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aus dem Hospitale, der sein Abenteuer der vorhergehenden Nacht vergessen zu haben schien. Die Gallochen hatte er an, denn sie waren nicht abgeholt, und da es auf der Straße schmutzig war, leisteten sie ihm gute Dienste. Ein neues Gedicht: »Die Brille der Muhme« wurde recitirt; das war eine Brille, wenn man die auf der Nase hatte und vor einer großen Versammlung von Menschen saß, so sahen die Menschen wie Karten aus, und man konnte aus ihnen Alles, was im kommenden Jahre geschehen würde, prophezeien.

      Die Idee beschäftigte ihn; er hätte wohl eine solche Brille haben mögen. Wenn man sie richtig gebrauchte, konnte man vielleicht den Leuten gerade in die Herzen hinein schauen; das wäre eigentlich noch interessanter, meinte er, als zu sehen, was im nächsten Jahre geschehen würde, denn das erfahre man doch; das Andere dagegen nie. »Ich denke mir nun die ganze Reihe von Herren und Damen auf der ersten Bank; könnte man ihnen gerade in das Herz sehen – ja, das müßte so eine Oeffnung, eine Art von Laden sein – wie sollten meine Augen im Laden umher schweifen! Bei jener Dame dort würde ich sicher einen großen Modehandel finden; bei dieser da ist der Laden leer, dennoch würde es ihm nicht schaden, gereinigt zu werden. Würden wohl aber auch solide Läden da sein? Ach ja!« seufzte er. »Ich kenne einen, in dem ist Alles solide, aber es ist schon ein Diener drin; das ist das einzige Uebel im ganzen Laden! Aus dem einen und dem andern würde es schallen: Treten Sie gefälligst näher! Ja, könnte ich nur wie ein kleiner, niedlicher Gedanke hineintreten und durch die Herzen schlüpfen!«

      Das war das Stichwort für die Gallochen; der Volontair schrumpfte zusammen, und eine höchst ungewöhnliche Reise begann mitten durch die Herzen der vordersten Reihe der Zuschauer. Das erste Herz, durch welches er kam, war das einer Dame; doch glaubte er augenblicklich, im orthopädischen Institute, in dem Zimmer zu sein, wo die Gypsabgüsse der verwachsenen Glieder an den Wänden hangen; nur war der Unterschied der, daß sie im Institute geformt werden, wenn der Patient hineinkommt, aber hier im Herzen waren sie geformt und aufbewahrt, nachdem die guten Personen hinausgegangen waren. Es waren Abgüsse von Freundinnen, deren körperliche und geistige Fehler hier aufbewahrt wurden.

      Schnell war er in einem andern weiblichen Herzen. Allein dieses erschien ihm wie eine große, heilige Kirche; die weiße Taube der Unschuld flatterte über dem Hochaltar. Wie gern wäre er nicht auf die Kniee niedergesunken; aber fort mußte er, in das nächste Herz hinein. Doch hörte er noch die Orgeltöne, und er selbst kam sich vor, als wäre er ein neuer und besserer Mensch geworden. Er fühlte sich nicht unwürdig, das nächste Heiligthum zu betreten, welches ihm eine ärmliche Dachkammer mit einer kranken Mutter zeigte. Aber durch das Fenster strahlte Gottes warme Sonne, herrliche Rosen nickten von dem kleinen Holzkasten auf dem Dache, und zwei himmelblaue Vögel sangen von kindlicher Freude, während die kranke Mutter um Segen für die Tochter flehte.

      Nun kroch er auf Händen und Füßen durch einen überfüllten Schlächterladen: da war Fleisch und nur Fleisch, worauf er stieß. Das war das Herz in einem reichen, respectablen Manne, dessen Name sicher im Adreßbuche steht.

      Nun war er in dem Herze der Gemahlin desselben: das war ein alter, verfallener Taubenschlag. Das Portrait des Mannes wurde als Wetterfahne benutzt: diese stand in Verbindung mit den Thüren, und so gingen dieselben auf und zu, sowie sich der Mann drehte.

      Darauf kam er in ein Spiegelkabinet, gleich dem, welches wir auf dem Rosenburger Schlosse haben. Aber die Spiegel vergrößerten in einem unglaublichen Grade. Mitten auf dem Fußboden saß, wie ein Dalai-Lama, das unbedeutende Ich der Person, erstaunt, seine eigene Größe zu betrachten.

      Hierauf glaubte er sich in eine enge Nadelbüchse voll spitzer Nadeln versetzt zu sehen; er mußte denken: »Das ist sicher das Herz einer alten, unverheiratheten Jungfer!« Aber das war nicht der Fall: es war ein junger Militär mit mehreren Orden, von dem man sagte: Ein Mann von Geist und Herz.

      Betäubt kam der arme Volontair aus dem Herz der letzten Person der ersten Menschenreihe; er vermochte seine Gedanken nicht zu ordnen, sondern meinte, daß es seine allzu starke Phantasie sei, die mit durchgegangen wäre.

      »Mein Gott!« seufzte er: »ich habe gewiß Anlage, verrückt zu werden! Hier drinnen ist es auch unvergleichlich heiß; das Blut steigt mir zu Kopfe!« Und nun erinnerte er sich der großen Begebenheit des vorhergehenden Abends, wie sein Kopf zwischen den Eisenstäben des Hospitals festgesessen hatte. »Da habe ich es gewiß bekommen!« meinte er. »Ich muß bei Zeiten etwas thun. Ein russisches Bad könnte recht gut sein. Läge ich nur erst auf dem höchsten Brette!«

      Da lag, er auf dem obersten Brette im Dampfbade: aber er lag da mit allen Kleidern, mit Stiefeln und Gallochen; die heißen Wassertropfen von der Decke fielen ihm in das Gesicht.

      »Hui!« schrie er und fuhr herab, um ein Sturzbad zu nehmen. Der Aufwärter stieß auch einen lauten Schrei aus, wie er den angekleideten Menschen drin erblickte.

      Der Volontair hatte indeß so viel Fassung, daß er ihm zuflüsterte: »Es gilt eine Wette!« Aber das Erste, was er that, als er sein eigenes Zimmer erreichte, war, daß er sich ein großes, spanisches Fliegenpflaster in den Nacken und eins den Rücken hinab legte, damit sie die Verrücktheit herauszögen.

      Am nächsten Morgen hatte er einen blutigen Rücken: das war es, was er durch die Gallochen des Glücks gewonnen hatte.

      Der Wächter, den wir sicher noch nicht vergessen haben, gedachte inzwischen der Gallochen, die er gefunden und mit nach dem Hospitale hinausgebracht hatte. Er holte sie ab, aber da weder der Lieutenant, noch sonst Jemand in der Straße sie als die seinigen anerkennen wollte, so wurden sie auf die Polizei abgeliefert.

      »Sie sehen wie meine eigenen Gallochen aus,« sagte einer der Herren Copisten, indem er das Findelgut betrachtete und an die Seite der seinigen stellte. »Es gehört mehr als ein Schuhmacherauge dazu, um sie von einander unterscheiden zu können!«

      »Herr Copist!« sagte ein Bedienter, der mit einigen Papieren hereintrat.

      Der Copist wendete sich um und sprach mit dem Manne; nachdem dies aber geschehen war, und er wieder die Gallochen ansah, war er in großer Ungewißheit darüber, ob es die zur Linken oder die zur Rechten wären, die ihm gehörten.

      »Es müssen die sein, die naß sind!« dachte er. Allein das war verkehrt gedacht, denn das waren die des Glücks; aber weshalb sollte nicht auch die Polizei fehlen können? Er zog sie an, steckte seine Papiere in die Tasche und nahm einige Manuscripte unter den Arm (zu Hause sollten sie durchgelesen und Concepte davon gemacht werden); aber nun war es zufällig Sonntag Vormittag und das Wetter gut. »Eine Tour nach Friedrichsburg könnte mir wohlthun,« dachte er; und so ging er denn hinaus.

      Es konnte keinen stilleren und solideren Menschen geben als diesen jungen Mann. Wir gönnen ihm den kleinen Spaziergang von Herzen; er wird nach dem vielen Sitzen sicher recht wohlthuend auf ihn wirken. Anfangs ging er nur wie ein vegetirender Mensch; deshalb hatten die Gallochen leine Gelegenheit, ihre Zauberkraft zu bethätigen.

      In der Allee begegnete er einem Bekannten, einem unserer jüngeren Dichter, der ihm erzählte, daß er am folgenden Tage seine Sommerreise antreten würde.

      »Wollen Sie schon wieder fort?« fragte der Copist. »Sie sind doch ein glücklicher, freier Mensch, Sie können fliegen, wohin Sie wollen; wir Andern haben eine Kette am Fuß!«

      »Aber sie ist an den Brotbaum befestigt!« erwiderte der Dichter. »Sie brauchen nicht für den morgenden Tag zu sorgen, und werden Sie alt, so bekommen Sie Pension!«

      »Sie haben es doch am Besten,« sagte der Copist. »Es ist ja ein Vergnügen, zu sitzen und zu dichten. Die ganze Welt sagt Ihnen Angenehmes, und dann sind Sie Ihr eigener Herr! Ja, Sie sollten es nur probiren, im Gerichte bei den frivolen Sachen zu kauzen!«

      Der Dichter schüttelte den Kopf; der Copist auch; jeder blieb bei seiner Meinung, und dann trennten sie sich.

      »Es ist ein eigenes Volk, diese Poeten!« dachte der Copist. »Ich möchte wohl probiren, in eine solche Natur einzugehen, selbst ein Poet zu werden; ich bin gewiß, daß ich nicht solche Klageverse schreiben würde, wie die Andern! – – Das ist ein rechter Frühlingstag für einen Dichter! Die Luft ist so ungewöhnlich klar, die Wolken sind

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