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sich der Schwarze um, erblickte dann das Spiegelbild und zuckte erst leicht zusammen, bevor er aufatmete. »Ach so.«

      Derweil war Spike bei seinem vermeintlichen Retter angelangt und das kalte Grauen packte ihn abermals. Zwar handelte es sich tatsächlich um einen Mann im Anzug, doch hatte dieser keinen Kopf! Zumindest saß der nicht zwischen den Schultern, wie weit verbreitet. Stattdessen hatte sich der Mann den Schädel unter den Arm geklemmt.

      Nach links bog der Gang an dieser Stelle ab und wie vom Teufel geritten stürzte Spike weiter, hinfort von der kopflosen Gestalt. Sein Verfolger heftete sich wieder an seine Fersen.

      »Hilfe!«, brüllte Spike aus voller Kehle und eine Tür öffnete sich an der linken Seite des Korridors. Ein runzliger alter Herr streckte den Kopf auf dem langen, dürren Hals heraus. Er trug einen schwarzen Männer-Kimono, besaß einen geflochtenen Zopf, krumme Krallen an den Fingern und eine leichenblasse Haut, die mit einem zarten grünen Haarflaum überzogen war.

      Für einen kurzen Augenblick stoppte Spike und starrte dem Fremden ins schauderhafte Angesicht. Jener schaute ihn mit ebensolchem Interesse von oben bis unten an, wobei er die spitzen Zähne bleckte, die schon einem Vergleich mit dem Gebiss eines Hais standhalten konnten. Leicht begannen die übertrieben langen Augenbrauenhaare des alten Mannes zu beben, als auch der dunkelhäutige Riese keuchend anlangte.

      »Hulk!«, schnauzte der alte Kimonoträger den Farbigen an. »Es ist verboten, Appetithappen mit in die Universität zu bringen! Sieh sich einer diese Schweinerei an! Von oben bis unten mit Blut verschmiert!«

      Schreiend wie ein kleines Mädchen raste der besudelte Spike daraufhin weiter. Sich eifrig entschuldigend folgte ihm der Lange, als würde er dem Jungen am Hacken kleben. Unterdessen wetterte der Alte mit dem schauderhaften Aussehen noch weiter: »Du wirst es nie lernen, Hulk! Wie oft muss ich dir das noch vorbeten? Es gibt doch nur sechs einfache Regelsätze der Jagd: 1. Im Dunkeln lauern. 2. Geeigneten Blutspender auswählen. 3. Hypnotisieren. 4. In Maßen genießen. 5. Erinnerungen löschen und 6. Das Opfer an einen Ort bringen, wo es schnell gefunden wird und Hilfe rufen, damit der Blutspender versorgt wird. Da ist keine Rede von Blutbädern, wilden Verfolgungsjagden oder dergleichen!«

      »Natürlich, Sir!«, brüllte der Farbige über die Schulter und stoppte vor einem weiteren Wandspiegel. Ohne sich umzuschauen, rannte Spike unterdessen weiter. Die Flure schienen gar kein Ende nehmen zu wollen. Immer wieder gab es neue Biegungen und abzweigende Korridore.

      »Er hat einfach Angst vor mir«, murmelte der Lange vor dem Spiegel zu sich selbst, »aber ich weiß schon, wem der Junge vertrauen würde.«

      Keuchend musste Spike zwei Gänge weiter anhalten und nach Luft schnappen. Er war es nicht gewohnt, so lange und ausdauernd zu rennen. Hinter sich hörte er keine Schritte mehr, so als hätte er den Verfolger abgeschüttelt. Auf leisen Sohlen weiter schleichend, bog er um die nächste dunkle Ecke und stieß prompt mit etwas sehr flauschigem zusammen. Zunächst hielt er es für einen Schäferhund, doch der Haarberg entpuppte sich nur allzu schnell als Wolf mit blütenweißem Fell, der sich zur Größe eines Reitponys auf seinen vier Pfoten aufstellte. Ein bedrohliches Knurren kam aus der Kehle des edlen Tieres, dem der Junge direkt in die Pupillen starrte. Das linke Auge des Wolfes leuchtete in einem frühlingshaften Grün während das andere eindeutig haselnussbraun war.

      Wieder kam ein Brummen aus der Kehle des Wolfes und flach drückte sich der Junge an die Wand. Ein Kläffen war in dem Teil des Ganges zu hören, den Spike gerade verlassen hatte. Mit lang heraushängender Zunge nahte ein schokoladenbrauner Labrador. Ein Schnauben entwich dem riesigen Wolf und dieser trabte davon und verschwand im Dunkel eines abzweigenden Ganges.

      »Du, hier?«, keuchte Spike atemlos und umarmte den wohl bekannten doggengroßen Hund. Dieser wedelte unaufhörlich mit der Otterrute.

      »Bitte bring mich hier so schnell es geht heraus! Hier scheinen alle verrückt geworden zu sein ... oder vielleicht habe auch ich den Verstand verloren! Stell dir nur vor, ich habe Trolle, Vampire und Monster gesehen!«

      Leicht legte der Labrador Retriever den Kopf schief. Im Blick seiner grauen Augen lag etwas Mitleidiges.

      »Kannst du mich aus diesem Labyrinth heraus führen?«

      Wie zur Bestätigung gab der Hund ein Kläffen von sich, doch da überschlugen sich die Ereignisse abermals. Mit Quietschen öffnete sich eine weitere der vielen Türen, die sich an der linken Wand des Ganges befanden. Während Spikes Herz kurz aussetzte, da er sich schon ausmalte, was für eine Schreckensgestalt nun auf den Plan treten würde, erschien schon fast zu seinem Bedauern nur ein schlankes Mädchen in der Tür, deren blondes Haar ihr den ganzen Rücken hinunter floss. Etwas erstaunt schaute sie auf den Jungen und den Hund herab.

      »Wirst du auch hier gefangen gehalten?«, keuchte Spike und kam endlich wieder auf die Füße. »Schnell, wir müssen fliehen. Jetzt oder nie.« Schon griff er nach der Hand des Mädchens, welche sie aber zurückzog.

      »Wie bitte? Ich bin keine Gefangene, sondern eine Austauschschülerin. Mein Name ist Cinderella. Ich brauche keine Hilfe ... sehe ich etwa so aus? Was für eine Frechheit!«

      Hinter dem blonden Backfisch schnaubte es und aus dem Zimmer trat eine eigenartige Kreatur heraus, garantiert zweieinhalb Meter hoch. Mit breiten Schultern, bekleidet nur mit einem Lendenschurz. Schiefe Zähne saßen im Mund des Wesens, das leise knurrte und auch wenn es ansonsten recht menschlich wirkte, so hatte es doch nur ein einziges Auge im Gesicht, das direkt über der Nasenwurzel saß. Ungläubig stierte Spike den Unhold an. Zweifelsohne glich er den Zyklopen aus einem seiner Lieblingsspiele.

      Dies konnte nicht die Realität sein, oder vielleicht doch?

      »Du bist wohl neu hier«, kam es reichlich hochnäsig von dem blonden Mädchen mit den spitzen Ohren, dann fiel deren Blick auf den braunen Hund. Verzückt rang sie die grazilen Hände. »Oh! Da ist das süße Schoki-Hundi wieder!«

      Hinter ihr schnaufte der einäugige Riese und trat ruckartig einen Schritt vor. Schon drückte sich Spike wieder gegen die Wand, rutschte langsam an ihr entlang und von dem Scheusal weg. Hin und her gerissen schaute der Labrador Retriever zu ihm und dann wieder zu dem blonden Mädchen, das mit Engelsstimme versuchte ihn anzulocken. Leises, schon leicht verzweifelt klingendes Winseln kam aus der Kehle des Hundes.

      »So ein braver Junge«, raspelte das Mädchen Süßholz, »am liebsten würde ich dich knuddeln!« Leicht legte der Labrador den Kopf schief, hechelte und guckte etwas verträumt, doch statt der Hände des Mädchens schnellten nun die haarigen Arme des Zyklopen vor, packten den Hund und drückten ihn gegen die kräftige Brust.

      »Hündchen!«, brüllte der Riese aus voller Kehle und freute sich wie ein Kleinkind unter dem Weihnachtsbaum. Glockenhelles Lachen kam von dem Mädchen und Spike schüttelte die Panik, er fuhr herum und rannte laut schreiend weiter den Gang entlang. An die Rettung seines Hunde-Kumpels konnte er in diesem Moment überhaupt nicht denken, stattdessen sah er endlich ein Licht am Ende des »Tunnels« und stürzte darauf zu. Wie sich heraus stellte, befand sich dort eine Glastür, die sich auch ohne Widerstand zu leisten, mit dem herunterdrücken der Türklinke und etwas Schieben öffnen ließ.

      Immer noch aus voller Kehle brüllend stürzte Spike hinaus ins gleißende Tageslicht, das ihn einen Moment lang blendete. Er raste weiter über den ebenen gekachelten Boden, bis ihn eine brusthohe Balustrade stoppte. Da erst wurde er gewahr, dass er sich nicht ebenerdig, sondern auf einer Terrasse befand. Mindestens vier Stockwerke ging es in die Tiefe. Viele Lichter hier oben und unten am Boden machten die Nacht fast zum Tage.

      Beim Anblick des Abgrunds versagte Spike die Stimme und zu seiner Bekümmerung war er auch nicht allein. Ein halbes Dutzend Mädchen standen auf dem Balkon und guckten ihn teilweise entsetzt, teilweise geringschätzig an. Drei Grazien mit schwarzem Haar und vornehmer Blässe kicherten albern hinter vorgehaltener Hand. Ein anderes Mädchen im schwarzen Gothic-Lolita-Look mit bauschigem Petticoat Rock kaute lustlos auf einem Kaugummi. Ihrem Rücken entsprangen zweifelsohne zwei orangeschwarze Monarchsfalterflügel von mindestens zwei Metern Spannweite.

      Die letzten zwei jungen Damen waren mit Umhängen, Röcken und Blusen aus

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