, als einzige seiner Schüler und Schülerinnen, die ohnehin nicht zahlreich waren.
„Entschuldigen Sie bitte. Ich bin heute etwas nervös. Mein kranker Hals hat mir wieder eine schlaflose Nacht eingetragen“, sagte er mild und verzog sein faltiges, verlebtes Gesicht zu einem höflichen Lächeln.
Der alte Regulator an der Wand des sogenannten Salons, in dem der Musiklehrer seine Stunden abhielt, begann im Galopptempo die elfte Stunde zu schlagen. Karl-Ernst atmete auf. Gott sei Dank: die Qual war zu Ende.
Ida Müller verabschiedete sich, und ihren Platz an dem Flügel nahm ein jüngeres Mädchen ein, die knicksend ihren Lehrer mit einem ehrfürchtigen „Guten Morgen, Herr Professor“ begrüßt hatte.
Weinreich führte diesen Titel mit Recht. Wenigstens was die Verleihung als solche anbetraf. Der Fürst von Liechtenstein hatte aus Gründen, die wohl kaum in den musikalischen Leistungen des also Ausgezeichneten lagen, ihn dazu gemacht.
„Übe die Sonate nochmals durch, mein Kind. Ich komme sofort wieder“, sagte Karl-Ernst würdevoll und ging in das Nebenzimmer, das mit genau so zusammengewürfelten Möbeln ausgestattet war wie der Salon.
Dieser Raum diente als Wohn- und Speisezimmer.
Am Mitteltisch saß des Professor Stieftochter in einem billigen Morgenanzug und las einen Leihbibliotheksroman. Sie schaute nicht auf und bemerkte daher auch nicht den unfreundlichen Blick, den Weinreich über sie hinweggleiten ließ.
Er holte sich von der Anrichte die Kognakflasche, ging damit ans Fenster und goß drei Gläschen hinab. Dann trat er vor den Eckspiegel und band sich das seidene Halstuch, das er wegen seiner Mandelentzündung trug, etwas loser und genialer. Dabei räusperte er sich und sagte:
„Scharfer hat wieder an mich geschrieben. Er beklagt sich über Deine kühle Zurückweisung. Ich möchte Dich doch bitten, Dein Verhalten zu ändern.“
Er sprach sehr langsam, in väterlich-gütigem Ton. Und doch klang durch seine belegte Stimme noch etwas anderes hindurch, etwas wie eine Drohung.
Fritzi Pelcherzim klappte ihr Buch knallend zu und stand auf. Selbst die lose Morgenjacke und das unordentlich frisierte Haar vermochten ihrer eigenartigen, rassigen Schönheit keinen Abbruch zu tun. Auf einem schlanken und doch vollen, sehr biegsamen Körper saß ein Kopf von einer Linienführung, die jeden altvenezianischen Gemmenschneider begeistert hätte. Reiches, aschblondes Haar stach seltsam gegen die dunklen, langen Brauen und die mandelförmigen, lebhaften Augen ab. Die Augen waren braun, ausdrucksvoll und stets halb verdeckt von fast zu langen Wimpern. Wenn etwas in diesem Frauenantlitz störte, so war es der Zug von Energie und Entschlossenheit, der sich um den kleinen Mund deutlich ausprägte.
„Ich habe schon wiederholt erklärt, daß ich auf jede Unterstützung des Kommerzienrats bei meiner Karriere verzichte“, sagte sie kurz. „Ich verkaufe mich nicht einem alten Wüstling. Nie und nimmer! Das ist mein letztes Wort!“
Sie sah dabei ihren Vater herausfordernd, wie zum Kampf gerüstet, an.
Der Professor rieb sich die Hände, als ob ihn friere.
„Liebes Kind, Du verkennst die Absichten Scharfers. Ich besitze nicht die Mittel, Dir kostspieligen Dramatischen und Gesangsunterricht geben