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nicht davon abbringen können, für die Tour nach Satipo den alten Jeep gegen ein neues Modell zu tauschen. Sie zöge es vor, nicht aufzufallen, erklärte sie ihm, doch sie erntete damit nur einen Lacherfolg. Groß und für peruanische Verhältnisse blond, sei sie doch ohnehin bereits von weitem als Europäerin oder Nordamerikanerin zu erkennen, da käme es auf das Auto auch nicht mehr an. Er sei aus dem Alter heraus, stundenlang am Straßenrand zu stehen, um den Wagen zu reparieren, war sein Argument, dem sie nicht viel entgegenzusetzen hatte. In den Kordilleren mit der dünnen Luft brauche man außerdem einen guten Motor, und mit schlechten Bremsen in die Berge zu fahren, sei ihm zu gefährlich. Auch wieder wahr. Sie konnte ihn lediglich überreden, eine Diebstahlversicherung für den Leihwagen abzuschließen. Als sie die Rechnung für den eleganten, weißen Off-Roader sah, musste sie schlucken. Roberto beglich sie, ohne mit der Wimper zu zucken.

      Ihr Schädel brummt, sie hat gestern eindeutig zu viel getrunken. Sie leidet still vor sich hin, denn Robertos Spott wäre ihr sicher, wenn sie sich jetzt beklagte. Er hat ihr mehrfach eindeutige Blicke zugeworfen, als sie sich am Abend von Jorge immer wieder Rotwein nachschenken ließ. Schließlich hatte sie mittags bereits mit Pisco Sour angefangen, das hält der beste Kopf nicht aus, jedenfalls nicht, wenn man um fünf Uhr aufstehen muss. Doch auch darauf hat Roberto bestanden, weil er vor Einbruch der Dunkelheit in Satipo sein will.

      Die Bahnstrecke zum Gipfel des Ticlio verläuft neben der Straße, und Rosa-Li ist froh, dass sie die Tour nicht mit dem Zug machen muss. Allein bei dem Gedanken, über die vielen schmalen Eisenbahnbrücken fahren zu müssen, die über die tiefen Schluchten und Täler führen, werden ihr die Knie weich.

      Roberto macht an einer Raststätte Halt. Sie sind auf dreitausendfünfhundert Meter Höhe angelangt, das besagt zumindest ein Schild. Als Rosa-Li die Autotür öffnet, reißt der Wind sie ihr fast aus der Hand. Eisige Kälte schlägt ihr entgegen. In der Gaststätte ist es auch nicht viel wärmer. Sie bestellen Coca-Tee, der angeblich die dünne Luft besser ertragen lässt, doch sie selbst hat davon nie etwas gespürt. Ihr Kreislauf sackt trotzdem ab. Aber der Tee wärmt wenigstens durch.

      Einige Männer am Nebentisch sitzen vor riesigen Tellern mit dampfender Suppe aus Mais, Kartoffeln und fettem Schweinefleisch. Ihr würde schlecht, wenn sie die in dieser Höhe essen müsste. Doch der Mensch gewöhnt sich an alles.

      »Glaubst du immer noch, dass Jorge in irgendwelche dunklen Machenschaften verstrickt ist?«, fragt sie.

      »Schwer zu sagen. Immerhin wissen wir jetzt aber, dass seine Frau nicht in Lima, sondern auf einer Tagung in Cusco war, als der Mord passierte. Und sie hätte ein Motiv gehabt, Alejandra ins Jenseits zu befördern. Eifersucht.«

      »Das stimmt zwar, doch ich kann mir nicht vorstellen, dass Laura... nein, wirklich nicht. Jorge und Alejandra hatten seit ein paar Wochen einen Klüngel, mehr nicht. Deshalb bringt man doch niemanden um. Es ist auch nicht gesagt, dass sie überhaupt etwas davon wusste. Außerdem kann man nachprüfen, ob sie auf der Tagung war und wann sie sie verlassen hat. Und wenn sie von Cusco aus zum Machu Picchu gefahren wäre, hätten wir sie doch sehen müssen«, wendet Rosa-Li ein.

      »Nicht notwendigerweise. Wenn sie am Freitag einen früheren Bus hinauf genommen hat als wir, gleich auf ihr Hotelzimmer gegangen ist und das erst wieder verlassen hat, nachdem wir am Samstagmorgen bereits mit Jorge zur Besichtigung aufgebrochen waren, mussten wir sie nicht notwendigerweise sehen. Sie begeht den Mord, kurz bevor morgens der erste Bus heraufkommt und fährt mit dem wieder nach Aguas Calientes zurück. Und nimmt dort gleich den ersten Hubschrauber nach Cusco.«

      »Du hast Recht, so hätte es gewesen sein können. Trotzdem: Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass eine berühmte Menschenrechtsanwältin und Präsidentenberaterin einen Mord aus Eifersucht begeht. Und außerdem ist sie eine ganz liebe, warmherzige Frau, die tut bestimmt keiner Fliege etwas zu Leide.«

      Roberto lacht, greift nach ihrer Hand und küsst sie. »Ein Ehedrama passt dir nicht in den Kram, sei doch ehrlich, Rosita! Du bist geldgierig, meine Liebe. Aber du hast Recht, auf mich machte Laura gestern Abend auch einen sehr netten, freundlichen Eindruck. Und sie scheint eine Gerechtigkeitsfanatikerin zu sein.« Er winkt dem Kellner. »Lass uns weiterfahren. Je schneller wir in Satipo sind, desto eher wissen wir, was gespielt wird.«

      Er lässt es sich trotz der Eile nicht nehmen, auf dem Gipfel des Ticlio anzuhalten. Rosa-Li möchte die verschneite Berglandschaft vom Auto aus bewundern, doch Roberto öffnet die Beifahrertür und zieht sie aus dem Wagen. »Komm, ich will wissen, wie es ist, auf 4815 Metern Höhe zu küssen. Es ist unglaublich schön hier.«

      Widerwillig steigt sie aus. Sie hat das Gefühl, ihr Kopf platzt gleich und ihr Gesicht ist hochrot. Jedenfalls glüht es, obwohl sie friert. Wieso strotzt dieser Kerl auch hier oben in der dünnen Luft vor Energie? Sie wünscht sich sehnlichst in tiefere Gefilde zurück. Die Anden waren noch nie ihr Ding. Und schön? Sie sieht nur schneebedeckte Berge, unter einem Nebelschleier noch dazu. Doch sie ist zu schlapp, um zu protestieren. Es ist eiskalt, und so lässt Roberto sich nach wenigen Minuten überreden, weiterzufahren.

      Auf der Strecke durch das karge Hochgebirge kommt ihnen eine Gruppe von Männern in roten Arbeitsoveralls im Gänsemarsch entgegen. Sie alle tragen Grubenlampen an ihren weißen Sturzhelmen. Minenarbeiter auf dem Weg in die triste Barackensiedlung, an der sie gerade vorbeigekommen sind. Wie sauer sie ihr Geld verdienen! Nach acht, zehn Stunden unter Tage bleibt ihnen hier oben nur, sich zu besaufen. Der nächste Ort ist weit, ein Kino oder Sportmöglichkeiten hat sie zumindest nicht gesehen. Und die Landschaft ist auch nicht gerade anheimelnd. Sie haben die Baumgrenze bereits hinter sich gelassen.

      »Man müsste mal eine Reportage über das Leben der Mineros hier oben machen. Ich stelle es mir ganz schön hart vor. Die werden bestimmt nicht alt«, sagt Rosa-Li.

      Roberto nickt. »Hast du die Lagune gesehen, an der wir vorhin vorbeigekommen sind? Auf der Wasseroberfläche lag ein dicker silbriger Film. Die Minengesellschaft kippt da irgendwelchen giftigen Abfall rein. Bestimmt ist die ganze Gegend hier ziemlich verseucht. Vermutlich gelangt der Dreck auch ins Trinkwasser.«

      »Was holen die hier wohl aus der Erde?«, fragt sie.

      »Im Reiseführer stand etwas von Blei und Kupfer.«

      Sie kommen am Nachmittag in Satipo an. Ein heißes, seelenloses Provinznest, irgendwann in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts von Siedlern aus dem Boden gestampft, die die Weiten des Amazonasgebietes erschließen wollten, weil sie sich hier ein einfacheres Leben als im Andenhochland erhofften. Ein schlichtes Flachdachhaus gleicht dem anderen. Der architektonische Einfallsreichtum wird allenfalls von deutschen Nachkriegssiedlungen oder sozialistischen Plattenbauten übertroffen.

      In den Schaufenstern der Geschäftsstraße liegt nichts als Ramsch aus Fernost. Rosa Nylonblüschen mit Rüschen, japanische Markenfernseher, zu billig, um echt zu sein, klotzige goldene Uhren für ein paar Soles. Wer Geld hat und Geschmackvolleres sucht, fährt zum Einkaufen nach Lima. Oder fliegt nach Miami.

      In einer Seitenstraße finden sie ein kleines Hotel, in dessen Hinterhof sogar Platz für das Auto ist. Rosa-Li war nicht wohl bei dem Gedanken, die Luxuskarosse nachts auf der Straße stehenzulassen. Wenn ihnen der Wagen gestohlen würde, könnten sie sich den Rest ihrer Ferien mit Polizei und Versicherung rumschlagen. Nicht auszudenken!

      Rosa-Li hätte sich nach der Fahrt zu gern ein Weilchen aufs Ohr gelegt, doch Roberto drängt. »Wenn wir diese Elena Cruz heute noch finden wollen, müssen wir uns auf die Socken machen. Damit sie nicht Feierabend macht, bevor wir kommen.«

      Nachdem ihnen der junge Mann an der Rezeption die Adresse des örtlichen Krankenhauses genannt hat, das dem Hotel am nächsten ist, brechen sie sofort auf. Doch in dem Hospital arbeitet keine Elena Cruz. Einer plötzlichen Eingebung folgend, fragt Rosa-Li die Schwester am Empfang nach einem Familienplanungsprojekt in der Stadt, denn womöglich hat Jorges Programm für arme Frauen eine Zweigstelle in Satipo, und Elena arbeitet dort. Die Schwester schaut sie zunächst skeptisch an, doch dann nickt sie. »Ja, es gibt hier eine Familienplanungsstation.«

      »Stimmt etwas nicht mit der Station?«, fragt Rosa-Li.

      Die Schwester zögert einen Moment, aber dann antwortet sie doch.

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