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dann ließ er sich von Schwester Bianca die keimfreien Handschuhe überstreifen. Ein wenig besorgt runzelte er die Stirn.

      »Haben Sie denn Erfahrung im OP?« wollte er wissen.

      Bianca nickte. »Vor meinem Eintritt in die Waldsee-Klinik habe ich immer wieder als OP-Schwester ausgeholfen.« Sie zuckte die Schultern. »Aber selbst wenn es nicht so wäre… Petra wird in der Chirurgie gebraucht.«

      Dr. Daniel nickte. »Ich weiß. Die haben drüben gerade einen schwierigen Eingriff.« Er seufzte. »Eine OP-Schwester ist fast zu wenig für diese Klinik.«

      »Aber zwei sind zuviel«, mischte sich die Gynäkologin Dr. Alena Kern ein, die heute die Erste Assistenz hatte und nun unbemerkt hinzugetreten war. »Schließlich kommt es nur selten vor, daß zeitgleich sowohl hier als auch drüben eine Operation stattfindet.«

      »Da haben Sie auch wieder recht«, stimmte Dr. Daniel zu. »Also, dann wollen wir mal ans Werk gehen.«

      Zusammen mit Alena und Schwester Bianca trat er an den Operationstisch. Marita Fendt lag in Narkose, ihr ganzer Körper war mit sterilen Tüchern abgedeckt, nur das Operationsfeld lag frei. Dr. Daniel streckte die rechte Hand aus.

      »Skalpell.«

      Er nahm den Bauchschnitt vor, während Alena ihm dabei hilfreich assistierte.

      »Absaugen«, verlangte Dr. Daniel, dann begann er, die gestielte Zyste aus dem Eierstock zu schälen.

      »Robert, es gibt Probleme«, meldete sich die Anästhesistin Dr. Erika Wieland zu Wort. »Die ausgeatmete Luft der Patientin enthält einen stark erhöhten Gehalt von Kohlendioxyd.«

      Alarmiert blickte Dr. Daniel auf. »Das ist doch nicht möglich.« Er trat zum Kopfende des Operationstisches.

      »Die Frau glüht«, fuhr Erika fort. »Ihre Körpertemperatur ist innerhalb weniger Minuten auf über vierzig Grad angestiegen.«

      Dr. Daniels Hirn arbeitete fieberhaft. Der rapide Temperaturanstieg konnte nichts mit dem Eingriff zu tun haben. Und dann kam plötzlich die Erinnerung an eine Operation, die er als Assistenzarzt in der

      Thiersch-Klinik miterlebt hatte. Damals waren genau die gleichen Symptome aufgetreten, aber Professor Thiersch war nicht erreichbar gewesen, und der damalige Oberarzt hatte die falsche Entscheidung getroffen. Die Patientin war dann gestorben.

      »Sofort die Narkose abbrechen!« befahl Dr. Daniel, dann fuhr er zu Schwester Bianca herum. »Holen Sie Eis. Wir müssen die Patientin von Kopf bis Fuß in Eis packen.«

      »Die Temperatur liegt jetzt bei 41,2 Grad«, gab Erika Auskunft, doch das hörte Dr. Daniel nur am Rande. Er war damit beschäftigt, Marita in einen künstlichen Tiefschlaf zu versetzen.

      »Beenden Sie die Operation, Alena«, ordnete er nebenbei an.

      Die junge Gynäkologin nickte, doch ihre Hände zitterten, als sie versuchte, die Zyste zu entfernen. Eine solche Ausnahmesituation hatte sie noch nie erlebt.

      »41,5 Grad«, erklang da Erikas Stimme. »Beginnende Azidose.« Dann fügte sie in beschwörendem Ton hinzu: »Robert, die Frau stirbt uns weg!«

      »Haben Sie die Narkosezufuhr gestoppt?« wollte Dr. Daniel wissen.

      »Ja, aber die Temperatur steigt trotzdem weiter.« Mit weitaufgerissenen Augen starrte sie Dr. Daniel an. »Robert, ich habe so etwas einmal in Amerika erlebt. Der Mann

      litt an maligner Hyperthermie. Er ist gestorben.«

      »Frau Fendt wird nicht sterben«, erklärte Dr. Daniel fest. »Injizieren Sie der Patientin intravenös eine 8,4prozentige Natriumbikarbonat-Lösung entsprechend Defizit. Wie Sie den Natrumbikarbonat-Bedarf errechnen müssen, wissen Sie?« Er wartete Erikas Nicken ab, dann wandte er sich Alena zu. »Reißen Sie sich zusammen, Alena! Sie dürfen den Eierstock der Patientin nicht verletzen! Ich habe die Zyste schon fast herausgeschält. Bringen Sie nur zu Ende, was ich begonnen habe, und dann schließen Sie die Wunde. Der Temperaturanstieg der Patientin braucht Sie nicht zu kümmern. Sie haben nur den Eingriff zu beenden.«

      Alena fühlte, wie ihr der Schweiß ausbrach. Noch nie hatte Dr. Daniel in einem solchen Ton mit ihr gesprochen. Doch die Schärfe in seiner Stimme bewirkte, daß sich Alena ihrer Pflicht wieder bewußt wurde. Sie versuchte zu vergessen, daß sich die Patientin vor ihr an der Schwelle zwischen Leben und Tod befand. Konzentriert führte sie die Operation weiter, während Dr. Daniel begann, die Patientin in das Eis zu packen, das Schwester Bianca herangefahren hatte.

      »Was macht die Azidose?« erkundigte er sich nebenbei.

      »Die Muskelverkrampfungen lassen nach«, antwortete Erika mit bebender Stimme. »Temperatur liegt noch immer bei 41,5 Grad.«

      »Geben Sie der Patientin hundertprozentigen Sauerstoff«, ordnete Dr. Daniel an, »und bereiten Sie eine Infusion mit Dantrolen-Natrium vor.« Er überlegte einen Moment. »Schnelle Infusion von fünfzig Milligramm Wirkstoff – vorerst einmalig.«

      Mit einem raschen Seitenblick stellte er fest, daß Alena dabei war, die Operation zu beenden. Sie machte bereits die Naht und arbeitete dabei so ruhig, als würde die Frau vor ihr nicht im Sterben liegen.

      »Ich brauche mehr Eis«, wandte sich Dr. Daniel an Schwester Bianca, dann sah er zu Erika hinüber. »Temperatur?«

      »41,5 Grad.«

      »Stabil«, murmelte Dr. Daniel.

      Dann kam Schwester Bianca im Laufschritt in den Operationssaal geeilt.

      »Mehr Eis ist nicht da«, keuchte sie, während sie Dr. Daniel die letzten Eisbeutel überreichte.

      »Das wird reichen.«

      Inzwischen hatte Alena die Operation zu Ende gebracht und einen Verband angelegt. Dr. Daniel bedeckte auch die letzten Körperpartien mit kühlendem Eis, dann kontrollierte er selbst die Temperatur der Patientin.

      »41,3.« Erleichtert atmete er auf. »Die Temperatur sinkt.« Er sah Erika, Alena und Schwester Bianca an. »Ich glaube, wir haben’s geschafft, meine Damen. Trotzdem wollen wir kein Risiko eingehen. Wir werden die Patientin weiterhin künstlich beatmen. Falls sich nochmals Symptome zeigen sollten, muß Frau Fendt erneut fünfzig Milligramm Dantrolen-Natrium bekommen. Vor einer dritten Gabe möchte ich aber, daß mit mir Rücksprache genommen wird.« Er warf einen Blick auf die Uhr. Eine Stunde war vergangen, seit er den Operationssaal betreten hatte, und was war in dieser einen Stunde alles passiert!

      »Bringen wir die Patientin auf Intensiv«, ordnete er an, und erst in diesem Moment nahm er seine eigene Erschöpfung wahr. »An-schließend möchte ich Sie alle in meinem Büro sehen.«

      Es dauerte nicht einmal eine Viertelstunde, bis das Operationsteam in Dr. Daniels Zimmer versammelt war.

      »Ich möchte Ihnen meine Anerkennung aussprechen«, erklärte Dr. Daniel ohne große Vorreden. »Was Sie alle heute geleistet haben, war erstklassige Arbeit.«

      »Nein, Robert«, widersprach Erika. »Der einzige, der die Nerven behalten hat, waren Sie. Alena hätte den an sich einfachen Eingriff beinahe nicht zu Ende bringen können, und ich wäre fast durchgedreht, weil ich immer an den Mann denken mußte, der uns damals in den Staaten auf dem Tisch weggestorben ist.«

      Alena nickte zustimmend. »Erika hat recht. Wenn Sie nicht gewesen wären, dann wäre die Patientin jetzt tot.«

      Dr. Daniel lehnte sich auf seinem Sessel zurück. »Maligne Hyperthermie ist eine sehr seltene Narkose-Komplikation. Rein statistisch tritt sie bei rund vierzigtausend Operationen nur einmal auf, und sie endet dann meistens tödlich. Daß es uns heute gelungen ist, Frau Fendt am Leben zu erhalten, verdanken wir Professor Thiersch. Auch in seiner Klinik ist einmal ein solcher Fall aufgetreten. Damals war ich noch Assistenzarzt, und die Frau ist während der Operation gestorben. Professor Thiersch war zu diesem Zeitpunkt nicht erreichbar, aber er hat uns alle am nächsten Tag in sein Büro zitiert und uns einen Vortrag darüber gehalten, wie angesichts einer solchen Komplikation reagiert werden muß.« Er sah Alena an. »Sie kennen den Professor und können sich daher sicher

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