Скачать книгу

noch bei mir. Er hat mir mit seiner rauen Zunge übers Gesicht geleckt und es hat schrecklich gekitzelt. Ich musste lachen. Aber vorher hat er gewinselt, ich meine, bevor ich die Augen aufgemacht habe. Ich glaube, er hatte Angst um mich.« Ich holte tief Luft. »Er hat mir das Leben gerettet. Und egal, was alle sagen, ich habe ihn mir nicht eingebildet. Er war da!« Die letzten Worte kamen fast trotzig und diesmal sah ich ihn herausfordernd an, bereit für seinen Spott.

      Doch seine Miene war unverändert, weder überrascht noch ungläubig, nur aufmerksam. »Deine Eltern haben dir nicht geglaubt?« Auch sein Ton war vollkommen sachlich.

      Ich nickte. »Er ist weggelaufen, als er sie gehört hat. Und sie nahmen einfach an, ich hätte Glück gehabt und wäre durch die Strömung ans Ufer gespült worden. Ich hatte sogar Verletzungen von seinen Krallen, aber der Arzt im Krankhaus hat nur gemeint, ich hätte sie von dem Sturz. Er hat meinen Eltern gesagt, ich würde den Unfall mithilfe meiner Fantasie verarbeiten und hätte den Wolf deshalb erfunden.« Ich verzog mein Gesicht. »Und du denkst jetzt bestimmt auch, ich spinne, nicht?«

      Zu meiner Überraschung schüttelte er den Kopf. »Du machst auf mich einen ziemlich normalen Eindruck.«

      »Aber nicht mal meine Eltern haben mir das geglaubt«, wiederholte ich, als wäre er schwer von Begriff. Ungeduldig stellte ich meine Teetasse auf den Tisch. Er konnte das unmöglich ernst meinen.

      »Sie waren einfach nur froh, dass es dir gut ging.« Es hörte sich an, als wollte er sie entschuldigen.

      »Aber …«

      »Es gibt viele Dinge, die die Menschen nicht verstehen und auch nicht bereit sind zu glauben.« Er beugte sich vor und sah mich mit ernster Miene an. »Aber ich glaube dir, Celia …«

      Die Art, wie er meinen Namen aussprach, brachte meinen Magen erneut zum Kribbeln.

      »… alles, was du sagst. Dass dir ein Wolf als Kind das Leben gerettet hat und auch, dass er heute im Wald war und dich begleitet hat.«

      Er sagte die Wahrheit. Ich konnte es in seinen Augen erkennen. Nur wieso tat er das?

      Ich wollte ihn danach fragen, doch ich brachte keinen Ton heraus. Sein Gesicht war meinem jetzt so nahe wie an dem Abend vor Grandmas Haus. Nur noch ein winziges Stück und dann …

      Er lehnte sich zurück. »Möchtest du noch Tee?« Seine Stimme klang eigenartig rau und bevor ich antworten konnte, war er aufgestanden und hatte das Wohnzimmer verlassen.

      Er war ein absolutes Rätsel für mich. Warum benahm er sich so eigenartig? Erst lieb und mitfühlend und in der nächsten Sekunde war er wieder kühl und reserviert. So, als würde er absichtlich immer wieder diese Mauer zwischen uns aufbauen. Aber weshalb?

      Während ich noch darüber nachgrübelte, ob das womöglich seine Masche war, um Mädchen aufzureißen, fiel mein Blick auf die graue Mappe. Etwas umständlich wickelte ich mich aus der Decke und ging zu dem Schränkchen hinüber. Neugierig klappte ich den Deckel auf und beim Anblick der großen weißen Bögen schnappte ich überrascht nach Luft.

      Das war ich. Es waren alles Zeichnungen von mir, in unterschiedlichen Situationen. Einmal kaute ich an meinem Stift, so wie ich es manchmal im Unterricht tat, wenn ich nicht weiterwusste. Eine andere Zeichnung zeigte mich lachend und dann die aus dem Kunstunterricht. Er musste sie noch einmal aus dem Gedächtnis nachgezeichnet haben, denn das Original lag zu Hause in meinem Nachttisch.

      »Hast du gefunden, was du gesucht hast?« Cassians Stimme ließ mich zusammenfahren.

      »Ich wollte nicht …«

      »Was? Herumschnüffeln?« Sein Tonfall zeigte, dass er verärgert war. Er stellte die Tassen auf den Tisch und kam zu mir.

      Ich biss mir auf die Unterlippe, denn es war auffällig, wie er darauf achtete, nicht meine Hände zu berühren, während er mir die Blätter aus der Hand nahm. Umso liebevoller behandelte er seine Zeichnungen. Behutsam schob er sie in die Mappe zurück und verknotete die Enden der Bänder sorgfältig zu einer Schleife, als wollte er damit verhindern, dass ich sie erneut öffnete.

      »Du zeichnest wirklich toll.« Nicht sehr originell. Das Kompliment hatte ich ihm schon im Kunstunterricht gemacht. »Und offensichtlich bin ich ein interessantes Studienobjekt«, versuchte ich die Situation weiter zu entschärfen, erfreut, dass ich ihn offenbar doch mehr beschäftigte, als ich angenommen hatte.

      »Du hast ein ganz interessantes Gesicht.« Seine Stimme klang wieder vollkommen cool, ja beinahe gelangweilt.

      »Das, auf dem ich die Augen geschlossen habe, gefällt mir besonders. Es sieht so aus, als würde ich schlafen.«

      »Das hast du auch.«

      Ich stutzte. Moment, was hatte er da gerade gesagt? Ja, klar doch. Ich lachte. »Unsinn. Du hast mich nie schlafen gesehen.«

      Diesmal wich er meinem Blick aus.

      »Also, wie hast du das gerade gemeint?«

      »Wie ich es sagte.«

      »Aber du hast doch eben behauptet …« Mir fiel ein, dass ich ja vorhin tatsächlich geschlafen hatte. »Ach, du hast mich hier auf der Couch gezeichnet.«

      Er hatte mich die ganze Zeit nicht angesehen und auch jetzt tat er es nicht. »Nein, nicht hier, sondern in deinem Zimmer.«

      »In meinem Zimmer?«

      »Ja. Nachts.« Er sprach so leise, dass ich glaubte, mich verhört zu haben. Was sollte das denn? Wollte er mich veralbern?

      »Du glaubst mir nicht?«

      »Nein.« Ich drehte mich um und ging zum Sofa zurück. Dort setzte ich mich, zog die Decke um meine Beine und nahm die Tasse. Mir war nicht mehr nach Tee, aber ich brauchte irgendetwas, um mich daran festzuhalten. War er übergeschnappt? Warum sagte er so etwas?

      Er war mir nicht gefolgt, sondern stand noch immer bei dem kleinen Schränkchen, aber er beobachtete mich. »Und du hast auch keine Angst?«

      »Natürlich nicht.«

      »Du findest die Vorstellung nicht beunruhigend, dass ich einfach so nachts in dein Zimmer komme, während du schläfst?«

      »Nein, denn es ist ja nicht wahr.« Wenn etwas verrückt war, dann dass der heißeste Typ unserer Schule bei mir einbrach, um mich zu zeichnen.

      »Du solltest mir aber glauben. Ich war da.«

      »Quatsch!«

      »Doch!«, wiederholte er herausfordernd.

      »Nein, warst du nicht und ich erkläre dir auch gerne, warum. Du kannst nämlich gar nicht in unser Haus gekommen sein. Oder hast du etwa die Haustür aufgebrochen? Nein, warte … du bist durch mein Fenster geflogen, stimmt’s?« Er musste doch einsehen, wie lächerlich seine Behauptung klang, und tatsächlich lachte er jetzt. »Okay. Du hast recht. Ich war nicht da.«

      Na bitte.

      Doch plötzlich wurde mir ganz komisch. Nein, das konnte nicht sein.

      »Du warst doch da«, stieß ich hervor.

      Er verzog keine Miene. »Ach? Jetzt auf einmal?«

      Als er mir in die Augen sah, bekam ich eine Gänsehaut. Ich wusste nicht, weshalb, aber auf einmal war ich absolut sicher, dass er tatsächlich in meinem Zimmer gewesen war.

      »Ja, denn ich kann mich jetzt wieder daran erinnern. Ich habe dich gesehen.« Lügen war etwas, das ich nicht sehr gut beherrschte, und natürlich glaubte er mir kein Wort.

      »Aha. Und wann soll das gewesen sein?«

      Aber mit dieser Frage hatte ich gerechnet. »Oh, du bist nicht nur einmal da gewesen.« Fast hätte ich mich jetzt doch selbst überzeugt, so locker klang es.

      Doch er ließ sich nicht bluffen. »Und wie bin ich reingekommen? Du hast doch gerade selbst gesagt, ich hätte einbrechen oder fliegen müssen.«

      Das war der schwache Punkt an meiner Geschichte. Aber wer weiß, vielleicht war er ja gar nicht

Скачать книгу