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      »Kann ich Ihnen helfen?« Fast hätte ich den Mann nicht verstanden, weil er einen merkwürdigen Akzent hat.

      Meine Antwort kommt beinahe zu spät. Er will schon weitergehen. Ich sehe ihn an. Er ist nur etwas größer als ich, etwa gleichaltrig, ein bisschen zu dick für meinen Männergeschmack und trägt eine dieser albernen Kappen, die heute in sind. Das wirkt in seinem Alter albern, finde ich, vielleicht liegt das aber auch an seiner unglaublichen Brille. Sie sieht aus, als wäre sie fünfzig Jahre alt. Damit kann der Typ locker als Halloweenmonster durchgehen: dicke, große Gläser, dicker schwarzer Rand mit orangefarbenen Bügeln.

      »Mein Auto springt nicht an«, erkläre ich mein Problem und weise sofort darauf hin, dass mein Überbrückungskabel leider nicht zur Verfügung steht.

      »Das schaffen wir schon.« Dieser einfache Satz hört sich bei ihm exotisch an. Die »sch«s überwiegen eindeutig und erklingen auch da, wo eigentlich keine sind. Das »n« mag er wohl nicht, er lässt es einfach weg. »Des schaffe mir scho«, oder so ähnlich.

      Der Mann fährt seinen Wagen parallel zu meinem Auto, sodass die beiden Motoren nebeneinander stehen. Als ich das Kennzeichen seines Wagens wird mir klar, warum er so merkwürdig spricht. MTK sagt mir zwar nichts, wird aber wohl für einen Landkreis in den neuen Bundesländern stehen. Diese Autokennzeichen sind mir nicht geläufig. Fast alle anderen kenne ich aus meiner Kindheit, als wir auf Urlaubsfahrten mit unendlicher Geduld »Kennzeichen raten« gespielt haben. Wer die Herkunft der meisten Autokennzeichen wusste, hatte gewonnen.

      Als meine Schwester und ich älter waren, haben wir die Spielregeln abgeändert, da galt es, aus den Kennzeichen kleine Sätze zu bilden. Je verrückter, umso mehr Punkte bekam man.

      Das Kennzeichen meines Retters, MTK – KD, wäre damals zu »Meine Taube kackt kleinen Dreck« geworden.

      »Hallo, sind Sie noch da?« Der Mann steht vor mir und zeigt auf das Überbrückungskabel, das er bereits angeschlossen hat. »Sie sollten jetzt Ihren Motor starten.«

      Verwirrt starre ich ihn an. Ich habe wirklich nicht bemerkt, wie er das Kabel angeschlossen hat, weil ich so intensiv über einen blöden Satz mit seinem Autokennzeichen nachgedacht habe.

      Ich versuche, mein Grinsen zu verstecken. Ob ich ihm den Satz verraten soll?

      Ich steige in mein Auto und starte den Motor. Kein »Brrr« antwortet mir, sondern ein sanftes Brummen aus dem Motorraum. Wie schön das klingt!

      »Vielen Dank!«, stammele ich vor Glück. »Was bekommen Sie denn für Ihre Hilfe?« Der Satz ist mir einfach so entwischt. Am liebsten hätte ich ihn zurückgeholt. Er klingt furchtbar spießig.

      Warum habe ich nicht einfach gesagt: »Darf ich Sie zum Dank zu einem Kaffee einladen?« oder »Ich würde Ihnen gerne als Dankeschön mein letztes Buch schicken.« Ich habe zwar keins geschrieben, aber das hört sich cool an. Nicht wie »Was bekommen Sie denn?« Kotz!

      Der fremd klingende Mann schüttelt den Kopf. Er sagt etwas, das ich interpretiere als »Das habe ich gerne getan«, steigt in sein Auto und fährt davon, während ich mich abwechselnd als »Dumme Kuh« und »blöde Ziege« beschimpfe.

       12 - Mit den eigenen Waffen

       »Klirr, klirr«, machte es vor dem Fenster, an dem Vindicta saß, um einen Text zu bearbeiten. Es schepperte und klirrte bereits den ganzen Morgen. Als sie aus dem Fenster sah, bemerkte sie den blauen Pavillon, der mitten auf der Straße aufgebaut worden war. Männer in blauen Latzhosen gingen dort ein und aus. Sie trugen lange Metallstangen, die sie auf einen kleinen Stangenberg warfen.

       Vindicta beschloss, sich selbst etwas Gutes zu tun und diese lästigen Menschen aus ihrem Hörfeld zu beseitigen. Dem Wettergott schien ihr Vorhaben zu gefallen, er sorgte mit einem heftigen Regenguss dafür, dass die Straßen innerhalb weniger Minuten wie leer gefegt wirkten. Nur die beiden Handwerker trugen unermüdlich Metallstangen aus dem Haus und warfen sie scheppernd auf den inzwischen stattlichen Berg.

       Vindicta verließ das Haus und griff, als die beiden Männer Nachschub holten, eine Metallstange. Sie nahm sie in beide Hände und stellte sich neben die Eingangstür. Als der erste Mann mit den nächsten Stangen kam, schlug sie zu. Der Arbeiter brach sofort zusammen. Sein Kollege stürzte sich auf ihn, um zu sehen, was geschehen war. Vindicta lächelte zufrieden und schlug erneut zu und dann immer wieder, solange, bis keiner der Männer sich mehr regte und die Regentropfen schwächer wurden.

       Als die ersten Passanten wieder ins Freie strömten, saß Vindicta an ihrem Fenster und genoss bei einem Glas Champagner die Stille.

      Ich höre das Telefon in meiner Wohnung schon klingeln, als ich die Haustür öffne.

      Trotz meiner täglichen Joggingrunden seit dem Eisbergday, schaffe ich es nicht, rechtzeitig den Hörer abzunehmen.

      Die rote Lampe meines Anrufbeantworters blinkt.

      Mein Herz beginnt zu klopfen. Ob Karsten Denker wieder angerufen hat?

      Gespannt drücke ich auf den Knopf zum Abhören der Nachricht.

      Ulrikes Stimme tönt mir entgegen. »Hey, Kerstin, wo steckst du denn? Ich brauche ein bisschen Aufmunterung.«

      Ich höre den Text nicht zu Ende an, ich bin nicht in der Stimmung für ihre Liebesgeschichten. Vermutlich hat irgendein Kurzzeitlover sie wieder sitzen lassen.

      »Hallo, Kerstin, bei Real suchen sie eine Aushilfe zum Auffüllen der Regale, das wäre etwas für dich«, läuft das Band weiter.

      Seit meine Eltern wissen, dass der Eisberg mir gekündigt hat, erhalte ich alle zwei Tage solche Tipps. Mal ist es das Ausführen von Hunden, dann ist es eine Haustürbefragung, die von einem Marktforschungsinstitut gut bezahlt wird.

      Ich verstehe, dass sie sich Sorgen machen, aber ein paar Monate bekomme ich mein Gehalt weitergezahlt. Ich habe eine dreimonatige Kündigungsfrist und wenn der Eisberg in dieser Zeit auf meine Arbeitskraft verzichten möchte, ist das sein Problem. Er kann es sich anscheinend leisten.

      Trotzdem bereitet mir der Anruf meiner Eltern ein schlechtes Gewissen. Viel Mühe habe ich mir mit den Bewerbungen nicht gegeben. Allerdings gab es auch keine Ausschreibung für eine Stelle, die mir gefallen hätte. Und so richtig habe ich mich nicht entschieden, was ich zukünftig machen möchte.

      In den seltenen Momenten, in denen es mir gelingt, meine Situation ohne Emotionen zu betrachten, stelle ich fest, dass sie die große Chance bietet, beruflich neu anzufangen: ein zweites Studium zu beginnen, mich selbstständig zu machen, mich auf ganz andere Jobs zu bewerben, endlich meinen Autorentraum zu verwirklichen oder eine Familie zu gründen.

      Ich ziehe meine Jacke aus und werfe mich aufs Sofa.

      Wenn ich gerne Alkohol trinken würde, würde ich mich mit einem Whiskey zudröhnen. Ich mag keinen Alkohol. Aber Schokolade.

      Ich stehe auf und suche so lange in meinen Schränken, bis ich einen Schokoladen-Nikolaus finde, dem man von außen nicht ansieht, aus welchem Jahr er stammt.

      Ich kann mich nicht erinnern, wann ich ihn bekommen habe. Hat Ulrike mir den nicht vor die Tür gestellt?

      Ich zerreiße den Folienanzug des Nikolauses, der ohnehin nicht wie ein Bischof, sondern wie ein Weihnachtsmann aussieht, und beiße den Kopf ab.

      Das tut gut! Endlich kann ich wieder in Ruhe denken.

      Nachdem ich dem Nikolaus den Garaus gemacht und 200 Gramm Schokolade in mich hineingestopft habe, fahre ich meinen Laptop hoch.

      Ich gebe in den Browser www.karsten-denker.de ein.

      Ein Mann mit dunklen Haaren und einer eleganten, modernen Brille sieht mich an. Er kommt mir bekannt vor. Auf der Seite lese ich, was er mir schon gesagt hat. Die Seite sieht wirklich gut aus.

      Ich beschließe, Karsten Denker ein Feedback zu schicken. Schaden kann es nicht. Und seine fast sexy Stimme passt zu dem Bild und dem,

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