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die Welt schon wieder anders aus. Es gibt nun mal Tage, da weiß man nichts mit sich anzufangen. Geht aber vorbei, glaub mir. Auch ohne die tollste Rakete der Welt.“

      Sie gab Johannes einen Kuss, streichelte einmal über die Bettdecke und ging dann hinaus. Es war noch hell genug im Zimmer, so daß Johannes die Ritterburg in der Zimmerecke sehen konnte. Auf der Mauer stand ein Burgfräulein, das Johannes mit Schwert und Helm zu einer Ritterin gemacht hatte. Vor dem Burgtor stand ein Ritter mit Bärtchen, den Julia immer „Zorro“ und Johannes den „Spanier“ nannte, weil er in Rot und Blau gekleidet war und aussah wie ein spanischer Fußballspieler. Vor der Burg stand ein Bauernhaus, das Papa für Johannes aus Holz gebaut hatte, in dem eine Handwerker-Familie wohnte. Am anderen Ende des Zimmers hatten ein paar Indianer ihre Zelte aufgebaut. Die Indianer waren etwas größer und viel detailreicher als die Ritter, konnten aber Arme und Beine nicht bewegen. Am Lagerfeuer saßen ein prächtiger Häuptling mit Federschmuck und ein Bogenschütze mit grünem Hut, die sich gut zu verstehen schienen. Die Piraten wiederum lagen mit ihrem Schiff unter dem Schreibtisch vor Anker, sie hatten merkwürdigerweise Pferde mit an Bord und beherbergten eine Art Zauberer oder Alchimisten. Sie hatten offenbar einen der Ritter entführt, einen vornehmen Gesellen, mit wallendem Mantel und großem Hut. Der Piraten-Kapitän stand an der Reling und blickte aufs Meer hinaus. Zuletzt fiel Johannes Blick noch auf das Regal, in dem neben den vielen Büchern eine komische Figur saß, die eine Maske wie ein Eishockey-Torwart trug, ganz in Schwarz gekleidet war und gleich zwei Schwerter bei sich hatte, ein langes und ein kurzes. Tante Britta hatte die Figur aus Japan mitgebracht und auch erklärt, was es mit diesem merkwürdigen Gesellen, den sie Samurai nannte, auf sich hatte. Aber ihren Platz im Regal hatte die Figur eigentlich nie mehr verlassen. Langweilig, auch langweilig, dachte Johannes, alle langweilig, langweilig und alle schon lange tot, todlangweilig. Papa hat wohl recht, man sollte alles verkaufen und vom Geld dann die Monster-Rakete kaufen, ist doch alles Baby-Spielzeug und viel zu öde für einen Weltraumkämpfer wie Johannes, dem gerade die Augen zufielen. Und so schlief er dann auch ein.

      Aber die Spielfiguren verfolgten Johannes noch bis in seine Träume. Darin schlängelte sich eine scheinbar unendlich lange Reihe von Figuren durch das ganze Haus und nachdem die erste von ihnen umgefallen war, fielen alle anderen ebenfalls um, eine nach der anderen, so wie man es von den Dominosteinen kennt. Die kleinen Figuren purzelten durch das ganze Haus und Johannes folgte ihrer Spur, bis er schließlich bei der letzten Figur angekommen war. Diese lag unmittelbar vor einer riesig großen Rakete, die durch das ganze Treppenhaus bis unter das Dach hinauf reichte und genau so aussah, wie die sehnlichst gewünschte Monster-Rakete, mit Roboterarmen und Laserkanonen, nur eben viel größer. Die Tür der Rakete öffnete sich und ein Mann stieg heraus. Allerdings war der Mann kein Astronaut im Raumanzug, sondern eher ein Gartenzwerg mit einem fast weißen Spitzbart, der einen himmelblauen Mantel an hatte, statt einer Zipfelmütze aber einen Zylinderhut trug. Darauf saß ein Eichhörnchen und knabberte an einer Nuss.

      „Bist Du der Johannes, der sich so schrecklich langweilt, obwohl er so viele Sachen besitzt, mit denen er sich die Zeit vertreiben könnte?“, fragte der wunderliche alte Mann und lächelte dabei.

      „Ja“, sagte Johannes und der Alte fuhr fort: „Und Du hast Freunde, mit denen du nichts unternehmen möchtest?“

      Johannes bejahte auch diese Frage.

      „Es ist schade, wenn ein Junge wie du mit seiner Zeit nichts anzufangen weiß. Doch ich will Dir helfen“, sprach der Mann da, griff in seine Manteltasche und zog eine kleine Spielzeug-Schaukel hervor.

      „Achte auf zwei Dinge, Johannes. Zuerst auf die Schaukel. Wenn du nur kräftig genug schaukelst, dann wirkt sie Wunder.“

      Er hielt die kleine Schaukel vor sich hin und schwang sie hin und her.

      „Und dann“, sagte er, während er die letzte der vor ihm liegenden Spielfiguren aufhob und Johannes in die Hand drückte, „dann achte auf die kleinen Helden!“ Kaum hatte er das gesagt, da verschwand der alte Mann und mit ihm die Rakete, die Spielfiguren, das Haus und der ganze Traum.

       2. Gregor

      Als Johannes am nächsten Morgen aufwachte, konnte er sich an den Traum von den Domino-Männchen nicht mehr erinnern. Aber den wunderlichen alten Mann sah er noch deutlich vor sich. Und auch dessen merkwürdige Andeutungen über Schaukeln und kleine Helden gingen ihm nicht so recht aus dem Kopf. Johannes zog sich Jeans und seinen Lieblings-Weltraum-Pullover an und ging nach unten in die Küche. Dort deckte seine Mutter gerade den Frühstückstisch.

      "Papa und Julia schlafen noch, hast Du nicht Lust, eben Brötchen holen zu gehen?“, fragte sie.

      "Warum nicht, kannst du mir etwas Kleingeld geben, Mama?"

      „Ja, und schreib auf, was du mitbringen sollst: Schokohörnchen für Dich und Julia, zwei Körnerbrötchen für Papa und eins für mich. Und noch ein halbes Roggenbrot.“

      Johannes fand keinen Zettel und riss ein Stück von dem Anzeigenblättchen ab, das auf dem Tisch lag, und schrieb auf, was er mitbringen sollte. Johannes steckte den Zettel und einen Fünf-Euro-Schein ein, den ihm seine Mutter gegeben hatte, zog sich Schuhe an und ging hinaus. Die Bäckerei lag nur zwei Straßen weiter und auf dem Weg dorthin musste Johannes durch den kleinen Park gehen, der sonst immer von vielen kleinen Kindern und ihren Müttern bevölkert wurde. So früh am Morgen war dort aber noch nichts los, nur ein paar Tauben nutzten die Geräte auf dem kleinen Spielplatz für ihre Flatterübungen. Als Johannes an der Schaukel vorbei ging, musste er wieder an den komischen alten Mann aus seinem Traum denken. Hatte der nicht gesagt, eine Schaukel würde Wunder gegen seine Langeweile wirken? Oder so ähnlich? Ach was, dachte Johannes, das war doch nur ein Traum, so spannend ist Schaukeln nun auch wieder nicht und es wird wohl kaum die Monster-Rakete an ihren Fallschirmen vom Himmel vor seine Füße fallen, wenn er nun ein paar mal hin und her schaukeln würde. Alles Quatsch, alles Kindergeschichten. So ganz sicher war Johannes sich aber doch nicht: Wenn der Alte nun doch so eine Art Zauber-Onkel oder Feen-Opa gewesen war, der Kindern im Traum erscheint, um ihnen ihre größten Wünsche zu erfüllen? Während Johannes noch überlegte, griff er zur Kette, an der die Schaukel hing, und einen Moment später hatte er sich schon hingesetzt. Er begann langsam zu schaukeln, schließlich konnte das nicht schaden, selbst wenn die Sache mit Traum völlig bedeutungslos gewesen wäre. "Tja, da passiert ja doch nichts“, sagte Johannes zu sich, schaukelte dann aber etwas heftiger, so wie es der alte Mann aus dem Traum ihm aufgetragen hatte. Er schaukelte noch etwas höher und mit noch etwas mehr Schwung. Mit voller Kraft warf er Beine und Oberkörper im Rhythmus der Schaukel vor und zurück und schwang noch höher und noch schneller. Und als Johannes meinte, er würde kurz vor dem Überschlag stehen, da geschah es: Die Schaukel schien sich vom Gestell zu lösen, so als seien die Halteketten gerissen. Johannes glaubte, frei durch die Luft zu fliegen und rechnete schon mit einem harten Aufprall. Aber er flog immer weiter und weiter und noch weiter, ohne daß sein Flug ein Ende nahm. Um sich herum konnte Johannes nichts mehr erkennen, nicht den Spielplatz, nicht den Park und auch nicht die Stadt. Es wurde so hell um ihn herum, daß er die Augen schließen mußte. Aber nur einen Augenblick später war sein Flug wieder zu Ende. Johannes hatte das Gefühl, schon wieder aus einem Traum auf zu wachen und öffnete vorsichtig die Augen. Er hatte noch gar nicht richtig gemerkt, wo er denn nun eigentlich gelandet war, da hörte er ein lautes und aufgeregtes Rufen:

      "He, bist du denn verrückt geworden, versteck' dich bloß schnell wieder, sie kommen gleich!"

      Johannes hatte gar keine Zeit festzustellen, wer ihm da gerade begegnet war und jetzt hektisch auf ihn ein redete, da wurde er von dem Fremden schon um die Ecke hinter einen Bretterzaun gezogen.

      "Was, wer kommt gleich?" fragte Johannes verdutzt, während sich um ihn herum eine mächtige Staubwolke legte. Er musste husten.

      "Psst, sei still, sonst hören sie uns, da sind sie doch schon!", ermahnte ihn der Fremde wieder. Der lugte vorsichtig durch zwei Bretter und Johannes erkannte nun, daß der Fremde ein etwa gleichaltriger Junge war. Er hatte ziemlich struppige Haare, trug eine weites dunkles Hemd, eine zerschlissene Kniebundhose, wie Johannes sie aus dem Wanderurlaub kannte, und dazu ausgelatschte Lederschuhe ohne Schnürsenkel. Da Johannes wissen wollte, vor wem sie sich eigentlich nun hinter dem

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