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Wie ein Tiger in einem Käfig. Der Gang endete immer an der Balkontür. Aber den Triumph gönne ich dem Eisberg nicht.

       Ich hoffe nur, dass die Lautstärke meiner Stereoanlage, die immer wieder Du schaffst es von sich gab, nicht sämtliche Nachbarn aufgeweckt hat. Das fehlt mir gerade, dass die Hexe von nebenan sich über mich beschwert. Vielleicht sollte ich bei ihr klingeln und mich entschuldigen. Dann könnte ich sie nach ein paar Giftpröbchen fragen, die sie sicher in ihrer Hexenwohnung aufbewahrt. Auf jeden Fall werde ich bei ihr gelegentlich vorbeischauen und unauffällig das Gespräch auf tödliche Gifte bringen. Ich kann so tun, als würde ich einen Krimi schreiben. Jetzt sitze ich an meinem Schreibtisch und räume meine Schubladen auf, um brauchbare Arbeitsproben für die Bewerbungsunterlagen zu finden. Da sind einige Bewerbungen aus der Zeit nach dem Psychologiestudium.

      Interessant, dass ich schon damals in den Anschreiben eine Stelle aus dem Fabian zitierte: »Ich will arbeiten. Ich will mich betätigen. Ich will endlich ein Ziel vor Augen haben. Und wenn ich keins finde, erfinde ich eins. So geht es nicht weiter.«

      Ich sollte das Buch wirklich lesen. Erich Kästner war auch einmal arbeitslos. Wäre interessant zu wissen, welche Schriftsteller, Wissenschaftler, Künstler oder heutige Prominente schon arbeitslos waren. Ein weiterer Punkt auf meiner To-do-Liste.

      Der Grund für Kästners Kündigung ist bekannt. Er hat ein für seine Zeiten frivoles Gedicht veröffentlicht und dafür forderte man seine Entlassung. So ein Gedicht wäre heute kein Entlassungsgrund mehr. Eher Anlass für eine Gehaltserhöhung oder Beförderung.

      Wenigstens wusste er, warum man ihn rausgeworfen hatte.

      Mir hat der Eisberg nichts dazu gesagt. Überhaupt nichts! Null! Nothing! Njet! Niente!

      Ich habe keine Ahnung, was ich falsch gemacht habe und warum er mich loswerden will. Ich habe nur die Vermutung, dass er Angst hat, dass ich seine dicke Eisschicht aus Arroganz durchschauen und darunter die Unfähigkeit entdecken würde.

      Ach, da sind Belege aus meinen Schreibwerkstätten.

       Schade, die kann ich für die Bewerbungen nicht verwenden. Ich könnte mich aber als Dozentin anbieten, für eine Schreibwerkstatt »Wie bringe ich meinen Chef um die Ecke« oder so.

       Ein Blick auf die Mordpinnwand hebt meine Laune merklich.

       Wenn es keine Krimischreibwerkstatt wird, dann vielleicht eine ganz klassische.

       Ich erinnere mich an eine Schreibwerkstatt, in der ich einer Lehrerin neuen Mut zum Schreiben gegeben habe. Sie war bei einem dreitägigen Seminar nur in meiner Arbeitsgruppe gelandet, weil sie ihr als kleinstes Übel erschien. Als sie dann selbst eine Geschichte schreiben sollte, wirkte sie völlig verzweifelt. Wir haben uns gemeinsam daran gemacht und eine schöne, von ihr wunderbar illustrierte Geschichte geschaffen.

       Jahre später traf ich sie wieder. Sie fiel mir um den Hals, um sich für meinen Ansporn zu bedanken. Erst da stellte sich heraus, dass sie die Freude am Schreiben verloren hatte, weil ihr Mann, ein Deutschlehrer, jeden ihrer Texte mit Rotstift korrigierte.

       Es klingelt an der Wohnungstür. Wieder einmal. Es erstaunt mich täglich aufs Neue, wie viele Menschen tagsüber von Haus zu Haus ziehen, um etwas zu verkaufen. Als Muttis noch brav am Herd blieben, konnte man damit rechnen, dass mitten am Tag jemand zu Hause war. Aber heute?

      Die beiden jungen Leute, die vor der Tür stehen, gehören zu den Optimisten. Sie wollen mir eine Mitgliedschaft bei einem Verein für Schiffbrüchige verkaufen. Ich weiß nicht, aber dreihundert Kilometer vom nächsten Meer entfernt, finde ich den Vorschlag unpassend.

       Vielleicht sollte ich mich bei dem Verein als Vertriebsmanagerin bewerben. Lieber nicht. Ich hasse Haustürverkäufer. Womöglich verstehen die meine Bewerbung falsch und ich kann auch Klinken putzen gehen.

       Immerhin schaffe ich es, diese Typen loszuwerden, indem ich meinen Ex-Freund Marc und seinen Job als Rettungssanitäter erwähne.

       Die beiden sehen sich an und klappen erst, während sie eilig den Flur hinuntergehen, die Präsentationsmappe zu.

       Ein Schiffsunglück ist keine schlechte Mordwaffe. Wie ich den Eisberg einschätze, segelt er oder hat zumindest einen Motorbootführerschein, um mit einer Angeber-Yacht durch die Gegend zu schippern.

       Ich erinnere mich an einen Bericht über ein Bootsunglück, das mich geschockt hat. Junge Menschen waren von einem Boot ins Wasser gesprungen, ohne vorher die Leiter herauszuhängen. Keiner gelangte zurück auf die Yacht. Alle sind qualvoll ertrunken.

       Ich müsste einen Tag erwischen, an dem der Eisberg allein auf der Yacht ist und irgendwie die Leiter stehlen.

       Zu kompliziert und mein Kaffee ist dank dieser blöden Typen kalt geworden. Und dann haben die mich an Marc erinnert, der mit meiner Freundin geschlafen hat. Ich muss mich dringend auf andere Gedanken bringen. Aber was soll ich den ganzen Tag machen?

      Es ist so schrecklich, plötzlich Zeit wie im Urlaub zu haben, wenn kein Ende des Urlaubs in Sicht ist.

      Mein Blick fällt auf das Voodoo-Buch. Genau! Ich werde mich mit der Bastelanleitung für eine Voodoo-Puppe beschäftigen und die Dartscheibe ist auch noch nicht fertig!

      Das Läuten des Telefons bremst meinen Elan. Ulrike heult so laut, dass ich kein Wort von dem verstehe, was sie jammert.

      »Hast du auch deinen Job verloren?«, erkundige ich mich mitfühlend und gehe in die Küche, um mir einen frischen Kaffee zu kochen. Eine weinende Freundin am Telefon ist ein klassisches Zeichen für ein langes Gespräch.

      »Viel schlimmer«, schluchzt sie und putzt sich geräuschvoll die Nase. Wie sie das nur immer schafft, man könnte meinen, sie sei ein Sechsmeterriese mit Schnupfen.

      »Ist jemand gestorben?« Das scheint mir das einzige zu sein, was Arbeitslosigkeit toppen kann, vielleicht noch: »Hast du Krebs? Oder Aids?«

      Anscheinend ist ihre Nase wieder frei. Sie jammert kurz auf: »Sven hat mich verlassen!«

      Fast wäre mir der Hörer aus der Hand gefallen. Wenn ich mich recht erinnere, war Ulrike mit Sven drei Tage zusammen und hat seinetwegen ihrem Freund Peter den Laufpass gegeben.

      Ich spüre, wie ein leises Kichern sich aus meinem Bauch in den Kopf hocharbeiten will. Aber ich muss meine Schadenfreude zurückhalten, obwohl das Ganze wirklich wahnsinnig komisch ist.

      »Nein!«, rufe ich deswegen nur aus, sie kann sich aussuchen, ob das empört, entsetzt, fassungslos oder ungläubig klingt. Ulrike entscheidet sich für Letzteres.

      »Wirklich. Stell dir vor, er hat mir eine SMS geschrieben, mir für die schöne Zeit und die fünfhundert Euro gedankt, die er durch mich in einer Wette gewonnen hat. Eine Wette, Kerstin! Er hat sich nur wegen einer Wette an mich herangemacht!«

      Das ist allerdings wirklich bitter. Mich überrascht es weniger. Ich traue Männern alles zu, wirklich alles, und dieser unsägliche Eisberg hat mich in meiner Einschätzung bestätigt.

      Vielleicht sollte ich Ulrike dazu bringen, Sven umzubringen. Dann könnten wir gemeinsam Mordpläne schmieden, das wäre vergnüglicher als allein zu agieren.

      »Meine Rede: Männer sind Schweine!«, werfe ich in die Litanei ein, die Ulrike über Sven, Peter und die Männer im Allgemeinen loslässt.

      »Genau! Das habe ich immer gewusst!« Ulrike hat das immer gewusst. Aha!

      Ich zwinge mich, keine passende Antwort zu geben. Ich muss versuchen, sie als Komplizin zu gewinnen. Mit ihrem Aussehen könnte sie einen Köder spielen. Dann benötige ich die Hilfe der Blondine aus dem Arbeitsamt nicht, um den Eisberg in die unterirdischen Abflusskanäle verschwinden zu lassen.

      So ein Quatsch, von der Variante habe ich mich bereits verabschiedet. Da könnte ich mich nicht genug an seinen Qualen weiden.

      »Was hältst du davon, wenn wir einen Club der Männermörder gründen?« Die Frage ist mir spontan eingefallen. Trotzdem ist sie ganz pfiffig. Ulrike kann die Idee ins Lächerliche ziehen oder begeistert darauf einsteigen. Aber was tut sie?

      »Fängst du schon wieder davon an?

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