Скачать книгу

»Und was den Bericht angeht… ich schiebe ihn schon ein paar Tage vor mir her. Es wird Zeit, daß ich ihn zu Ende bringe.« Die Drohung des Oberarztes verschwieg er dabei lieber.

      »Na schön«, wehrte Dr. Daniel. »Du bist alt genug, um selbst zu wissen, wieviel du dir zumuten kannst.« Er zögerte. »Soll ich mit Wolfgang sprechen? Ich meine… vielleicht sollte er nicht ganz so streng sein mit dir.«

      »Nein, Papa«, wehrte Stefan ab. »Es ist schon gut so. Ich will ja schließlich etwas lernen.«

      »Gut«, meinte Dr. Daniel und verschwieg dabei, daß er sich um seinen Sohn ernstliche Sorgen machte. Stefan hatte sich in den letzten Tagen sehr verändert, und Dr. Daniel hatte Angst, daß er irgendeine Krankheit ausbrütete. Er überlegte, ob er darauf bestehen solle, seinen Sohn mit nach Hause zu nehmen, ließ es dann aber bleiben. Stefan war ja wirklich alt genug, um selbst zu entscheiden, ob er arbeiten konnte oder nicht.

      »Sehen wir uns heute noch?« fragte Dr. Daniel trotzdem, und dabei war die Besorgnis unschwer aus seiner Stimme herauszuhören.

      Stefan zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht, Papa, aber ich denke, der Bericht wird mich noch eine Weile beschäftigen. Es kann also spät werden.«

      Noch einmal seufzte Dr. Daniel. »Arbeite nicht mehr zu lange, mein Junge. Ich will nicht, daß du eines Tages zusammenklappst.«

      Mit Mühe brachte Stefan ein Lächeln zustande. »Keine Angst, Papa, ich bin zäh. Und jetzt laß mich arbeiten, ja? Sonst komme ich heute wirklich nicht mehr nach Hause.«

      Dr. Daniel verabschiedete sich von ihm, dann verließ er das Arztzimmer. Traurig sah Stefan ihm nach. Er wäre liebend gern mit seinem Vater nach Hause gegangen, aber Dr. Scheiblers Warnung stand wie ein Schreckgespenst vor ihm. Obwohl ihn mit dem Oberarzt mittlerweile eine gute Freundschaft verband, wußte er doch, daß mit Dr. Scheibler nicht zu spaßen war, wenn es um den Dienst ging. Und wenn er sagte, daß er die Sache mit dem fehlenden Untersuchungsbericht dem Chefarzt melden würde, dann konnte Stefan sicher sein, daß das keine leere Drohung sein würde.

      Mit einem tiefen Seufzer wandte sich Stefan der Schreibmaschine wieder zu, doch er war nicht fähig, auch nur eine Taste zu drücken.

      »Sag mal, Junge, was ist denn los mit dir?«

      Stefan zuckte zusammen, als hinter ihm so unerwartet Dr. Scheiblers Stimme erklang.

      »Gerrit«, brachte er mühsam hervor. »Ich dachte… ich dachte, du wärst längst zu Hause.«

      Dr. Scheibler schüttelte den Kopf. »Ich habe auf dich gewartet.« Er zögerte. »Ich war vorhin schon mal hier, aber da war dein Vater noch da.«

      Stefan blickte zu Boden. »Bitte, Gerrit, laß mich meinen Bericht schreiben. Ich bin müde und möchte heim.«

      »Wenn du in die Krankenakte hineingeschaut hättest, dann hättest du gesehen, daß der Bericht schon drinliegt«, erklärte Dr. Scheibler ernst.

      Verständnislos sah Stefan ihn an. »Aber… wieso…«

      »Ich habe ihn nach deinen Aufzeichnungen gechrieben«, antwortete der Oberarzt, dann schlug er die Krankenakte auf. »Hier, unterschreib. Du kannst ihn natürlich vorher durchlesen, aber…«

      »Nicht nötig«, murmelte Stefan, dann setzte er seine Unterschrift unter den Bericht und sah dabei, daß Dr. Scheibler ihn bereits gegengezeichnet hatte. Langsam hob er den Blick. »Warum hast du das getan?«

      Gerrit zuckte die Schultern. »Ich hatte eben Zeit.« Dann berührte er Stefans Arm. »Komm jetzt, fahren wir zu mir. Ich möchte mich mit dir ein wenig unterhalten.«

      Doch Stefan schüttelte den Kopf. »Sei mir nicht böse, aber…«

      »Stefan, dafür, daß ich dir den Bericht geschrieben habe, bist du mir etwas schuldig«, fiel Dr. Scheibler ihm ins Wort. »Also komm.«

      Der junge Assistenzarzt stand auf, versuchte aber noch einmal, dieser doch recht zweifelhaften Einladung auszuweichen. »Gerrit…«

      Dr. Scheibler wandte sich ihm zu. »Jetzt paß mal auf, mein Junge, dein Vater hat vollkommen recht. Du bist blaß und scheinst ständig müde zu sein. Die Schatten unter deinen Augen sprechen bereits Bände. Außerdem beobachte ich dich seit ein paar Tagen in der Kantine. Du ißt nur noch Miniportionen. Und heute kommst du mir nicht mehr so davon. Ich will endlich wissen, was mit dir los ist.«

      Stefan sah ein, daß weiterer Widerstand zwecklos war. Und im Grunde war er sogar froh, daß Dr. Scheibler auf dieser Aussprache bestand. Vielleicht war er tatsächlich der einzige, der Stefan helfen konnte. Und dabei erschien es ihm irgendwie seltsam, daß ihm dieser Gedanke kam. Schließlich war es noch gar nicht so lange her, seit sie erbitterte Feinde gewesen waren, wobei diese Feindschaft jedoch einseitig von Stefan ausgegangen war.

      Lange Zeit hatte er in Dr. Scheibler nämlich einen Rivalen um die Liebe seiner Freundin Rabea gesehen. Rabea war damals eine Weile mit dem gutaussehenden Arzt liiert gewesen, was bei Stefan zu heftiger Eifersucht geführt hatte. Und auch als zwischen Rabea und Gerrit längst Schluß gewesen war, hatte sich Stefan von dieser Eifersucht noch immer nicht befreien können. Schließlich hatte er gewußt, daß sich Rabea auch weiterhin mit Gerrit traf – rein freundschaftlich zwar, aber das hatte Stefan nicht wahrhaben wollen. Es hatte lange gedauert, bis er sich hatte überzeugen lassen, daß ihm die Liebe seiner Freundin sicher war. Und diese Einsicht hatte nun einen wirklichen Freund beschert – einen Freund, auf den er sich blind verlassen konnte.

      Inzwischen hatten sie Dr. Scheiblers kleine Wohnung am Ortsrand von Steinhausen erreicht. Stefan kannte sich hier aus und setzte sich daher ohne weitere Worte auf das gemütliche Sofa im Wohnzimmer. Dr. Scheibler stellte ein Glas Cognac vor ihn hin, dann nahm auch er Platz.

      »So, mein Freund, den trinkst du jetzt erst mal«, erklärte er.

      Doch Stefan schüttelte den Kopf. »Ich mag keinen Cognac.«

      »In manchen Fällen ist ein Cognac die beste Medizin, ich habe den Eindruck, du bist ein solcher Fall«, entgegnete Dr. Scheibler. »Also ist es mir herzlich egal, ob du ihn magst oder nicht. Das Glas wird leergetrunken, haben wir uns verstanden?«

      Stefan seufzte. »Ja, Gerrit.«

      Er zögerte noch einen Mo-

      ment, dann trank er aus, verzog

      dabei aber angewidert das Ge-

      sicht.

      »Na, siehst du, so schlimm war’s doch gar nicht«, meinte Dr. Scheibler, und Stefan mußte sich insgeheim eingestehen, daß ihm der Cognac tatsächlich guttat.

      Er drehte das Glas zwischen den Fingern und versuchte auf diese Weise, Gerrits forschendem Blick auszuweichen.

      »Komm schon, Junge, erzähl endlich, was mit dir los ist«, forderte Dr. Scheibler ihn nach einer Weile des Schweigens auf.

      »Nichts«, behauptete Stefan bockig.

      »Hör zu, mein Freund, es gibt nur zwei Möglichkeiten«, meinte Gerrit. »Entweder du bist krank, oder du hast andere Probleme. Das heißt, daß du mir entweder freiwillig erzählst, was mit dir los ist, oder ich unterziehe dich einer gründlichen Untersuchung, die allerdings nichts ergeben wird, weil du körperlich bestimmt kerngesund bist. Und dann werde ich eben nach dieser Untersuchung darauf bestehen, daß du mit mir sprichst.«

      »Ich bin nicht krank«, erklärte Stefan. »Und ich habe auch keine Probleme. Es ist nur…« Er vergrub das Gesicht in den Händen. »Es geht um Rabea.«

      Dr. Scheibler nickte, als hätte er genau das erwartet. Er stand auf, setzte sich neben Stefan und legte freundschaftlich einen Arm um seine Schultern.

      »Na komm, Junge, schütte mir dein Herz einfach aus, ja?«

      Stefan hob den Blick. »Es ist schon komisch, daß ich ausgerechnet dir das alles erzählen soll, wo ich noch vor gar nicht so langer Zeit schrecklich eifersüchtig auf dich gewesen bin.«

      Dr. Scheibler lächelte. »Das ist vorbei.«

      Stefan

Скачать книгу