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Stirn. »Aber dein Onkel hat doch das Haus gemietet. Die Frau des Sheriffs hat’s meiner Grandma erzählt.«

      Er setzte sich neben mich auf das Sofa und lächelte. »Ich musste ein bisschen tricksen, weißt du? Die Maklerin hätte mir das Haus bestimmt nicht gegeben, wenn sie gewusst hätte, dass ich allein hier wohnen werde.«

      »Aber wie …« Sein Blick ließ mich verstummen und ich seufzte. »Also hast du überhaupt keinen Onkel.«

      »Das habe ich nicht gesagt.«

      Obwohl ihm das Thema eindeutig unangenehm war, konnte ich nicht anders und fing an zu kichern.

      Er sah mich fragend an.

      »Ich habe mir nur gerade vorgestellt, dass du ihn im Keller versteckst, weil er in Wahrheit ein uralter, furchtbar lichtempfindlicher Vampir ist«, erklärte ich noch immer lachend. »Eigentlich hätte ich mir das ja denken können, so perfekt, wie du bist, dass du aus so einer Familie stammst. Und wenn ich richtigliege, kannst du es mir ja jetzt auch sagen, oder?« Ich grinste.

      »Vampire. Was für ein Quatsch«, brummte er und runzelte die Stirn. »Und perfekt? Pah, ich bin alles andere als das. Und wenn du mich besser kennen würdest, dann wüsstest du das auch.« Die Falte auf seiner Stirn vertiefte sich.

      »Doch, bist du. Du kannst im Dunkeln sehen und du hast Doug ganz locker besiegt.«

      »So locker war das mit ihm gar nicht. Wie ich schon sagte, ich hatte einfach nur Glück, dass er auf meine Tricks reingefallen ist. Und das mit der Dunkelheit habe ich dir auch schon erklärt.«

      »Und wie bist du gestern Abend aus unserem Haus rausgekommen?«

      Jetzt grinste er. »Ich dachte, du hast vielleicht keine Lust, deiner Grandma zu erklären, was ein Typ um diese Uhrzeit bei euch zu Hause treibt, und da habe ich mich im Bad versteckt und gewartet, bis ihr in die Küche gegangen seid. Und dann bin ich ganz leise durch die Haustür raus.« Offenbar fürchtete er, ich würde ihm nicht glauben, denn er erzählte mir, worüber Gran und ich gesprochen hatten.

      Nein, er war nicht als Fledermaus aus dem Fenster geflogen.

      »Und was meinen Onkel betrifft«, seine Miene verdüsterte sich wieder, »ja, es gibt ihn, aber wir verstehen uns einfach nicht besonders. Doch ich schwöre dir, er ist kein Vampir und ich bin auch keiner. Hoffentlich bist du jetzt nicht enttäuscht?«

      »Nicht im Geringsten.«

      »Gut, und falls du noch Zweifel hast … ich bin absolut feuerfest.« Die Sonne schien durch die Fenster und ließ seine hellen Strähnen just in diesem Moment aufleuchten. »Kreuze machen mir übrigens genauso wenig aus.«

      »Und Knoblauch oder Blut?«, ging ich auf sein Spiel ein.

      Er schmunzelte. »Hmmh, Knoblauch esse ich gelegentlich, bei Blut bin ich eher abstinent.«

      Nachdem wir noch eine Weile so herumgealbert hatten, begannen wir mit unseren Hausaufgaben, auch wenn ich nicht wirklich Lust darauf hatte. Nachdenklich kaute ich an meinem Kugelschreiber und starrte auf die Zahlen vor mir. Es fiel mir schwer, mich auf Mathe zu konzentrieren, wenn er mir so nahe war.

      Etwas traf mich am Kopf und ich schreckte auf.

      »Hey, hör auf zu träumen.« Er hatte einen zusammengeknüllten Zettel nach mir geworfen. »Je eher wir mit dem Zeug hier fertig sind, desto früher können wir was anderes machen.«

      Ich spürte, wie meine Wangen warm wurden. Am liebsten hätte ich das andere sofort gemacht.

      Er erriet meine Gedanken offenbar, denn er seufzte. »Danach wäre mir auch mehr, aber leider …« Er vertiefte sich wieder in sein Buch und so riss auch ich mich zusammen und begann, die erste Aufgabe zu lösen.

      Zwei Stunden später streckte sich Cassian. »Wie sieht’s bei dir aus?«

      Stöhnend klappte ich mein Biologiebuch zu. »Fertig. Und zwar fix und fertig!«

      »Das ist aber schade, dann bist du bestimmt auch für meine Überraschung zu müde, oder?«

      Augenblicklich kehrten meine Lebensgeister zurück. »Was für eine Überraschung?«

      »Wenn ich dir das jetzt verrate, ist es ja keine mehr.«

      »Ach, komm schon. Was ist es?«

      »Wart’s ab!«, murmelte er geheimnisvoll und erhob sich.

      Zunächst sah es aus, als würden wir einen ganz normalen Spaziergang machen. Wir liefen an einem kleinen See vorbei, der etwas entfernt vom Haus mitten im Wald lag und den ich noch nie zuvor wahrgenommen hatte. Doch heute blieb ich stehen und betrachtete die schimmernden Lichtreflexe, die die Herbstsonne auf die Wasseroberfläche malte. Alles wirkte wie verzaubert und ich rechnete fast damit, dass ein farbenprächtiges Seeungeheuer aus der smaragdgrünen Tiefe auftauchen würde.

      Cassian lächelte. »Wenn dich der See schon so fesselt, wird dir meine Überraschung hoffentlich genauso gefallen.«

      Während wir weiter händchenhaltend durch den Wald spazierten, sog ich die würzige, klare Luft ein. Die Sonne hatte nicht nur den See verwandelt, sie ließ auch das bunte Laub um uns herum in den schönsten Farben leuchten und ich fühlte mich beinahe wie in einem meiner Träume.

      Irgendwann bogen wir auf einen kleinen Pfad ein und ich entdeckte ein verwittertes Schild. Jetzt war mir klar, wohin wir unterwegs waren, und etwa zwanzig Minuten später tauchte vor uns tatsächlich die zerklüftete Felsenlandschaft auf, die ich erwartet hatte. Ich kannte das Gebirge, weil wir früher mit der Schule in dieser Gegend gewandert waren, und rechnete damit, dass wir daran vorbeigehen würden, doch er hielt genau auf den Berg zu.

      »Du willst aber nicht da rauf, oder?«, erkundigte ich mich und warf einen skeptischen Blick auf die scharfkantigen Steine. Ich hatte zwar nicht direkt Höhenangst, aber Klettern war nicht so mein Ding.

      »Hast du etwa Angst?« Herausfordernd grinste er mich an.

      »Na ja …«

      »Keine Sorge, wir müssen nur ein kleines Stück da hoch.« Er deutete auf einen kaum sichtbaren Felsvorsprung und während ich noch überlegte, wie hoch das »kleine Stück« wohl war, hatte er bereits die Plattform erklommen, die darunter lag. Er hockte sich hin und streckte mir seine Hand entgegen.

      Ich zögerte und sah auf meine eigenen, verbundenen Hände.

      »Keine Sorge. Ich pass auf deine Hände auf«, versprach er. »Komm. Du schaffst das locker.«

      Daran zweifelte ich, aber schließlich wollte ich nicht als Feigling dastehen, also streckte ich zaghaft meine Hand aus.

      Als sich seine Finger um mein Handgelenk schlossen, wollte ich meine Füße in eine der Felsspalten setzen, die ich unter dem Vorsprung entdeckt hatte. Doch ehe ich dazu kam, hatte er mich schon zu sich heraufgezogen.

      »Gut gemacht«, lobte er mich und als seine Lippen meine Stirn berührten, verschwand das mulmige Gefühl in meinem Magen schlagartig. Ich hoffte, er würde mich richtig küssen, doch zu meinem Bedauern ließ er mich wieder los.

      Diesmal war ich zuerst dran. Er hielt mir seine ineinander verschränkten Hände hin. Ich trat mit meinem rechten Fuß hinein und hielt mich an ihm fest, während er mich ohne Mühe so hoch hob, dass ich den Felsüberhang darüber erreichte.

      »Es ist gleich geschafft«, hörte ich im nächsten Moment seine ruhige Stimme an meinem Ohr.

      »Wie hast du das gemacht?«

      Für mich hatte die Wand vollkommen glatt ausgesehen, sodass es ohne Hilfe eigentlich unmöglich schien, auf den Überhang hochzukommen.

      »Geklettert«, erwiderte er fröhlich. »Ich heb dich jetzt hoch und dann stützt du dich mit den Händen auf die Kante, aber das meiste mache ich, okay? Keine Sorge, ich halte dich die ganze Zeit fest.«

      Ich fühlte seine Hände auf meiner Hüfte und schon hatte er mich hochgehoben. So gut ich konnte, stemmte ich mich nach oben und landete ziemlich unsanft auf meinem Hintern. Schnell

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