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      »Wer bist denn du?«, kam es mit viel Schneid von der resoluten grauhaarigen Dame und diese rückte ihre Brille zurecht. »Ein neuer Schüler vielleicht? Hat mich die Direktion schon wieder nicht informiert?« Sie gab einen abwertenden Zischlaut von sich und schüttelte das Haupt mit der Hakennase. Die Mädchen im Hintergrund giggelten noch lauter.

      »Sei es drum! Dir werd ich das Besenfliegen auch noch beibringen. Nur wer wagt, der gewinnt. Also bitteschön, wollen mal sehen, was du anderswo schon gelernt hast.«

      Ohne weitere Vorrede drückte die Frau Spike auch tatsächlich einen Besen in die Hand, während der sich noch fragte, ob er richtig gehört hatte. Ziemlich perplex schaute er das Kehrgerät an, an dessen vorderem Ende sich eigentümlicherweise die Lenker eines Fahrrades befanden. Etwas weiter hinten war dann ein passender Fahrradsattel montiert. All die herum stehenden Mädchen hatten im Übrigen auch solch ein verbessertes Kehrgerät zur Hand.

      »Na was ist denn nun?«, wurde die Dame mit dem spitzen Hut recht ungeduldig. »Wird das heute noch was oder brauchst du einen Vorturner? Pandora, wenn ich bitten darf!«

      Leises Maulen kam von der Dreierclique, während sich das Gothic-Mädchen mit den Flügeln lässig auf den Sattel schwang, das Wort ,Athelio‘ brüllte und sogleich mit dem Besen in den Himmel hinein startete. Mit offenem Mund schaute Spike ihr nach.

      »Na bitte, meine beste Schülerin ist schon gestartet. Worauf warten denn alle anderen? Braucht ihr noch Extraeinladungen, Mädchen? Und was ist mir dir, Dings ... neuer Schüler?« Mit mehr oder minder größerer Begeisterung starteten auch die anderen Mädchen durch. Nur Spike blieb zurück und spielte kurz mit dem Gedanken der verrückten Alten das Kehrgerät vor die Füße zu werfen. Dann aber zögerte er. Es war alles viel zu fantastisch, um wahr zu sein. War er vielleicht vorhin auf dem Nachhauseweg angefahren worden und lag jetzt im Koma und träumte daher solche Dinge? Wenn es tatsächlich nicht real war, warum sollte er dann nicht auch fliegen können? Also nahm er die Lenkergriffe in die Hand, schwang sich auf den Sattel und überlegte dann doch noch einmal. Auch wenn alles hier so irreal anmutete, so fühlte es sich doch wahrhaft gefährlich an. Doch was blieb ihm schon übrig? Wenn er zurück ins Haus ging, würde er sich nur wieder in den labyrinthhaften Fluren verlaufen. Wer konnte schon sagen, was dort noch für Schreckgestalten auf ihn lauerten?

      »Ja wird das denn heute nichts mehr?«, erregte sich die grauhaarige Dame. »Komm endlich in die Puschen, Kleiner!«

      »Dies ist meine Chance zu flüchten«, versuchte sich Spike einzureden. »So kann ich entkommen, egal ob es nun Einbildung oder doch real ist...«

      Bei letztem Gedanken schauderte es ihn dann aber doch. Wenn es doch die Wirklichkeit war, dann konnte sonst etwas passieren, er würde sich den Hals brechen beispielsweise. Schon begann der Zweifel in ihm seinen Triumphzug und er wollte schon wieder absteigen, als die Frau ihm die Entscheidung abnahm.

      »Du hast wohl deine Zunge verschluckt, was? Na macht nichts. Dann sag ich es eben für dich, falls du dich kurzzeitig nicht mehr daran erinnern kannst: Athelio!«

      »Nein!«, kreischte Spike, doch da hob der Besen auch schon ab und startete senkrecht in die Höhe.

      »Ja, nur weiter so!«, drang es von unten an sein Ohr. »Lenken aber nicht vergessen!«

      Mit aller Kraft klammerte sich Spike an den Lenker des Besens und starrte hinab zum Balkon, von dem er sich immer weiter entfernte.

      »He, du fliegst mir im Weg!« Eines der schwarzhaarigen blassen Mädchen zischte dicht an ihm vorbei, vor Schreck verriss Spike das Lenkrad und der Besen sauste erst schräg nach rechts, dann steil hinunter. Die hinteren Borsten streiften die Balkon-Balustrade. Mit fliegender Zunge langte an jener gerade der Labrador an, bäumte sich auf und bellte ihm hinterher.

      »Hilf mir!«, schrie Spike ihm zu, während er sich immer weiter von dem treuen Gefährten entfernte. Die Kontrolle über seinen Besen hatte Spike längst eingebüßt und näherte sich in Sturzflug dem Erdboden. Endlich schaltete sich sein Gehirn wieder ein und er riss den Lenker nach oben. Damit wehrte er den Crash ab, doch nun gebärdete sich der Besen mit einem Mal wie ein Wildpferd, er ruckelte und buckelte und sauste dabei dicht über den mit Gras bewachsenen Boden hinweg, um dann mit einem Mal wieder in die Höhe zu sausen.

      »Lass mich leben!«, brüllte Spike gegen den Zugwind an, doch der Besen hatte offenbar anderes vor. Angekommen in einiger Höhe, scherte er nach hinten aus und überschlug sich dabei. Schon hielt sich Spike nur noch mit den Händen am Lenker fest und hing dabei herab. Im Zickzackkurs ging es weiter, ein Stück herab und wieder hinauf. Lange würde er sich nicht mehr halten können.

      Heulen und Kläffen kam vom Balkon her, wo sich der Labrador Retriever vor lauter Verzweiflung im Kreis drehte. Die Dame mit dem spitzen Hut war schon zur Balustrade geeilt und all ihre Schülerinnen hatten längst zur Landung angesetzt.

      »Was macht er da nur?«, fragte sich die alte Frau und schaute durch ihre Sehhilfe, die sich an einem kunstvollen Stab befand, gleich einer Lorgnette. »Will der sich umbringen? Das sieht so aus, als wäre er noch nie geflogen.«

      »Ist er auch nicht!«, keuchte es neben ihr, wo plötzlich der hochgewachsene Farbige mit den spitzen Eckzähnen stand. Er rang die Hände. »Bitte retten Sie den Jungen!«

      Die alte Dame rollte mit den Augen, »Es ist doch immer dasselbe mit euch jungen Leuten. Wann lernt ihr es endlich? Übermut tut selten gut!«

      Sie machte eine energische Bewegung mit der linken Hand wie eine Dirigentin und zeitgleich hörte der Besen auf zu buckeln, an dem sich Spike fast nicht mehr klammern konnte. Sanft schwebte das Kehrgerät sodann Richtung Erdboden und näherte sich dabei einem neuen unvorhersehbaren Ereignis.

      Im breitbeinigen festen Stand und mit angewinkelten Armen verharrte eine Person mit Glatze auf der Wiese, welcher sich der schwebende Junge nun näherte. In Spikes Augen handelte es sich dabei um einen jungen Mann, vielleicht gerade einmal in seinem eigenen Alter. Spike, dem die Stimme inzwischen versagt hatte, musste ungläubig mit ansehen, wie sich ein Löwe ohne Mähne fauchend dem Jungen näherte. Weit hatte das Tier den Rachen aufgerissen, nun blieb es stehen und hob drohend eine der Krallentatzen. Ganz nah war es dabei seinem offenkundig hilflosen kahlköpfigen Opfer und Spike näherte sich auf direktem Kurs jener Raubkatze. Schon schwebte er kaum einen Meter direkt über dem Rücken des Biestes. Ein Kloß saß ihm im Hals, doch zeitgleich verspürte Spike dasselbe warme Gefühl in seinem Bauch, wie es heute schon einmal aufgetreten war. Ohne lange zu zögern, ließ er den Besenstiel los und landete der verdutzten Großkatze mitten im Nacken. Unter seinem Gewicht ging jene fauchend in die Knie und der Junge ohne Haare guckte reichlich erstaunt aus seinem weit geschnittenen Sweatshirt.

      »Was soll denn das werden, wenn es fertig ist?«, raunte der Kahle, da buckelte der Löwe auch schon heftig, Spike wurde durch die Luft katapultiert und war selbst am erstauntesten, dass er eine Sekunde später keine unsanfte Begegnung mit dem harten Boden machte, stattdessen fing ihn der Typ mit der Glatze auf. Einen Moment sahen sich beide gleichermaßen verwirrt ins Angesicht. Dabei entging Spike nicht, dass sein Gegenüber zwei verschiedenfarbige Augen besaß.

      Das Fauchen des Löwen brachte Spike wie den Kahlkopf ins Jetzt zurück. Gerade bäumte sich das Tier fauchend auf. Vor Schreck riss Spike die Hände in die Höhe und bedeckte mit ihnen sein Gesicht. Schon harrte er der scharfen Zähne, die sich gleich unweigerlich in sein Fleisch schlagen würden. Doch nichts geschah. Nach einer atemlosen Pause schielte er zwischen den Fingern hindurch. Denn er vernahm ein leises Fluchen. Dieses kam eindeutig vom mähnenlosen Löwen her, dessen Pfoten im Boden steckten, als sei er in Treibsand geraten. Doch der Grund war nicht flüssig, sondern sehr fest und er hatte einige Mühe, überhaupt eine Tatze wieder frei zu bekommen. Als er dann alle vier heraus geschuftet hatte, setzte er einen sehr trotzigen Gesichtsausdruck auf. Unter Spikes sagenhaft verdatterten Blicken machte der Löwe Männchen und begann sich zu verändern. Das Fell verwandelte sich in weißen, geblümten Stoff und aus der ganzen Raubkatze wurde binnen Sekunden ein höchstens sieben Jahre altes Mädchen, mit dunkler Haut und Rastazöpfen. Dieses schob die Unterlippe vor und verschränkte die Arme: »Ich dachte das sollte ein fairer Kampf werden! Warte nur, wenn ich dich

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