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ging es ganz gut; nun sprach einer der Bürgersleute von der schweren Pestilenz, die vor einigen Jahren gewüthet hatte, und meinte die im Jahre 1484. Der Justizrath nahm an, daß es die Cholera sei, von der die Rede war, und so ging die Unterhaltung immer noch leidlich. Der Freibeuterkrieg von 1490 lag so nahe, daß er berührt werden mußte; die englischen Freibeuter hatten Schiffe auf der Rhede genommen, sagte er; und der Justizrath, der sich in die Begebenheiten von 1801 recht hineingelebt hatte, stimmte vortrefflich gegen die Engländer mit ein. Das übrige Gespräch hingegen ging nicht so gut; jeden Augenblick verfiel man gegenseitig in den Leichenbitterstyl; der gute Baccalaureus war gar zu unwissend, und die einfachsten Aeußerungen des Justizraths klangen ihm wieder zu dreist und zu phantastisch. Sie sahen einander an, und wurde es gar zu arg, dann sprach der Baccalaureus Latein, in der Hoffnung, besser verstanden zu werden; aber es half doch nichts.

      »Wie geht es Ihnen?« fragte die Wirthin und zog den Justizrath beim Aermel. Nun kam seine Besinnung zurück; im Laufe der Unterhaltung hatte er Alles vergessen, was vorgegangen war.

      »Mein Gott, wo bin ich?« sagte er; und es schwindelte ihm, als er daran dachte.

      »Claret wollen wir trinken! Meth und Bremer-Bier!« rief einer der Gäste. »Und Ihr sollt mittrinken!«

      Zwei Mädchen kamen herein; die Eine hatte eine zweifarbige Haube[7] auf. Sie schenkten ein und verneigten sich; dem Justizrathe rieselte es eiskalt über den Rücken hinab.

      »Was ist denn Das! Was ist denn Das!« sagte er. Aber er mußte mit ihnen trinken; sie bemächtigten sich artig des guten Mannes; er war höchst verzweifelt, und als der Eine sagte, daß er betrunken sei, zweifelte er durchaus nicht an des Mannes Wort, sondern bat sie nur, ihm eine Droschke zu verschaffen. Nun glaubten sie, er spräche Moskowitisch.

      Nie war er in so roher und gemeiner Gesellschaft gewesen. »Man sollte glauben, das Land wäre zum Heidenthume zurückgekehrt!« meinte er. »Das ist der schrecklichste Augenblick in meinem Leben!« Aber zu gleicher Zeit kam ihm der Gedanke, sich unter den Tisch zu bücken und dann nach der Thüre zu kriechen. Das that er auch, aber indem er beim Ausgange war, bemerkten die Andern, was er vorhatte; sie ergriffen ihn bei den Füßen, und nun gingen die Gallochen zu seinem guten Glücke ab, und – mit diesen schwand die ganze Bezauberung.

      Der Justizrath sah deutlich vor sich eine Laterne brennen, und hinter dieser ein großes Gebäude; Alles sah bekannt und prächtig aus. Es war die Oststraße, wie wir sie kennen; er lag mit den Beinen einer Pforte zugekehrt, und gerade gegenüber saß der Wächter und schlief.

      »Du mein Schöpfer, habe ich hier auf der Straße gelegen und geträumt!« sagte er. »Ja das ist doch die Oststraße! Wie prächtig hell und bunt! Es ist doch schrecklich, wie das Glas Punsch auf mich gewirkt haben muß!«

      Zwei Minuten später saß er in einer Droschke, die mit ihm nach Christianshafen fuhr. Er gedachte der Angst und Noth, die er ausgestanden, und pries von Herzen die glückliche Wirklichkeit, unsere Zeit, die mit allen ihren Mängeln doch weit besser sei, als die, in der er vor Kurzem gewesen war.

      »Da liegen wahrlich ein Paar Gallochen,« sagte der Wächter. »Sie gehören sicher dem Lieutenant, der dort oben wohnt. Sie liegen neben der Thür!«

      Gern hätte der ehrliche Mann geklingelt und sie abgeliefert, denn oben war noch Licht; aber er wollte nicht die übrigen Leute im Hause wecken und deshalb unterließ er es.

      »Das muß recht warm sein, ein Paar solcher Dinger anzuhaben!« sagte er. »Wie das Leder hübsch weich ist!« Sie paßten gut an seine Füße. »Wie ist es doch drollig in der Welt! Nun könnte er sich in sein warmes Bett legen, doch er thut es nicht! Da geht er im Zimmer auf und nieder! Er ist ein glücklicher Mensch! Er hat weder Frau, noch Kinder; jeden Abend ist er in Gesellschaft. O, wäre ich doch er; ja, dann wäre ich ein glücklicher Mann!«

      Indem er den Wunsch aussprach, wirkten die Galloschen, die er angezogen hatte; der Wächter ging in des Lieutenants Sein und Wesen über. Da stand er oben im Zimmer und hielt ein kleines, rosenrothes Papier zwischen den Fingern, worauf ein Gedicht stand, ein Gedicht des Herrn Lieutenants selbst. Denn wer hat in seinem Leben nicht einmal einen lyrischen Augenblick gehabt, und schreibt man dann den Gedanken nieder, so hat man Poesie. Hier stand geschrieben:

      »O, wär' ich reich!«

      »O, wär' ich reich!« so wünscht' ich mir schon oft.

      Als ich kaum ellengroß, hatt' ich auf Viel gehofft.

      O, wär' ich reich! so würd' ich Offizier;

      Mit Säbel, Uniform und Bandelier.

      Die Zeit kam auch, und ich ward Offizier:

      Doch nun und nimmer ward ich reich, ich Armer;

      Hilf mir, Erbarmer!

      Einst saß ich Abends lebensfroh und jung,

      Ein kleines Mädchen küßte meinen Mund,

      Denn ich war reich an Märchen-Poesie.

      An Gold dagegen, ach! so arm wie nie –;

      Das Kind nur wollte diese Poesie;

      Da war ich reich, doch nicht an Gold, ich Armer:

      Du weißt's, Erbarmer!

      »O, wär' ich reich!« so tönt zu Gott mein Flehn,

      Das Kind hab' ich zur Jungfrau reifen sehn:

      Sie ist so klug, so hübsch, so seelengut;

      O, wüßte sie, was mir im Herzen ruht;

      Das große Märchen – – wäre sie mir gut!

      Doch bin zum Schweigen ich verdammt, ich Armer;

      Du willst's, Erbarmer!

      O, wär' ich reich an Trost und Ruhe hier,

      Dann käme all' mein Leid nicht auf's Papier.

      Verstehst Du mich, Du, der ich mich geweiht:

      So lies dies Blatt aus meiner Jugendzeit,

      Ein dunkles Märchen, dunkler Nacht geweiht.

      Nur finstre Zukunft seh' ich; ach, ich Armer!

      Dich segne der Erbarmer!

      Ja, solche Gedichte schreibt man, wenn man verliebt ist, aber ein besonnener Mann läßt sie nicht drucken. Lieutenant, Liebe, Mangel: das ist ein Dreieck oder ebensogut die Hälfte des zerbrochenen Würfels des Glücks. Das fühlte der Lieutenant recht lebendig, und deshalb legte er das Haupt an die Fensterrahmen und seufzte tief.

      »Der arme Wächter draußen auf der Straße ist weit glücklicher, als ich! Er kennt nicht, was ich Mangel nenne! Er hat eine Heimath, Frau und Kinder, die bei seiner Trauer weinen, sich bei seiner Lust freuen! O, ich wäre glücklicher, als ich bin, könnte ich in sein Wesen und Sein übergehen, mit seinen Forderungen und Hoffnungen durch das Leben wandeln! Ja, er ist glücklicher, als ich!«

      In demselben Augenblicke war der Wächter wieder Wächter, denn durch die Gallochen des Glücks war er in das Wesen und Sein des Lieutenants übergegangen; aber da, wie wir sehen, fühlte er sich noch weniger zufrieden und zog Das vor, was er vor Kurzem verworfen hatte. Also der Wächter war wieder Wächter.

      »Das war ein häßlicher Traum,« sagte er, »aber drollig genug. Es war mir, als ob ich der Lieutenant dort oben sei, und das war durchaus kein Vergnügen. Ich entbehrte die Frau und die Buben, die bereit sind, mich halbtodt zu küssen!«

      Er saß wieder und nickte; der Traum wollte ihm nicht recht aus den Gedanken; die Gallochen hatte er noch an den Füßen. Eine Sternschnuppe glitt längs des Horizonts.

      »Da ging Die!« sagte er. »Dessenungeachtet sind dort genug! Ich hätte wohl Lust, die Dinger etwas näher zu betrachten, besonders den Mond, denn der kommt Einem doch nicht unter den Händen fort. Wenn wir sterben, sagte der Student, für den meine Frau wäscht, stiegen wir von dem einen zum andern. Das ist eine Lüge, würde aber recht hübsch sein. Könnte ich doch einen kleinen Sprung da hinauf machen, dann möchte der Körper gern hier

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