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Im Übrigen sei sie die einzige Erinnerung an den geliebten Mann, und nun solle die letzte Verbindung zu einer glücklichen Zeit im wahrsten Sinne des Wortes abgeschnitten werden.

      Smyrna unterbrach das Lamentieren: „Ach Galowyn, hör doch auf! Dein geliebter Mann war ein fetter Geldsack, mit dem du dich ständig gestritten hast. Deine Decke gefällt mir auch, aber du hast sie nicht in Rejkor gekauft. Vielmehr hat sie jemand bei dem Geldsack als ein Pfand hinterlassen und nicht mehr auslösen können. Dein Verlobter ist deshalb recht billig an dieses Prachtstück gekommen. Und dir hat er sie verehrt mit der Bedingung, dass du dich nie wieder bei ihm sehen lässt. Zerschneide sie jetzt endlich und spart dir deine Selbstlügen."

      „Mit so einer gemeinen Person bin ich jahrelang durch die Gegend gezogen. Nun offenbart sich endlich dein mieser Charakter. Pfui!" Galowyn murrte noch ein wenig, aber sie machte sich wie die anderen ans Werk. Bald lagen viele Streifen aus Wolle vor ihnen, die sie ineinander verdrehten und dann verknoteten. Die so entstandenen Seile waren zwar unförmig, aber stabil und für ihre Zwecke ausreichend.

      Der Zwerg ging als erster. Sie banden ihm den Strick um die Brust, und er kletterte rückwärts vorsichtig die brüchige Treppe hinunter. Als er auf einem Absatz festen Halt gefunden hatte, sicherte er und die anderen folgten. Galowyn, die nicht schwindelfrei war, bemühte sich, nicht in die Tiefe zu sehen. Durch die Angst wurde sie ungeschickt, glitt aus, rutschte über die Kante einer Stufe und verlor den Halt. Steine polterten in die Tiefe. Die Frau schrie und baumelte über dem Abgrund. Nur das Seil um ihre Brust verhinderte den völligen Absturz. Glaxca stemmte sich mit seinen kurzen Beinen gegen den Felsen. Sein Kopf war rot angelaufen. Mit beiden Händen umklammerte er das provisorische Seil. Aber er wurde langsam aber unaufhaltsam zum Abgrund gezogen. Obwohl ihre Brust immer mehr eingeschnürt wurde, schrie Galowyn in ihrer Panik lauter und lauter. Fallsta und Aramar eilten zu Hilfe und wären beinahe selbst gestrauchelt und abgestürzt. Endlich hatten sie die Unglücksstelle erreicht und gemeinsam gelang es, die Sängerin zurück auf die Treppe zu ziehen. Da lag sie, bleich und keuchend. Tränen liefen ihr über das Gesicht. Die anderen aber sahen sich ängstlich um und lauschten, ob jemand den Zwischenfall bemerkt habe. Aber nichts war zu sehen und zu hören.

      Nun bewegten sie sich noch langsamer, und es dauerte Stunden bis sie unten waren. Doch es gab keine weiteren Zwischenfälle mehr. Die letzten Stufen hatten sie bei Dunkelheit erreicht. Dort standen sie dicht zusammengedrängt in der Nacht und warteten darauf, dass sich ihre zitternden Muskeln und ihr jagender Herzschlag wieder beruhigten. Nachdem sie aufgebrochen waren, hatten sie bald einen befestigten Weg erreicht, der direkt zum Eingang des Loron führte. Der bewölkte Himmel klärte sich auf, und die bleiche Mondsichel warf ihr düsteres Licht über das Tal. Weit und breit war keine Wache zu sehen. Glaxca und Fallsta gingen als Vorhut, und die anderen folgten vorsichtig. Alle hatten ihre Waffen in den Händen und waren bereit, sofort zu töten. Das ganze Tal der Is erschien ihnen verdächtig.

      Als sie die Felder erreichten, die das feindliche Heer am Tag niedergetrampelt hatte, sagte Smyrna leise: „Es ist eine Schande."

      Dann machten sie eine Pause.

      „Habt ihr eine Erklärung dafür, warum wir bisher niemanden getroffen haben?" wandte sich Galowyn an den Zauberer.

      Der lachte leise: „Ich habe damit gerechnet. Die Feinde haben den Zugang zum Tal im Süden hermetisch abgeriegelt und unter Kontrolle. Deshalb glauben sie, niemand könne sich hier aufhalten. Sie erwarten niemand aus den Bergen, denn der Pfad, den wir gekommen sind, dürfte ihnen nicht bekannt sein. Ich glaube, Rotamin ist im Augenblick für uns ein sicherer Ort“

      Nach einer weiteren halben Stunde hatten sie den Turm erreicht. Dunkel und drohend ragte der Loron vor ihnen auf. Um sein Fundament herum war ein breiter Sockel gebaut, zu dem steinerne Stufen hinaufführten. Vorsichtig näherte sich die Gruppe dem Bauwerk. Glaxca und Fallsta gingen voraus und stiegen langsam die Treppe empor. Leise umschlichen sie die große Rundung. Dann folgten die anderen. Endlich standen alle vor dem großen Tor. Es war aus einem unbekannten Metall, das im Mondschein blau schimmerte. Kein Türgriff, kein Knopf, keine Klinke waren zu sehen, mit denen man den Eingang hätte öffnen können. Kalt und abweisend zeigte sich der Turm seinen Besuchern.

      „Da sind wir, so wie du es dir gewünscht hast“, sagte Aramar zu Urial. „Du musst den Loron nur noch öffnen, dann du bist am Ziel deiner Wünsche."

      Urial hatte dazugelernt und antwortete: „Meister, wer den Turm verschlossen hat, soll ihn auch wieder öffnen."

      Aramar lachte leise und näherte sich dem dunklen Tor. Dort legte er beide Handflächen gegen das harte Material und schien in sich selbst zu versinken. Alle schwiegen, sie wagten kaum zu atmen. Lange stand der Zauberer dort. Endlich öffnete sich langsam und lautlos der Türflügel. Der Loron von Rotamin war bereit, sie zu empfangen.

      Zögernd traten sie ein. Ein Menschenalter waren diese Gemäuer nicht mehr betreten worden. Die Luft war trocken und abgestanden, aber nicht giftig. Als sie das Tor hinter sich geschlossen hatten, ging ein mattes, warmes Licht an. Vor sich sahen sie eine breite Treppe, die sich nach oben wendelte. Die Stufen waren aus dunklem Holz und mit Teppichen belegt. Auf jedem Treppenabsatz zweigten Gänge ab.

      „Hier können viele Gäste untergebracht werden“, erklärte Aramar. „Ihr werdet euch wohl fühlen."

      In den Aufenthaltsräumen lagen Seidenteppiche. Überall standen Polsterstühle und Liegen. Sie waren mit rotem Samt bezogen. Vor den Fenstern hingen rote Brokatvorhänge. Die Wände des größten Raumes im zweiten Stock waren mit Stofftapeten bespannt. Aramar ging zu einer mit wunderschönen Intarsien versehenen Anrichte, holte geschliffene Gläser hervor und schenkte aus einer Karaffe eine goldgelbe Flüssigkeit ein.

      „Meint ihr, man kann das Zeug nach all den Jahren noch trinken?" fragte Galowyn.

      „Im Loron vergeht und verdirbt nichts. Die Zeit hat hier wenig Macht." Es war Axylia, die antwortete.

      Alle saßen erschöpft, müde und glücklich auf den Polsterstühlen. Sie genossen den Trank und seine berauschende Wirkung. Doch Aramar war unruhig.

      „Ich sollte erst einmal in das Herz des Loron steigen“, sagte er, „und mir die notwendigen Informationen besorgen. Willst du mich begleiten, Urial?"

      Dieser erhob sich stumm, und gemeinsam schritten sie die Treppe nach oben in unbekannte Gefilde. Die Zurückgebliebenen warteten noch eine Weile, wurden es dann aber müde. Sie machten es sich so bequem, wie es nur eben ging, und schliefen schließlich ein. Sie erwachten erst wieder, als ihnen Sonnenstrahlen durch die Fenster auf die Gesichter schienen. Fallsta und der Zwerg suchten zusammen mit Smyrna nach etwas Essbarem für das Frühstück. Sie schwärmten aus und fanden in den unteren Stockwerken weitere bequeme Salons und seltsame Wirtschaftsräume. Da war eine Küche ohne Esse und Feuerstelle, Vorratsräume mit seltsamen Behältern und Speisen. Bei ihrer Suche gelangten sie in einen Raum im Zentrum des Turmes. Er hatte keine Fenster, war leer, kreisrund und seine Wände dunkelblau gestrichen. In seiner Mitte stand ein Gestell, das eine große Kugel aufnehmen konnte.

      „Wir müssen Aramar fragen, wozu dieser Raum dient“, bemerkte Smyrna.

      Galowyn war derweil an eines der runden Fenster getreten. Sie sah hinaus in den Sonnenschein des Morgens und begann auf einmal zu singen. Sie sang mit heller, klarer Stimme eine schwierige Koloratur und dieses Lied leitete die Sonne von draußen in die Räume des Turms. Axylia saß still in einer Ecke und hörte der Gefährtin versonnen zu. Die beiden Zauberer kehrten aus dem Obergeschoß zurück. Sie machten sorgenvolle Gesichter. In diesem Moment betrat auch der Rest der Gruppe den Raum. Die Suche nach Nahrung war erfolglos gewesen. Aramar war geistesabwesend und reagierte nicht auf die Frage nach Lebensmitteln. So blieb der Gruppe nichts anderes übrige, als den noch vorhandenen Proviant auszupacken und das ausgetrocknete Brot langsam zu kauen.

      Während sie aßen, begann der Zauberer zu erzählen, was er und sein junger Genosse in der Nacht auf der Spitze des Turms erfahren hatten. Zuerst kam die gute Nachricht. Nowogoro sei noch nicht in der Hand des Feindes, und man werde zu verhindern wissen, dass der Feind das Kloster besetze.

      Urial stand feierlich auf und sagte stolz: „Wir haben heute Nacht den mächtigen Zauber der Alten wieder über

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