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Nur ein Tropfen Leben. Christina M. Kerpen
Читать онлайн.Название Nur ein Tropfen Leben
Год выпуска 0
isbn 9783847686248
Автор произведения Christina M. Kerpen
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Leise betritt das rothaarige Mädchen das vertraute Herrenhaus und schleicht sich in Richtung Bürotür. Ihr Mund ist trocken und sie versucht sich die passenden Worte zur Begrüßung des alten Herren zurechtzulegen, doch ihr Gehirn ist wie blockiert. Sie glaubt, dass ihr nervös und heftig pochendes Herz im ganzen Haus zu hören sein müsste. Sie selber spürt es bis in den Hals und vor Aufregung merkt sie ein nie gekanntes Brennen unter dem Brustbein.
Die Türe zum Büro ist nicht ganz geschlossen und durch den Spalt kann Carol Mr. Carpenter hinter seinem Schreibtisch erkennen. Er schreibt offensichtlich einen Brief und ist vollkommen in seine Arbeit vertieft. Ein Lächeln fliegt über ihr Gesicht. So leise, wie sie gegangen ist, so leise und fast unbemerkt taucht sie, wie aus dem Nichts, wieder auf.
Das Mädchen klopft an das Holz des Türrahmens und tritt ein, ohne die entsprechende Aufforderung abzuwarten, denn sie möchte den Moment des Erkanntwerdens und die unweigerliche Strafpredigt so schnell wie möglich hinter sich bekommen.
„Hallo, Mr. Carpenter, hier bin ich wieder, wie der berühmte falsche Nickel, den man einfach nicht loswerden kann.“ Ihre Stimme ist leise und fast tonlos, ihr Lächeln ungewohnt angstvoll.
Carpenter blickt hoch. Ein Strahlen geht über sein Gesicht, er schiebt den Sessel zurück, springt auf, wie ein Fünfundzwanzigjähriger und stürmt auf das verlorene Schäfchen zu. Er umarmt das Girl heftig und das ist für das Kind fast wie ein Erlösung. Sie fällt ihm um den Hals und spürt seine trockenen Lippen auf ihrer Stirn.
Aufatmend presst der Rancher das zurückgekehrte Wesen an sich und flüstert: „Du dummes, kleines Mädchen, was hast Du uns bloß für Sorgen bereitet, aber jetzt wird gottlob alles wieder gut.“
Sehr, sehr leise und noch immer fast tonlos haucht Carol: „Es tut mir so furchtbar leid, dass ich Ihnen so viel Kummer gemacht habe, aber mir ist es gar nicht bewusst gewesen, dass mich andere so lieben könnten, dass ich ihnen mit meinem Weggang weh tun könnte. Ich dachte einfach, da ich meine Arbeit nicht mehr lange hätte ausführen können, wäre eine Kündigung die beste Lösung, vor allen Dingen, weil ich den Vormann auch nicht kompromittieren wollte. Ich konnte ja nicht ahnen, dass er nichts Besseres zu tun hatte, als den Brief mit meinem Geständnis gleich überall herumzuzeigen. – Bitte, verzeihen Sie mir!“
Zuerst entgegnet der Alte gar nichts, seine dunklen Augen ruhen auf dem kleinen Irrwisch, den er so sehr schätzt und auch liebt, doch dann setzt sich ein Lächeln auf der Miene des Mannes durch und er sagt warm: „Ich verzeihe Dir alles, mein liebes Kind. Ich bin nur froh, dass Du zurück bist und hier wohlbehalten, gesund und munter wieder vor mir stehst.“ Er stutzt, ihm fällt etwas ein. Er schiebt das Girl auf Armeslänge von sich und betrachtet sie nachdenklich. Carol sieht kaum anders aus, als er sie in Erinnerung hat, vielleicht noch eine kleine Spur blasser als gewöhnlich. „Sag mal, Carol, wo ist denn überhaupt Dein Baby? Sag nicht, dass alles nur ein Fehlalarm gewesen ist.“
Der Kleinen schießen die Tränen in die Augen. Betreten schaut sie zu Boden, versucht sich ein wenig zu fangen und murmelt heiser: „Nein Sir, es war kein Fehlalarm. Der Kleine starb wenige Minuten nach der Geburt. Ich glaube, es war einfach alles ein bisschen zu viel, was ich dem Ungeborenen zugemutet habe. Ich habe mich unwahrscheinlich bemüht, die Willow-Tree-Ranch zu vergessen und habe mich deswegen in jede Arbeit geflüchtet, die mir angeboten wurde.“
Sie sieht seinen ungläubigen Blick, in den sich eine Spur des Erschreckens mischt.
„Es war alles anständige Arbeit, nicht dass Sie denken, ich hätte mich auf unmoralische Sachen eingelassen. Ich habe Klavierunterricht gegeben und auch für Geld Klavier gespielt und dazu gesungen. Nun gut“, sie grinst, „ob das so richtig moralisch war oder vielleicht sogar ein wenig unanständig, vermag ich nicht zu beurteilen, aber ich schwöre“, sie hebt ihre Hand, „ich habe niemals jemanden zum Zuhören gezwungen.“ Sie holt tief Luft. „Ich hätte eigentlich dankbar sein müssen, dass ich es so gut angetroffen habe, doch ich wurde immer unglücklicher. Schließlich kam das Kind einige Wochen vor der Zeit zur Welt und es war ganz furchtbar klein und zerbrechlich, aber dabei so unheimlich süß. Schwarze Haare, wie sein Vater und eine ganz entzückende, winzige Stupsnase.“ Die Tränen tropfen auf den Fußboden und versickern im Teppich.
Der Rancher holt sein großes Taschentuch aus der Hosentasche und tupft Carol die Tränen von den Wangen, dann nimmt er sie zärtlich wieder in die Arme. Wie leicht sie ist, selber zart und zerbrechlich, wie eine Puppe aus Porzellan. Er spürt eine lange nicht gekannte männliche Regung und hofft, dass das Kind nichts davon bemerkt. Er räuspert sich und brummt heiser: „Mein armes Kind, aber Du wirst sicher bald wieder ein Baby haben. Der Indian wird mit Sicherheit ganz schnell dafür sorgen. Der arme Mann war ja vollkommen fertig, nachdem Du Dich einfach so sang- und klanglos abgesetzt hattest. So habe ich den sonst immer so beinharten Mann noch nie erlebt und er arbeitet schon fast zwanzig Jahre für mich.“ Nun breitet sich wieder ein sanftes Lächeln auf seinem Gesicht aus. „Du hast Dir übrigens den zweitbesten Mann von Wyoming zum Bräutigam gewählt und ich bin sehr einverstanden mit Deiner Wahl.“
Carols Tränen sind versiegt und langsam gewinnt ihre heitere Natur wieder die Oberhand. „Wieso nur den Zweitbesten?“, will sie verblüfft wissen. Der Alte wird doch nicht Stacy als den besten ansehen? Damit würde er ihr ja fast die Ranch zu Füßen legen. Nein, das kann nicht sein, so weit reicht dann die Liebe zu einer Angestellten sicherlich nicht. Wahrscheinlich meint er Gerrit Fisher, den Typen von der Bank. Gute Beziehungen zu einer Bank haben noch nie einem Betrieb geschadet.
Gerrit ist dem Mädchen ein Gräuel. Hoch aufgeschossen und klapperdürre. Ein brillanter Rechner, aber das lebensuntüchtigste Wesen, welches dem Mädchen jemals begegnet ist.
Die prompte Antwort des Alten versetzt das Mädchen aber dann doch in Erstaunen.
„Nun“, knurrt der Rancher, „ganz einfach: Widefield ist nur der Zweitbeste, weil ich der Beste gewesen wäre. Nur leider bin ich schon etwas zu alt für Dich, obwohl ich denke, so ein wenig Nachwuchs bekämen wir zwei auch noch hin.“
Carol schluckt heftig, dann hatte sie sich eben doch nicht getäuscht, als sie glaubte, zu fühlen, dass sich Carpenters Männlichkeit gegen ihren Bauch drängte.
Sie wird sehr ernst. „Sie haben mir niemals gesagt, dass Sie mich ...“, sie stockt, „dass Sie, Sie mich so mögen. Das habe ich wirklich nicht gewusst, nicht einmal geahnt.“
„Ach, alles Unsinn, mein Kind.“ Der Rancher weiß nicht, ob ihm sein Geständnis nicht doch ein wenig peinlich sein sollte, aber Carol scheint nicht unangenehm berührt, sondern nur in höchstem Maße erstaunt zu sein. „Ich mag Dich sehr, mein Kind und wenn ich etwas jünger wäre, hätte kein anderer Mann auch nur die leiseste Chance bekommen. Aber ich bin nun mal so alt wie ein Großvater und damit viel, viel zu alt für Dich. Außerdem liebst Du doch den Vormann oder etwa nicht?“
„Ja Sir, ich liebe ihn. Ich liebe ihn wahrscheinlich schon vom ersten Moment an und war wohl deswegen so sauer, dass er mich behandelt hat, wie eine Schwerverbrecherin. Etwas später glaubte ich allerdings, er sähe in mir nur ein dummes Kind, das zwar seine Arbeit ganz gut macht, ansonsten aber noch vollkommen geschlechtslos ist oder es zumindest zu sein hat.“
„Siehst Du, so kann man sich irren. Widefield war auch von Anfang an beeindruckt von Dir, sonst hätte er sich nicht darauf eingelassen, Dich als Arbeiterin in seiner Lohnliste zu führen und es mir schnell ausgeredet.“
„Das stimmt wohl, Sir, denn er hat mir sehr schnell gezeigt, dass ich ein Mädchen bin, schon nach ein paar Wochen.“
„Dieser kalte Brocken, wenn ich das geahnt hätte. Du hättest ihn schon mit fünfzehn heiraten dürfen. Auch wenn ich keinem Mann so eine junge Partnerin wünsche, Euch beiden hätte ich sofort meinen Segen gegeben. Stattdessen haltet ihr uns monatelang zum Narren.“ Er grinst und presst Carol einen Kuss auf die roten, leicht geöffneten, sinnlichen Lippen. Er wiedersteht der Versuchung, die warme, feuchte Höhle mit seiner Zunge zu ergründen und löst sich von der kleinen Frau. „Aber in der allernächsten Zukunft gibt es nur eines, was ich von Euch beiden verlange: Ihr werdet so schnell