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      »Willst du dich nicht erklären, Mutter?«, fragte Eric.

      Sie schüttelte leicht den Kopf.

      »Wenn ich störe …«, begann Dorrit, doch die Ältere fiel ihr ins Wort.

      »Sie stören nicht, mein Kind«, entgegnete sie rau. »Sie sind so selbstlos, wie dieser Mann egoistisch war. Glücklich wurde er nicht. Ihnen wünsche ich, dass Sie sehr glücklich werden, obgleich Sie keine guten Erinnerungen mitnehmen können.«

      »O doch, das werde ich«, erwiderte Dorrit leise. »Ich durfte Sie kennenlernen. Dieser alte Mann hätte mich nicht erschreckt, wäre es nicht so dunkel gewesen. Er war so hilflos. Er tat mir leid, als er auf der Erde kniete und so voller Angst war.«

      »Er hatte fünfzig Jahre Angst, endlose Angst, weil die Zeit für ihn nicht fortschritt. Ich möchte nicht wissen, wie oft er da droben im Wald herumirrte, um nach Erlenhof zu gelangen. Ach, lassen wir das jetzt. Miss Dorrit verlässt uns morgen, und sie soll diese düstere Stunde nicht in Erinnerung behalten. Trinken wir darauf, dass alles ein gutes Ende nimmt.«

      Alles – wie viel war in diesem Wort enthalten?

      *

      Am nächsten Morgen brachen Mary-Ann Ride und Dorrit Maxwell früh auf.

      Eric kam, um sich zu verabschieden. Er verneigte sich tief vor Dorrit.

      »Ich hoffe doch, dass wir uns wiedersehen«, erklärte er. »Ich will Sie nicht entlohnen, ich möchte Ihnen danken.«

      »Ich wünsche Ihnen viel Glück, Mr Ride«, sagte sie verhalten.

      Ruhig, als hätte sie nicht eine schlaflose Nacht hinter sich, steuerte Mary-Ann den Wagen nach Hohenborn.

      »Sie sind bewundernswert«, konnte Dorrit sich nicht versagen festzustellen.

      »Guter Gott, warum denn? Ich lebe, und solange ich lebe, möchte ich auch dabei sein und das Alter nicht resigniert betrachten.«

      »Es kommt auf das Herz an, und Ihr Herz ist jung«, bemerkte Dorrit.

      »Schade, dass wir nicht viel mehr Zeit füreinander hatten«, äußerte Mary-Ann bedauernd. »Ich würde Sie gern noch besser kennenlernen. Bitte, kommen Sie doch noch einmal zum Erlenhof zurück.«

      Dorrit schüttelte leicht den Kopf.

      »Nein, ich glaube, es ist besser, ich erstatte Ihnen schriftlich oder telefonisch Bericht.«

      Mary-Ann ging nicht darauf ein.

      »Ich rechne noch mit Komplikationen«, fuhr sie fort. »Jacky hat einen richtigen Vater, und dieser ist am Leben. Ob man ihn erreichen konnte, ob er kommt und Interesse an dem Kind zeigt, ist eine andere Frage. Aber vielleicht könnte man ihn mit einem angemessenen Betrag veranlassen, auf das Kind zu verzichten. Ich werde Ihnen für alle Fälle einen Blankoscheck mitgeben, Dorrit.«

      »Einen Blankoscheck? O nein!« Sie hob abwehrend die Hand. »Sie kennen mich kaum, Mrs Ride. Ich könnte damit durchbrennen.«

      »Sie brennen nicht durch«, stellte die alte Dame gelassen fest.

      »Danke für die gute Meinung. Aber es gäbe noch andere Möglichkeiten, die mir recht gefährlich erscheinen. Ich könnte ihn verlieren, er könnte mir gestohlen werden. Nein, es wäre mir in jedem Fall zu unsicher.«

      »Sie sind sehr vorsichtig und sehr zuverlässig, Dorrit. Das gefällt mir. Sie könnten einen verantwortungsvollen Posten bekleiden, der Sie mehr ausfüllt als Ihre bisherige Tätigkeit. Lassen Sie es sich einmal durch den Kopf gehen.«

      Es war ein verlockendes Angebot, für die Rides arbeiten zu können. Aber das wollte Dorrit sich wirklich lieber durch den Kopf gehen lassen, denn in ihrem Innern herrschte Aufruhr.

      Sie hatten Hohenborn erreicht. Am Marktplatz stand der Wagen mit dem Chauffeur. Die Zeit war gekommen, von Mrs Ride Abschied zu nehmen.

      Die alte Dame hatte eine sehr taktvolle Art, die unvermeidliche finanzielle Abmachung zu überspielen.

      »Dies hier nehmen Sie bitte als ein kleines Andenken an uns«, sagte sie und gab Dorrit eine wunderschöne, wertvolle Handtasche. »Was Sie brauchen, befindet sich darin. Nun wollen wir uns den Abschied nicht schwer machen, mein Kind. Vielleicht bringt Jacobs Sie wieder mit zurück. Es würde mich sehr freuen. Sie sind uns herzlich willkommen.«

      Dorrit fühlte sich umarmt und spürte, wie ihre Augen zu brennen begannen.

      Schnell stieg sie in den anderen Wagen um und winkte Mrs Ride noch einmal zu. Dann begann die Reise ins Ungewisse.

      *

      Mrs Ride fuhr nicht gleich zurück. Sie suchte Dr. Rückert auf, bei dem sie sich schon angemeldet hatte.

      »Nun, haben Sie noch etwas in Erfahrung gebracht?«, fragte sie den Anwalt.

      »In beiden Angelegenheiten«, erklärte er.

      »Beginnen wir mit Jacky«, schlug sie vor.

      Er hielt sich nicht lange bei der Vorrede auf. Er kannte Mrs Ride bereits so gut, dass er wusste, wie wenig sie Umschreibungen liebte.

      »Jackys Vater heißt Bob Dane und scheint recht vermögend zu sein. Er ließ sich scheiden, als Jacky ein Jahr war.«

      »Er ließ sich scheiden, und sie bekam das Kind zugesprochen?«, fragte sie erstaunt.

      »Nein, sie bekam es nicht zugesprochen. Sie verschwand mit Jacky aus England, wo sie mit dem Kind und ihrem ersten Ehemann gelebt hatte. Sie war ständig unterwegs, bis sie dann mit ihrem dritten Ehemann nach Australien ging. Mehr weiß ich noch nicht.«

      »Dann gab es offenbar noch einen vierten Ehemann«, murmelte Mrs Ride. »Und dieser Mr Dane, dessen Name sie ja noch trägt? Was ist mit ihm?«

      »Er ist seit drei Jahren wieder verheiratet und hat einen zweijährigen Sohn.«

      »Dann können wir ja hoffen«, meinte sie. »Ich sage das im Interesse meines Sohnes. Nun zu Titus Grossmann. Hat er seinem Neffen das Land überschrieben?«

      Dr. Rückert zögerte. »Ich darf Ihnen darüber keine Auskunft geben, Mrs Ride«, erklärte er bedauernd.

      »Aber Sie können mir doch ein paar Fragen beantworten. Ich will ihm das Land nicht wegnehmen, das eigentlich meinem verstorbenen Mann gehörte, aber wenn er die Stirn hat, es Eva vorzuenthalten, schieße ich zurück. Schließlich hat Frederic es ihm damals nur verpachtet, weil Titus kein Geld hatte, und mitnehmen konnten wir das Land ja nicht. Aber ich will ihm nicht Unrecht zufügen. Er wusste nicht, wo wir zu finden waren. Er hat unsere Briefe nie bekommen.«

      »Nun, ich denke, er wird Ihnen den heute angemessenen Preis dafür zahlen«, stellte Dr. Rückert fest.

      »Ich will kein Geld. Uns geht es allein um Eva. Gut, das werde ich am besten mit ihm selbst in Ordnung bringen. Besuchen Sie uns doch einmal wieder mit der Familie, Dr. Rückert. Wir freuen uns.«

      *

      Auf dem Rückweg fiel es ihr ein, dass sie bei Grossmann vorbeifahren könnte. Es lag am Weg.

      Sie traf ihn nicht an, aber Eva und Käti waren da. Endlich konnten sie sich ungestört unterhalten. Mary-Ann machte den Vorschlag, dass sie mit zum Erlenhof kommen sollten, aber Käti fürchtete, dass Titus Grossmann überraschend zurückkehren würde.

      Eva fuhr jedoch mit. Sie hatte nicht lange überlegt. Sie war sehr viel selbstbewusster geworden, und Mary-Ann fand es an der Zeit, dass sie Eric kennenlernte.

      Der unterhielt sich indessen mit Freddy und Tracy, während Jacky sich hatte überreden lassen, mit Manuel und Bambi zu spielen.

      »Hättet ihr etwas dagegen, wenn ich Jacky adoptiere?«, hatte Eric Ride ohne Umschweife gefragt.

      »Du bist erwachsen, Dad«, stellte Freddy fest. »Es ist deine Entscheidung, sofern sich nicht Schwierigkeiten ergeben.«

      »Ihr wäret mir nicht böse?«, erkundigte er sich.

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