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sie in einen anderen Korridor ein, als Spike endlich eine Frage in den Sinn kam, die nicht gleich sein ganzes Weltbild erneut kollabieren ließ: »Du sagtest vorhin, du kennst den Labrador Retriever mit dem braunen Fell? Ich habe ihn vorhin hier gesehen, doch dann war er wieder verschwunden.«

      Vor einer Zimmertür blieben sie just stehen und Hulk nickte eifrig. »Klar kenne ich den Vierbeiner. Wir zwei ... öhm ... sind krass beste Kumpel. Der kommt immer mal zu Besuch hier her und dann verschwindet er wieder ... vielleicht erscheint er ja wie ein Phantom gleich morgen zum Frühstück! Er ist voll der Checker! Der ist immer da, wo was Gutes zu Essen abfällt.«

      Mit einem goldenen Schlüssel, dessen Ende geformt war wie ein Knochen, öffnete Hulk das Türschloss, das in Gestalt eines Totenschädels gefertigt war. Drinnen flackerten die Wachskerzen, die wie durch Magie gar nicht kleiner wurden. Spike ließ den Blick schweifen. Die Ratte huschte zwischen seinen Füßen hindurch und verschwand in einem unordentlich in die Ecke gefeuerten Wäschestapel, wobei sie den Jungs eine gute Nacht wünschte. Doch Spike ließ sich von dem sprechenden Nagetier nicht weiter beirren, dafür glotzte er auf das eigentümliche Bett, in dem er vorhin aufgewacht war. Von dem gab es in der diagonal gelegenen Ecke des Zimmers noch eine zweite Ausführung.

      »Sind das echte Särge oder spinne ich doch nun endgültig?«, zauderte Spike ein wenig.

      »Ja, Mann. Das ist ein Scherz des Direktors. Alle hier schlafen in großen, gepolsterten Särgen. Das findet er kreativ und passend. Hat halt auch nicht alle Birnen im Kronleuchter. Na dann, schlaf gut.«

      Der Lange gähnte, verschwand kurz hinter einem Paravent und kam im weißen Nachthemd wieder hervor, das ihm nur bis zu den Knien reichte. Im Kontrast zu seiner dunklen Haut ließ ihn die helle spitzenbesetzte Robe ziemlich schaurig wirken. Dann packte er sich auch schon in den Sarg, in den er auf Grund seiner Länge nur ganz haarscharf passte, zog sich eine geblümte Decke über den Kopf und schon herrschte Grabesstille.

      Nach und nach erloschen die Kerzen an den Wänden durch Geisterhand und es wurde düster im Zimmer. Nur mit viel Überwindung legte sich Spike in seine Koje. Der blutrote Samt war anschmiegsam, ohne Frage - aber auch schaurig zugleich.

      »Was ich dir noch unbedingt sagen wollte, Mann«, drang es von dem anderen Bett herüber, »du bist echt der Mega-Ober-Knaller! Respekt! Ich dachte immer, ich sei der Meister des Chaos, aber das war nichts im Vergleich zu dem Tohuwabohu, das du heute angerichtet hast. Also echt, du fetzt! Du bist wohl ein Adrenalin-Junkie allererster Güte ... was du alles binnen keiner Stunde angestellt hast, dafür bräuchte ich Tage. Erst überträgt dir eine Hexe ihre Kräfte, dann nimmt du es mit dem fiesesten Jäger diesseits und jenseits des Meeres auf, danach mischt du die Schule kräftig auf, reitest auf einem Besen und legst dich auch erfolgreich mit dem Lupo an! Du rockst, in echt!«

      Danach wurde es wieder still im Raum und Spike gab nur ein gekünsteltes kurzes Lachen von sich. So verrückt das alles auch war, empfand er doch einen gewissen Stolz. Nicht etwa wegen dem ganzen Zeug, das er angeblich getan hatte, sondern darauf, dass ihn jemand bewunderte. Das war noch nie zuvor geschehen, jedenfalls nicht, dass er sich erinnern konnte. Vielleicht hatte sein Vater schon einmal geäußert, er wäre stolz, als Spike wieder mit einem Sternchen in Mathe oder Physik nach Hause kam. Aber eine Klausur zu schreiben war doch etwas Anderes, als eine »Heldentat« zu begehen, die ein Fremder bewunderte. Das ging runter wie Öl, das musste Spike zugeben.

      Etwas dümmlich grinste er vor sich hin und zog sich die Bettdecke bis unter das Kinn. Ihm war klar, dass er in diesem unheimlichen Gemäuer nie ein Auge zumachen konnte. Dennoch versuchte er es und siehe da, keine fünf Minuten später schlummerte er auch schon selig.

      »Oh nein!«, hallte es durchs ganze Zimmer und Spike saß sofort senkrecht in seinem Sarg. Alles war hell erleuchtet und für einen Moment wusste er gar nicht, wo er war. Dann aber kam die Erinnerung zurück und er befürchtete sofort Schreckliches. Wurden sie angegriffen, hatte ihr letztes Stündlein geschlagen?

      »Wir haben voll fett verpennt!«, reichlich kopflos stürzte Hulk durch das Zimmer, wühlte in Schränken und im Wäschehaufen, wobei er die schnarchende Ratte aufschreckte. »Wenn wir zu spät zum Unterricht kommen, droht uns die Folterkammer!«

      »Im Ernst?«, Spike fing schon an mit den Zähnen zu klappern.

      »Äh ... keine Ahnung. Weiß keiner, denn bisher waren immer alle pünktlich. Aber jetzt raus aus den Federn! Mit Frühstück ist leider Essig, Alter. Fettes Sorry!«

      Weiter kramte Hulk hektisch herum, zog sich eine viel zu kurze Hochwasserhose an und hüllte seine hagere Gestalt in ein zerknittertes gelbes Hawaii-Hemd mit Blumenaufdruck.

      »Was für ein Aufstand«, gähnte die Ratte und reckte sich, »dabei ist es doch immer knapp vor schnapp. Nicht wahr, Amigo? Pünktlichkeit ist nicht unsere Stärke.«

      Während sie nun schwadronierte und der Junge weiter in einem anderen Wäschehaufen wühlte, konnte sich Spike nur wundern. Denn neben seinem eigentümlichen Bett hatte jemand eine Sporttasche, einen Rucksack und mehrere Jutebeutel deponiert. Da ihm die Taschen äußerst bekannt vorkamen, öffnete er eine davon und staunte noch mehr. Denn darin befanden sich all seine Habseligkeiten, wie er nach kurzer Inspektion feststellte. Angefangen von seinen Klamotten, über Bücher, Poster und sogar seine Spielkonsole nebst Flachbildfernseher, den man auch herangeschafft hatte.

      »Wer ist denn der Typ?«, die Ratte war heran gehuscht und hatte eines der Poster, die berühmte Physiker zeigten, hervorgekramt. »Die Frisur ist ja der Hammer!«

      »Das ist Albert Einstein«, ächzte Spike, »den kennt doch echt jeder.«

      »Also ich nicht«, tat die Ratte kund, »du etwa, Großer?«

      Statt zu antworten wedelte Hulk nur wild mit den Armen, »Das war kein Scherz, Alter! Wir müssen echt loswetzen und unser Klassenzimmer aufsuchen!«

      Spike tat ihm den Gefallen und sputete sich. Doch kaum hatte er das befleckte Hemd gegen ein frisches getauscht, packte der Lange ihn auch schon am Arm und zerrte ihn aus dem Zimmer. Dazu, den Rest seiner Garderobe zu wechseln, kam Spike nicht mehr.

      »Und jetzt legt mal flott einen Zahn zu!«, kam es von der Ratte, die gut reden hatte. Schließlich hockte sie auf dem Kopf von Hulk, inmitten des Haarwustes. Im wilden Zickzackkurs ging es durch Flure und um Biegungen herum, in ein anderes Stockwerk hinab und immer weiter durch verschachtelte Gänge.

      Spike konnte nur staunen, wie es möglich war, sich hier zu orientieren. Er gab jedenfalls sein Bestes, um Hulk nicht aus den Augen zu verlieren. Doch dessen Beine waren wesentlich länger und der Abstand zwischen ihnen wurde immer größer. Am Ende dieses Flures bog der Lange dann nach links. Keuchend versuchte Spike aufzuschließen, als ein Löwe ohne Mähne an ihm vorbei schoss. Mit großen Augen starrte er das Tier an.

      »Na dann bis später, lahme Schnecke!«, giggelte die Löwin mit hoher Mädchenstimme und bog um die nächste Ecke.

      Die Frechheit beflügelte Spike immerhin etwas und er legte einen Zahn zu, fegte um die Kurve und stieß frontal mit einem dahin schlurfenden Riesen zusammen.

      »He!«, grunzte der zweieinhalb Meter große Typ. Den kannte Spike schon von gestern. Schließlich war er mit seinem einen Auge unverkennbar.

      »Wer eigentlich du sein?«, grunzte der Zyklop. Spike, der ziemlich unsanft auf seinem Allerwertesten gelandet war, richtete sich gerade leise schimpfend wieder auf. Von dem Löwen oder von Hulk war weit und breit nichts zu sehen.

      »Warum du immer rennen als sein Teufel hinter dich her?«, schnauzte ihn der Riese plötzlich an, hielt dann aber inne. »Du sein Mensch, oder? Aber die hier nichts haben verloren ... die einzigen Menschen die kommen her sein Jäger - du sein einer?«

      Dabei schreckte der Zyklop, mit den vorstehenden Schneidezähnen, zusammen und wich rückwärts aus. Einen Moment lang konnte sich Spike nur wundern über das Gebaren des eben noch so fürchterlichen Unholds, der nun zu zittern begann. Es war genau dieser Moment, in dem Spike klar wurde, dass er hier sein konnte, wer er wollte. Der Direktor hatte es gestern unmissverständlich formuliert. Für Spike würde hier ein

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