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Postbeamte wirklich einen Brief hin. Die Neugierde trieb Axel, das Schreiben sofort zu öffnen. Denn – was konnte der Stiefbruder ihm wohl noch mitzuteilen haben? Er stellte sich in eine stille Ecke des großen Schalterraumes und riß den vielfach versiegelten Umschlag auf. Als erstes fand der eine Anweisung auf ein New Yorker Bankhaus über eintausend Mark. Des Majoratsherrn Brief enthielt nur wenige Zeilen.

      Lieber A!

      Wichtige Ereignisse machen eine kurze persönliche Besprechung notwendig. Anbei Reisegeld. Hoffentlich erreicht Dich dieser Brief baldigst.

      Gruß

       A. v. Kaisenberg

      Axel stutzte. Sein erster Gedanke war, ob dies vielleicht eine Falle sein könnte. – Er überlegte. Nein, dazu würde sich sein Bruder nie hergeben, nie. – Außerdem war er auch fest überzeugt, daß niemand ahnte, wer jener Hochstapler eigentlich war, der dem NobiliteKlub den teuren Streich gespielt hatte. Axel konnte ja von der Veröffentlichung seines Bildes in den Fahndungsblättern nichts wissen, da die Behörden vorsichtig genug gewesen waren, der Presse von ihrer wichtigen Entdeckung keine Mitteilung zu machen, damit der Verbrecher nicht unnötig gewarnt würde.

      Trotzdem war er nicht recht einig mit sich, ob er der Aufforderung Folge leisten sollte. Das europäische Festland hatte er seit jener Ausplünderung des berühmten Klubs ängstlich gemieden. Dann aber dachte er an die im Lankener Stadtwäldchen unter einer starken Eiche noch immer vergrabenen Wertstücke, die er damals auf dem Maskenfest beim Landrat von Oppen erbeutet hatte. Seine Barmittel waren durch das verschwenderische Leben bis auf einen Rest von fünfundzwanzigtausend Mark aufgezehrt. Er mußte also ohnehin versuchen, seine Kasse wieder aufzufüllen. –

      Vielleicht stand es mit Arthurs Gesundheitszustand auch so schlecht, daß dieser ihn deshalb zu sprechen wünschte. Vielleicht – vielleicht brachte das Schicksal nun doch noch das Majorat in seine Hand. Und – war er erst Schloßherr von Kaisenberg, so würde es ihm schon gelingen, den alten Verkehr mit seinen Standesgenossen wieder aufzunehmen.

      * * *

      Der einfache Mietwagen hielt mit kurzem Ruck vor der breiten Freitreppe des Schlosses, und eilfertig riß der bereitstehende Lakai den Schlag auf, indem er mit tiefem Bückling, aber ohne besondere Herzlichkeit, die er sich als langjähriger vertrauter Diener des Kaisenbergschen Hauses wohl hätte erlauben dürfen, zu dem einzigen Insassen des Gefährtes sagte: »Ich gestattet mir, den Herrn Grafen in der Heimat wieder zu begrüßen.«

      Die Worte klangen zu sehr wie eine bloße pflichtgemäße Redensart. Und Graf Axel Kaisenberg vermochte daher ein spöttisches Lächeln kaum zu unterdrücken. Man schien es ihm hier also wirklich trotz der zweijährigen Abwesenheit noch immer nicht vergessen zu haben, daß er damals unter so unangenehmen Umständen in die Fremde gegangen war.

      Axel hatte auf die Begrüßung des alten Dieners nur hochmütig mit dem Kopf genickt. Wenn seine Gedanken für wenige Sekunden in die Vergangenheit zurückgekehrt waren, so wurden sie durch das, was sich seinen erstaunten Augen bei einem kurzen Rundblick über das prachtvolle, von zwei Türmen flankierte Gebäude und die wohlgepflegten Parkanlagen darbot, schnell wieder abgelenkt.

      »Mein Bruder hat das Schloß ja mächtig herausgeputzt, Roderich!« meinte er mit gut geheuchelter Gleichgültigkeit und sprang dann aus dem Wagen auf den gelben Kiesweg herab, ohne das Trittbrett zu benutzen.

      »Wir erwarten ja auch demnächst unsere neue Herrin, Herr Graf«, erklärte der Alte bereitwillig und griff nach der Reisetasche, die auf dem Sitz stehen geblieben war. Daher entging es ihm auch, daß der jüngste Kaisenberg bei diesen Worten merklich zusammenfuhr und sein scharfgeschnittenes Gesicht um eine Schattierung blässer wurde.

      Doch Graf Axel hatte auf seinen Irrfahrten so mancherlei zugelernt, darunter auch eine vollkommene Selbstbeherrschung, die ihn jeder Situation gewachsen machte.

      Keine weitere Frage folgte, nichts. Langsam schritt er die Stufen der Freitreppe jetzt empor. Kein Zucken in seinem Antlitz verriet, welch wilde Flut von Gedanken diese Nachricht in ihm hervorgerufen hatte. Nur seine dünnen Lippen, um die ein halb ironisches Lächeln spielte, waren fester aufeinandergepreßt, und in dem Blick seiner kalten grauen Augen lag ein seltsames Gemisch von Mißtrauen und brutaler, drohender Härte. –

      Eine halbe Stunde später saßen sich die Stiefbrüder in dem Arbeitszimmer des Majoratsherrn gegenüber. Graf Arthur lehnte zusammengesunken in einem Klubsessel dicht neben dem hohen Fenster, so daß das helle Licht des sonndurchleuchteten Augusttages seine blassen, kränklichen Züge unbarmherzig umschien. Der Jüngere dagegen hatte seinen altmodischen, geschnitzten Eichenstuhl mehr in den Schatten gerückt und beobachtete nun schon eine ganze Weile abwartend aus halbverhüllten Augen das nervöse Spiel der durchsichtig weißen Hände des anderen, der ein dolchartiges Papiermesser verlegen zwischen den Fingern drehte. Der große, dreifenstrige Raum, in dem sie sich befanden, war angefüllt mit einer Menge von Dingen, die jeden Altertumsforscher entzückt hätten. Verwitterte und beschädigte Reliefs waren an den Wänden neben alten patinierten Büsten und Ornamenten zu sehen, und in breiten Glasschränken lagen sauber geordnet antike Waffen, Bruchstücke von Marmorstatuen, halbzerfressene Bücher und Pergamentrollen. All diese Sachen hatte der Majoratsherr als eifriger Liebhaberarchäologe aus aller Herren Länder gesammelt und nach Kulturepochen eingeteilt.

      Endlich brach Graf Arthur das Schweigen. Aber man merkte ihm an, welche Überwindung ihn diese Aussprache kostete.

      »Axel, ich habe dich aus New York herüberkommen lassen, um mit dir mündlich eine wichtige Angelegenheit ins reine zu bringen«, begann er stockend. »Wir sind die letzten Grafen Kaisenberg, und da wollte der eine nicht ohne Wissen des anderen einen Schritt tun, der für beide weitgehende Folgen haben wird.«

      Er machte eine Pause und schaute unsicher zu seinem Stiefbruder hinüber, der jedoch gleichgültig seine eleganten Lackschuhe soeben einer eingehenden Besichtigung unterzog.

      »Ja, Axel, … weitgehende Folgen!« wiederholte er jetzt mit etwas mehr Nachdruck. »Ich … ich gedenke mich nämlich in nächster Zeit zu verheiraten.«

      Nun erst schaute der Jüngere auf.

      »Du wirst von mir hoffentlich nicht verlangen, daß ich dir zu dieser Verlobung gratuliere, von der ich erst vor einer halben Stunde durch den glatten Goldreif, den ich an deinem Finger bemerkte, Kenntnis erhielt,« sagte er kühl. »Ich kann es nicht, da ich diesen Heiratsplan für ein direktes Verbrechen halte, für ein Verbrechen an dem Weibe, das du, der kranke Mann, heimzuführen gedenkst.«

      »Du irrst, Axel«, erwiderte der Majoratsherr, schwer atmend und zwang sich sichtlich mit aller Energie zur Ruhe. »Ich hätte, allerdings gewissenlos gehandelt, wenn ich mich Marga von Alten wieder genähert hätte, ohne mir über meinen Gesundheitszustand vorher Gewißheit zu verschaffen. Damals, vor Jahren, als ich an jenem unglücklichen Renntage mit dem Pferde vor der letzten Hürde mich überschlug, mußte ich unser heimliches Verlöbnis lösen, weil die Ärzte mir nur noch wenige Lebensjahre gaben. Doch heute liegen die Dinge Gott sei Dank anders. Ich habe mich von mehreren Spezialisten untersuchen lassen, und sie alle neigen der Ansicht zu, daß jene Rückgratverletzung nur unbedeutend gewesen sein kann, und daß die beschädigte Stelle durch die fortwährende Schonung völlig ausgeheilt ist, also jedenfalls die Befürchtung, es könne sich eine schleichende tödliche Rückenmarkerkrankung herausgebildet haben, nicht mehr besteht. Und warum sollte ich wohl unter diesen Umständen noch länger mit der Verwirklichung eines Herzenswunsches zögern, dem ich nun schon beinahe ein Jahrzehnt in stillem Entsagen wie einem unerreichbaren Glücksschimmer nachgetrauert hatte? Wir sind inzwischen alt geworden, Marga und ich, mit unseren dreißig und vierzig Jahren, aber unsere Liebe blieb jung, Axel, glaube mir. Und das Anrecht auf einen glücklichen gemeinsamen Lebensweg haben wir uns durch das treue Festhalten aneinander und die nie versiegende Hoffnung auf die endlich Besserung meines Leidens ehrlich verdient.«

      Graf Arthur war aufs angenehmste überrascht, als Axel sich jetzt erhob, ihm die Hand hinstreckte und mit anscheinend ehrlichster Wärme im Ton sagte: »Allerdings – dann kann man dir ja wirklich aus vollstem Herzen nur Glück wünschen! Mag die Zukunft dir in reichstem Maße alle deine Erwartungen erfüllen, dir und deiner Braut, die ich noch so gut von früher

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