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lebte in Frankreich und wusste nicht, dass ich sehr klein war. Jedes Jahr bekam ich einen Schlafanzug, und zwar in der Größe, die in meinem Alter hätte passen sollen. Theoretisch. Praktisch ging ich regelmäßig in den Riesendingern unter und habe sie gehasst. Nicht die Patentante, sondern diese viel zu großen Schlafanzüge. Damals hätte ich gern alle Pyjamas der Welt gegen eine Gitarre getauscht.

      »Tja, Weihnachten ist wie das Leben: Viele Wünsche bleiben unerfüllt«, bemerkt Corinne. Sie klingt ein wenig traurig.

      Um sie abzulenken, erzähle ich nun munter von Irene: »Meine Schwiegermutter schenkt mir jedes Jahr irgendetwas extrem Nützliches für den Haushalt. Von der Schubladen-Ordnungsbox für Socken über den Abflussstöpsel mit Smiley-Aufdruck bis zum zehnteiligen Türhakenset als Aufhängeeinrichtung habe ich schon ziemlich alles Mögliche und Unmögliche von ihr bekommen.«

      Corinne erwidert: »Wahrscheinlich sind diese Geschenke sogar ein Zeichen der Liebe. Sie schenkt dir Dinge, die sie selber wertvoll und nützlich findet und in ihrem Haushalt verwendet. Vielleicht kommen sie nur bei dir falsch an, weil du ihren Wert nicht erkennst, du Banause. Aus dir wird nie eine richtige Hausfrau.«

      Möglich.

      Asche, Asche, Asche

      »Für die Mädchen kann ich diesmal die Geschenke im Internet bestellen. Sie wollen beide einen E-Book-Reader«, plaudere ich weiter. »Du weißt, wir sind Leseratten, und Bücher wird es in unserem Hause auch weiterhin geben. Trotzdem sehe ich auch die Vorteile eines solchen Readers: So ein kleines Leichtgewicht kann massenhaft Bücher laden. Man kann eine ganze Bibliothek in der Handtasche mitführen. Fantastisch! Und ich werde noch ein paar Gutscheine für die ersten E-Books dazukaufen.«

      Jetzt stürmen ein paar Kundinnen in Corinnes Geschäft. Sie sehen kauffreudig und finanzkräftig aus. Also verabschiede ich mich schnell mit einer kurzen Umarmung von meiner Schwester.

      »Es gibt auch auf den Malediven Internet. Also schreib mal«, fordert sie mich auf. »Du darfst auch ruhig bei mir über Weihnachten jammern, wenn ich dir ein paar Fotos von Sonnenuntergängen über dem Meer schicken darf.«

      Ich gebe ihr einen liebevollen Klaps und gehe lachend davon.

      Paul macht es mir jedes Jahr leicht: Er schreibt eine Bücherwunschliste. Und ich halte mich daran. In Luzern steht meine Lieblingsbuchhandlung, Stocker. Ich spaziere durch die Altstadt auf das Geschäft zu. Vor meinem geistigen Auge schreite ich in meiner nachtblauen Robe über die Pflastersteine, mein blondes Haar kunstvoll frisiert. Prinzessin Sonja. Corinne wird mir das Kleid in einer schönen, großen Schachtel schicken, sorgfältig verpackt. Sie wollte es mir nicht in den Zug mitgeben.

      Aus allen Schaufenstern schreit mir Weihnachten entgegen.

      Eine einzige Aufforderung: Leute, kauft, kauft, kauft!

      Ein leichter Nieselregen verdirbt mir meinen Schaufensterbummel. Der Wind, der durch die Gassen zieht, ist eisig und schmerzt, auch wenn ich meinen Schal ins Gesicht ziehe. Die Menschen gehen zielstrebig und mit angestrengten Mienen ihren Weg. Ein Straßenmusiker haucht in seine gefrorenen Hände, nimmt dann die Gitarre und spielt und singt unerschrocken weiter. Seine rote Nase läuft.

      Im Buchhaus Stocker ist es warm und trocken. In der Luft liegt ein klebriger Soundteppich mit Weihnachtsmusik. Trotzdem fühle ich mich wohl. Bücher begeistern mich. Paul ist genauso.

      Ich versuche, mich auf Pauls Wunschliste zu konzentrieren, denn überall lachen mich Bücher an, die mich interessieren würden. Aber weil ich mit dem Zug nach Luzern gekommen bin, ist es mir nicht möglich, beliebig viele Bücher heimzuschleppen. Ich kaufe also diszipliniert ein, belasse es weitgehend beim Durchblättern und Bestaunen der Bücherpracht und mache mich dann auf den Heimweg.

      8

      Noch 16 Tage bis zum Weltuntergang.

      Da ich nicht wirklich damit rechne, packe ich Geschenke ein und bereite mich auf die Zeit danach vor: Weihnachten. Ich bin nicht sonderlich begabt im Umgang mit Glanzpapier und Schleifchen. Immerhin muss ich für Paul nur Bücher einpacken.

      »Bücher, Bücher, Bücher …«, spottet Lilly, die gerade vom Training heimkommt und auf dem voll belegten Küchentisch eine Ecke sucht für ihren Tee und eine Banane. »Papa könnte doch auch langsam in der Neuzeit ankommen und sich einen Reader anschaffen.«

      »Könnte er«, antworte ich, »muss er aber nicht.«

      Ich mag es, Bücher anzufassen, anzuschauen, ja sogar zu riechen. Ich kann Paul verstehen.

      »Was wünschst du dir eigentlich?«, fragt Lilly mich, nicht zum ersten Mal.

      Soll ich ihr sagen, dass ich mir den Januar wünsche, und zwar sofort?

      »Einen cremigen Badezusatz, die neue CD von Nena und die von Celine Dion …« Mehr fällt mir gerade nicht ein. »Ich bin doch wirklich kein schwieriger Fall«, lache ich Lilly aus. »Ich wüsste dafür gern, was man Irene schenken könnte.«

      Lilly denkt kurz nach und erklärt dann: »Ich habe neulich gesehen, dass ihre Bratpfanne total zerkratzt ist. Das ist mega-ungesund. Wieso schenkst du ihr nicht eine neue?«

      Ein Lächeln erhellt mein Gesicht. Ein breites, zufriedenes Lächeln.

      Eine Bratpfanne!

      Da wird sich meine Schwiegermutter bestimmt freuen!

      Lilly beobachtet mich schweigend eine Weile beim Einpacken und meint dann: »Mama, du verwendest das hässlichste Geschenkpapier weit und breit.«

      Stimmt.

      Ich kann einfach nicht anders.

      Wenn ich beim Einkaufen vor dem Regal mit dem Packpapier stehe und den ganzen grässlichen Kitsch sehe, greife ich immer in die Vollen. Wenn schon, denn schon.

      »Was ist an diesen Engeln mit Harfen nicht in Ordnung? Und an den kleinen Hunden mit den großen Schleifen um den Hals?«, frage ich mit unschuldigem Blick.

      Lilly schüttelt nur den Kopf über mich.

      »Du weißt, Mama, dass wir seit zehn Jahren den gleichen Weihnachtswunsch haben, Amelie und ich, und ihr diesen jedes Jahr aufs Neue ignoriert? Nur, damit es nicht irgendwann heißt, wir hätte nie mehr was gesagt.«

      Gut, das Geschenkpapier mit den Hunden hätte ich vielleicht nicht kaufen sollen …

      »Lilly, bitte, nicht wieder dieses Thema. Sobald ihr eine eigene Wohnung habt, könnt ihr euch tausend Tiere anschaffen. Und glaub mir, das wird bald sein.«

      »Du nimmst mich nicht ernst.«

      Dieser Satz musste ja kommen.

      Stimmt. Ihren Wunsch nach einem Hund will ich nicht ernst nehmen. Wer sollte denn auf das Tier aufpassen, wenn Paul und ich arbeiten und die beiden in der Schule sind? Und an wem würde die Arbeit hängen bleiben, die ein Tier macht, wenn die erste Begeisterung verflogen ist? Ich bin so froh, dass Paul über Hunde denkt wie ich: Kommt nicht infrage!

      Wir haben ja schon einen Wellensittich und zwei Hamster überlebt und nach vielen Dramen zu Grabe getragen. Das mit dem Wellensittich war der Hammer: Die Kinder waren auf Klassenfahrt, als er einfach von seiner Stange fiel. Also habe ich ihn begraben. Die Mädchen kamen heim, merkten nicht einmal, dass der Vogel fehlte. Sie hatten sich eh nie um ihn gekümmert und setzten immer voraus, dass ich ihn füttern und versorgen würde. Amelie und Lilly merkten erst nach einer geschlagenen Woche, dass der Vogel nicht mehr da war. Und dann kam das riesengroße Wehklagen. Paul und ich hatten allerdings nicht besonders viel Mitleid mit den Trauernden.

      Auch die Hamster haben eine traurige Geschichte: Der eine wurde von einem Nachbarshund totgebissen. Er war im Garten, eingezäunt zwar, aber leider nicht zugedeckt. Der andere verschwand einfach, ebenfalls im Garten, auf Nimmerwiedersehen. Wir mussten stundenlang nach ihm suchen, und die Kinder hängten sogar Plakate auf im Viertel: Hamster vermisst. Wir bekamen zahlreiche Anrufe von Leuten, die uns zu gern ihren Hamster geschenkt hätten. Aber Paul und ich hatten genug und beschlossen: Keine Haustiere

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